Sonntag, 30. Dezember 2012

"Blade Runner" [US '82 | Ridley Scott]

Andauernder Regen. Die Stadt vergraben unter einer dunklen, immerwährenden Wolkendecke. Chronische Überbevölkerung gesellt sich zu moralischen Grundsatzdebatten. Die Welt ist verloren, die Technik längst auf ihrem Zenit angelangt. Die Bauten verkümmert, die Reklameschilder hell erleuchtet. Eine dunkle Stadt, ebenso heruntergekommen wie das soziale Gefüge, welches es beherbergt und ständiger Regen begleiten den Blade Runner (Harrison Ford) bei seinen Ermittlungen. Ein klassischer (Anti)-Held im Noir-typischen Trenchcoat. Wortkarg, manchmal verschmitzt lächelnd, meistens konzentriert...

Fernab aller Genregrenzen und doch so sehr Genrefilm. „Blade Runner“ bedeutet ein sich allen dramaturgischen Mustern und herkömmlichen Konventionen versagendes Erlebnis. Stilistisch irgendwo zwischen schillernd-schmuddeliger Noir-Referenz und unablässig pulsierender Zukunftsversion angelegt, die trotz ihrer Reduktion auf wenige Charaktere den Anspruch von epischer Größe in sich trägt. Der Cyberpunk ist geboren. So essenziell, wie unfassbar. Konträr zu allem, was seinerzeit die Kinokassen und damit die Massen beherrschte und so anders in seiner Konzeption, dass das letztliche Scheitern vor einer Vielzahl von Zuschauern gerade zu logisch erscheint.

Avantgardistische Set-Konstruktionen treffen auf das reduzierte Schauspiel eines jungen Wilden, traumartig-betörender Score auf makellos schöne Unschuld (Sean Young) und die nie wieder so zurückhaltende Regie eines Ridley Scott auf einen wie entfesselt agierenden Rutger Hauer. „Blade Runner“ wird geboren aus der Zusammenkunft großer Talente und dem Zusammenspiel glücklicher Umstände. Narrativ ist er nie wirklich greifbar und immer bis zum äußersten entschleunigt, eine Absage an den Mainstream. 

Hoffnung existiert in diesem Großstadtmoloch nicht. Schöpfer und Konstruktion sind begriffen vom menschlichen und substanziellen Zerfall. Die Städte sind überbevölkert, Einzelschicksale sind bedeutungslos. Es existieren ungeahnte technische Möglichkeiten und doch geht die Erde und damit gleichbedeutend das Individuum dem Ende hinzu. Metropolen sind ethnisch-religiöse Slums, zerfressen von Egoismus und abhanden gekommener Empathie. Die Umwelt ist ausgebeutet, Hoffnung spendet einzig allein die Aussicht auf ein neues Leben, auf einem anderen Planeten. Grenzen verschwimmen innerhalb einer Wissenschaft, die keine Grenzen mehr kennt und Moral tritt ins Abseits in einer von individueller Geltungssucht dominierten Gruppierung schattenhafter Seelen.

Eine amoralische Gesellschaft spielt Gott. Aus dem Zusammenspiel von wissenschaftlichem Größenwahn und kollektiver Sehnsucht nach Menschlichkeit gehen schließlich die Replikanten hervor. Ebenso synthetisch, wie die Welt, die sie hervorgebracht hat; eine abermalige Reproduktion göttlichen Ebenbildes. Schöpfer und Kreation begegnen sich auf ein und derselben Ebene. Verantwortung übernimmt letztlich gerade jene vermeintlich nicht achtenswerte Kreatur, die im Grunde nur für das kämpft, was ein jeder Mensch begehrt: Leben. Ein Replikant sorgt für das prägende Moment in "Blade Runner"; ein Satz, der die Intention eines Meilensteins des Science Fiction-Genres perfekt zusammenfasst:

"It's too bad she won't live! But then again, who does?"

10/10 

Freitag, 28. Dezember 2012

"The Walking Dead" - Season 2

Unsere kleine Farm im vergammelten Zombie-Gewand. Telenovela-Talks inm apokalyptischen Rahmen. Beziehungskisten und Verflechtungen auf'm Bauernhof. - So richtig weiß ich „The Walking Dead“ ja immer noch nicht einzuordnen. Für eine Drama-Serie mangelt es an interessanten Charakteren und für ein spaßiges Schlachtfest passiert schlichtweg zu wenig. Und doch scheinen die Macher um Frank Darabont tatsächlich dem Irrglauben aufgesessen zu sein, all diese grandios blöden Dialoge und vielsagenden Blicke seien tatsächlich der primäre Grund für das Einschalten des Fernsehgerätes. All die Irrungen und Wirrungen innerhalb der künstlich verkomplizierten Figuren-Beziehungen belegen aber eindrucksvoll das komplette Unvermögen der Macher, Menschen und deren Gefühle vor dem Hintergrund einer zusammenbrechenden Gesellschaftsordnung über eine oberflächliche Ursache-Wirkung – Motivik hinaus zu erforschen. Komische Serie.  

4/10

Donnerstag, 27. Dezember 2012

"The Walking Dead" - Season 1

So interessant die Ausgangsidee und die der Serie zugrundeliegenden Graphic Novels auch sein mögen, so wenig ragt „The Walking Dead“ schließlich aus der Vielzahl hochwertiger Qualitäts-Serien aus dem Hause HBO und Co heraus. Schlecht ist die Serie um den Polizisten Rick Grimes und eine Gruppe Überlebender deshalb aber dennoch nicht - eben nur nichts wirklich Besonderes. Das liegt zum einen an einer ungelenken Spannungskurve, zum anderen – und dieser Umstand wiegt um einiges (!) mehr – an einem hochgradig uninteressanten Figurengefüge. Es kann nicht in der Intention einer Survival-Serie liegen, dass man sich als Zuschauer den möglichst baldigen Qualentod einer Vielzahl Überlebender wünscht. Oder um konkret zu werden: Das keifende Biest von Mutter, mitsamt abgrundtief nervigem Balg weckt selten dagewesene Antipathien, Cowboy Nr. 2 und des Protagonisten bester Freund schauspielert außer Konkurrenz und den Rest der Gruppe hat man eigentlich schon wieder vergessen. Selten war es in Zeiten einer Apokalypse so egal, ob nun jemand stirbt oder eben nicht und selten waren Seriencharaktere derart schmerzhaft eindimensional konzipiert. Eigentlich der Genickbruch für eine jede Serie, doch „The Walking Dead“ reißt mit der eigentlichen Prämisse der Zombie-Apokalypse doch noch einiges heraus. Die Gewalt ist angemessen brutal, die einzelnen Episoden recht selten langweilig und ein bisschen interessiert es ja dann doch, welcher „Charakter“ denn nun als nächstes in Stücke gerissen wird. Achja, und natürlich Zombies! Äh pardon: „Walker“.  

5/10

Samstag, 22. Dezember 2012

"Manche mögen's heiß" [US '59 | Billy Wilder]

Billy Wilder's verspielt-schlüpfrige Maskerade. Sinnlich, elegant und sexy wie eh und je ist die Diva Monroe; scharfsinnig, smart und ironisch ihre beiden Verehrer. Dem Eskapismus seiner Epoche entzieht sich Wilder bereits in der Einleitung: Rachsüchtige Gangster, erbarmungslose Tötungskommandos und komische Razzien - ein ausgiebiger Flirt jenseits der vermeintlichen Genre-Grenzen. Trotz des Zugeständnisses an gewisse Hollywood-Mechanismen bleibt die Realität der primäre Bezugspunkt. Schmerzhafter Realismus im goldenen Hollywood-Gewand quasi. Armut, Kriminalität und moralische Verkommenheit in aller Leichtfüßigkeit präsentiert, aber nie verklärt. Scharfsinnige Dialogzeile folgt auf scharfsinnige Dialogzeile, rasante Inszenierung auf stille Genre-Erweiterung. Unter all dem Glanz, hinter der zum brüllen komischen Fassade verbirgt sich aber nicht mehr als die Realität selbst. Die beiden Verehrer leben in Armut, die Straßen sind korrumpiert von skrupellosen Gangster-Organisationen, das so anmutig erscheinende Divchen hat Alkoholprobleme. Wer gefallen will, muss lügen. Wer akzeptiert werden will, verleumdet seine wahre Identität – zumindest bis zum optimistischen Schlussakt. Verpackt ist alles in Glitzerfolie und hoch ironischen Humor in Verkörperung des überragenden Darsteller-Duos Curtis und Lemmon. Musikalisch ebenso nostalgisch, wie sinnlich arrangiert. Marilyn Monroe spielt gekonnt mit ihrem eigenen Image, singt im tief ausgeschnittenen Abendkleid ihren Klassiker „I wanna be loved by you“ und verzaubert mit jeder Dialogzeile und jedem scheinbar willkürlichen Lächeln. Billy Wilder's Genre-sprengender Genre-Beitrag ist seiner Zeit voraus und endet in der perfekten Schluss-Sequenz mit dem oft zitieren Satz „Nobody's perfect“. Ein Satz, dem im Kontext seiner Zeit eine immense Bedeutung zukommt. Verneigung. 

8.5/10

Samstag, 15. Dezember 2012

"Fight Club" [US '99 | David Fincher]

Nach wie vor eine ebenso kraftvolle, wie mutige Meditation über Existenz und Sinnfragen, sowie voraussichtlich Fincher's Opus Magnum für alle Ewigkeit. Die große Stärke von „Fight Club“ liegt dabei primär in seiner Deutungs-Vielfalt. Man es also nicht für bare Münze nehme, wenn Tyler Durden zum gewaltsamen Aufstand gegen den Turbo-Kapitalismus aufruft und es auch ganz und gar nicht in der Intention des Filmes liegt, nach Feierabend den wütenden Revoluzzer heraushängen zu lassen. Hinter der herausragend inszenierten Fassade von „Fight Club“ verbirgt sich vielmehr der Aufruf zur kritischen Betrachtung von Medien, seiner Strahlkraft auf gesellschaftliche Gruppierungen und die Instrumentalisierung eben jener zur Erhaltung von profitablen Machtstrukturen. Oder in wenigen Worten: Fincher übt Gesellschaftskritik. Und das mit der nötigen Radikalität.

In einer nie wirklich ernst gemeinten Alternative, in der Männer zwischen schwitzenden Körpern, angeknacksten Rippen und von Blut verschmierten Fratzen das Gefühl des Schmerzes als Befreiung verstehen, verhandelt Fincher gesellschaftliche Missstände, die in der Definition von Anzugtragenden Ökonomen eigentlich gar nicht existieren dürften. In einem Leben im Überfluss, der finanziellen und materiellen Sicherheit, in Zeiten ohne Kriege und ohne große Krisen, sehnt sich eine Generation ohne Aufgaben nach einem Sinn in einem von Repetition und scheinbarer Sorglosigkeit geprägten Dasein. 

„No purpose or place. We have no Great War. No Great Depression. Our Great War's a spiritual war... our Great Depression is our lives.“

Der Dekadenz der westlichen Wohlstandgesellschaft – scheinbar versunken unter Burger-Portionen und chronischer Dauermasturbation - setzt Fincher die Rückkehr zu den Ursprüngen entgegen. Der inszenierte Überlebenskampf ist nur Teil einer Besinnung auf das animalische, auf das primitive. Schmerz ist ein unmittelbares Gefühl. Ursache und Wirkung sind offensichtlich. Zum Nullpunkt gelangen bedeutet letztlich also nicht mehr, als sich von all jenem loszusagen, was uns medial seit unserer Geburt mit einer perversen Penetranz suggeriert wird. Zu sich finden bedeutet, sich zunächst von allem anderen zu lösen. Befreit von der gesellschaftlichen Zwangsjacke und damit befreit von allen damit einhergehenden Tabuisierungen, Reglementierungen und Bestimmungen, Gesetzen und Auflagen, als auch von materiellem Besitz. Die ironische Lösung bedeutet das Auflösen der bestehenden Ordnung in Chaos und Anarchie.

Fincher's Roman-Adaption verweigert sich aber schon deshalb einer dogmatischen Lesart, weil er letztlich nicht einmal seinem eigenen Werk eine vorsätzliche Manipulation des Publikums versagt. Man sieht für kurze Zeit den Penis, den Durdem an anderer Stelle im Film thematisiert. Er manipuliert ebenso, wie es Industrien und Regierungen tun. Es ist der finale Aufruf zur kritischen Betrachtung von allem, was uns präsentiert wird. Die Ermutigung hinter die Kulissen, hinter das Offensichtliche zu blicken. Ein großes Meisterwerk also und nichts anderes. 

9/10

Samstag, 8. Dezember 2012

"Beim Leben meiner Schwester" [US '09 | Nick Cassavetes]

Betroffenheits-Kitsch der aller übelsten Sorte. Schon so sehr Hollywood-Klischee, dass es beinahe karitative Züge annimmt. Eine grauenhafte Krankheit nimmt Nichtskönner Cassavetes zum Anlass selten so deplatzierter Dramatisierung: Pausenlos wird ein fürchterlich beliebiger Klangteppich über synthetisch anmutende Breitwandbilder und "dramatische" Slow-Motion-Einstellungen gestülpt. Keine Sekunde hält er ohne sein abartig sentimentales Pop-Gedudel aus. Ständig klimpert jemand auf der Gitarre herum oder prügelt betroffen auf die Klaviatur ein. Gefühlskino grandios missverstanden: Denn Kitschnudel Cassavetes scheint unfähig Figuren und deren Emotionen vor dem Hintergrund des hier gezeigten Schicksals zu erforschen und annähernd adäquat auf die große oder kleine Leinwand zu transferieren. Seine mehrperspektivische Erzählung bleibt ein narratives Gimmick, Emotionen bleiben pure Affektion und Bildsprache bleibt hoffnungslos pathetisch. Das ist alles so traurig und doch so falsch.  

3/10

Montag, 3. Dezember 2012

Zuletzt gesehen: November 2012

"The Walking Dead" - Season 1 [US '10 | Frank Darabont] - 6/10

"The Walking Dead" - Season 2 [US '11 | Frank Darabont] - 4/10

"Spun" [SE, US '02 | Jonas Åkerlund] - 5/10

"Jackie Brown" [US '97 | Quentin Tarantino] - 7/10

"Lethal Weapon" [US '87 | Richard Donner] - 5/10

"Ruby Sparks" [US '12 | Jonathan Dayton & Valerie Faris] - 6.5/10

"Brokeback Mountain" [US '05 | Ang Lee] - 7/10

"Final Destination" [US '00 | James Wong] - 5/10

"So finster die Nacht" [SE '08 | Tomas Alfredson] - 7/10

"The Others" [FR, ES, US '01 | Alejandro Amenábar] - 6/10

"Skyfall" [UK, US '12 | Sam Mendes] - 6/10

"Frantic" [US, FR '88 | Roman Polanski] - 5/10

"Fright Night" [US '85 | Tom Holland] - 5.5/10

"The Rock" [US '96 | Michael Bay] - 5/10

"Following" [UK '98 | Christopher Nolan] - 6/10

"Beim Leben meiner Schwester" [US '09 | Nick Cassavetes] - 3/10

"Secretary" [US '02 | Steven Shainberg] - 6/10

"Auf der anderen Seite" [TR, DE '07 | Fatih Akin] - 7/10

"Clockwork Orange" [UK '71 | Stanley Kubrick] - 8.5/10

"Antichrist" [DE, DK, FR etc. '09 | Lars von Trier] - 5/10

"Kurt Cobain: About a Son" [US '06 | AJ Schnack] - 6.5/10

"Sunshine" [UK, US '07 | Danny Boyle] - 5/10

"Leaving Las Vegas" [US '95 | Mike Figgis] - 6.5/10

"Valerie" [DE '06 | Birgit Möller] - 6/10

"Wild at Heart" [US '90 | David Lynch] - 7/10

Freitag, 30. November 2012

"Das weiße Band" [FR, AT, DE '09 | Michael Haneke]

Haneke's Filme bleiben bei aller Intelligenz, aller Bedeutung und aller handwerklichen Akribie ein distanziertes Erlebnis und damit auch überaus schwer zugänglich. Haneke-Kino ist immer mehr kühle Lehrstunde als Emotion. Damit steht er diametral zu meinem Verständnis von Kino. Seine Protagonisten wirken wie Marionetten, die lethargisch den hochkomplexen Lehrplan abspulen; aber sie tun es ohne Gefühl, ohne Regung, ohne Emotion. Oder konkret: Er versagt seinen Figuren, Mensch zu sein. 

Inhaltlich bleibt sein Film alles andere als ein Anachronismus: Seine Gesellschaftsanalyse und akribische Aufarbeitung von historischem Gruppenverhalten ist ein wichtiges Arbeitszeugnis im Zuge einer noch sehr lange andauernden Aufarbeitung des Nationalsozialismus, seinen Ursprüngen und darüber hinaus. Eine zentrale Rolle spielt in Haneke's Film dabei die Erziehung von Kindern durch ihre zu kühlen Instanzen sterilisierten Väter. Statt autonomen Individuen, wird hier perfide ein gehorsames Kollektiv geformt. Es wird damit der Nährboden für (faschistische) Ideologien bereitet. 


In der finalen Äußerung des äußerst wahrscheinlichen Verdachtes und der darauf folgenden Reaktion, lässt sich darüber hinaus eine mögliche Parabel erkennen, die direkten Bezug zum später folgenden Nationalsozialismus und dem damit einhergehenden Holocaust nimmt. Sowohl das Opfer (eine Randgruppe), als auch die Täter (ein eigen-dynamisches und größtenteils "harmloses" - sprich: schweigendes Kollektiv) könnten dabei stellvertretend für spätere historische Ereignisse stehen. Dass der Pastor die Verdrängung, statt der lückenlosen Aufklärung sucht, ist ein weiterer Wesenszug, der die Deutschen unter Führung eines kranken Geiste zu solch guten Faschisten werden ließ. 


Man kann von Haneke also vieles behaupten, aber nicht, dass er seinen Zuschauer nicht ernst nehme. Und doch haben seine Filme neben der bitteren Humor- und Freudlosigkeit, sowie ihrer vollkommenen emotionalen Impotenz, auch einen kaum an konkreten Aspekten festzumachenden, überheblichen Tonfall. Das ändert jedoch kaum etwas an der Wertigkeit dieses überaus wichtigen Filmes, der darüber hinaus auch endlich einmal das deutsche Kino glänzen lässt – auch wenn es dazu diesmal die Unterstützung eines Österreichers bedurfte.

7/10

Freitag, 23. November 2012

"The Shining" [UK '80 | Stanley Kubrick]

Alptraumhafte Psychostudie, exzessives Terror-Kino, verzerrter Fiebertraum, psychedelische Roman-Adaption, Haunted-House-Horror im Winterkleid, sprich: ein etwas anderer Familienausflug. Stanley Kubricks ebenso eigenwillige, wie tendenziell etwas zur Oberflächlichkeit neigende Verfilmung (eigentlich besser: Interpretation) des berühmten King-Romans. Formal nahe der Perfektion, mit einigen unfassbaren Plansequenzen (das Intro, der Dreirad fahrende Danny Lloyd) bestückt und das Horror-Genre um einige ikonische Momente bereichert (Blut-überfluteter Korridor, „Here's Johnny!“). Leider ist Kubrick zu sehr damit beschäftigt, dem Zuschauer alles restlos auszubuchstabieren. Die Fantasie, der ungreifbare Horror, dessen Ursprung eindeutig in den Gemäuern des Hotels zu verorten ist, kommt zu kurz. Stattdessen wird alles gezeigt, was es zu zeigen gibt und fast alles gesagt, was es zu sagen gibt. Kubrick's „The Shining“ ist ein Psychotrip, der Amoklauf eines verwirrten Geistes (engagiert und sichtlich Spaß habend: Jack Nicholson) und weiß fast alle fantastischen Komponenten seiner ursprünglichen Geschichte gänzlich zu eliminieren. Überhaupt erscheint das Abgleiten in den Wahnsinn nach der ausführlichen Einleitung zu abrupt, das Finale zu plötzlich und die Horror-Momente zu sehr mit der Brechstange inszeniert. Und doch hinterlässt „The Shining“ nach wie vor einen ungeheuren Eindruck – vor allem audiovisuell. Vorlagen-Differenzen und Kubrick'sche Exzentrik inklusive.     

7/10

Montag, 19. November 2012

"Rosemaries Baby" [US '68 | Roman Polanski]

Polanski tat gut daran, weder den Okkultismus, noch das zunehmend ersichtliche Intrigen- und Verschwörungsnetzwerk rund um Rosemarie zu konkretisieren, sondern sich ganz und gar der Ohnmacht seiner Protagonistin und somit auch der damit einhergehenden Ohnmacht seines Publikums zu widmen. Denn es ist immer das Ungreifbare, das ungute Gefühl, welches dich zwar fortwährend begleitet, aber selten wirklich an konkreten Szenen festzumachen ist, das "Rosemaries Baby" letztlich so effektiv werden lässt. 

Auf eine Visualisierung dessen, vor dem sich sowohl seine Protagonistin (herausragend: Mia Farrow), als auch sein Publikum fürchtet, verzichtet Polanski gänzlich. Es wird immer nur angedeutet, nuanciert Fährten gelegt und beinahe alles der Vorstellungskraft des Zuschauers überlassen; weil Polanski seiner Zuschauerschaft etwas zutraut und ihnen nicht jede Einzelheit ausformuliert auf die Leinwand knallen muss. Sein Horror ist ein psychologischer, einer der kaum spürbar seine Spuren hinterlässt, aber dennoch für ein tiefes Unwohlsein lange nach der Sichtung verantwortlich ist.

Und während der sinnlich-beunruhigende Intro-Score von Anfang an wie ein nihilistischer Schatten über dem zunächst scheinbar idyllischen Geschehen schwebt, beginnt spätestens mit Beginn der Schwangerschaft der subtile Horror seine implizite Wirkung zu entfalten. Dann - wenn das gemächlich eingeführte Figurengefüge einer stetigen Veränderung unterzogen wird, die unsichtbare Bedrohung immer wieder die Maske wechselt, unscheinbar durch die Reihen schleicht und nichts mehr so ist, wie es zu seien scheint.

Wenn der Zuschauer plötzlich beginnt an seiner eigenen Wahrnehmung zu zweifeln, das eigene Urteil mit jeder Geste, jedem gesprochenen Wort ins Wanken zu geraten scheint, dann beginnt „Rosemaries Baby“ ungemütlich zu werden. Polanski streut die Finte dabei ebenso zielsicher ein, wie er sie an späterer Stelle, mitsamt des scheinbaren Twists, wieder relativiert. Und an genau dieser Stelle macht sich dessen vermeintlich überlange Einführung bezahlt...

Wir bangen, wir rätseln und wir zittern mit, weil Figuren existieren, die uns kümmern, die wir kennengelernt haben und die wir mögen oder an denen wir zweifeln. Eben deshalb, weil Polanski ihnen zuvor eine unaufgeregte und sorgfältige Exposition zugestanden hat. Und ehe die mephistophelische Brut das Licht der Welt und den Kreis obsessiver Satanisten erblickt, hat das Chaos längst unsere Gedanken okkupiert und die Hoffnung auf einen üblichen Verlauf etwaiger Umstände zunichte gemacht. 

Das Finale ist Wahnsinn und der wahre Horror ist der Moment, in dem uns Polanski dabei zuschauen lässt, wie auch seine Protagonistin selig lächelnd vor der höheren Instanz kapituliert. Langsamer wiegen soll sie es. Weil es weint, wenn es zu schnell gewogen wird. Diese Rolle solle lieber sie übernehmen. Und die Augen des Vaters hat es. Und die Finger erst. Er ist zu Höherem bestimmt. Der kleine Teufelsbraten.

"Witches... All of them witches!" 

8/10

Montag, 12. November 2012

"Skyfall" [UK, US '12 | Sam Mendes]

Schlecht ist er ja nicht - dieser neue, analoge Bond. Aber eben auch so weit entfernt von jenem filmischen Großereignis, als dass er von Presse und Publikum bislang weitläufig und vielfältig gefeiert wurde. Vielleicht ist es ja wirklich die Nostalgie, die diesen 23. Bond für viele zu einem solch herausragenden Erlebnis werden ließ. Mendes spart nämlich nicht mit allzu offensichtlichen Querverweisen, unzähligen Verbeugungen und der Reanimation einer ganzen Reihe ikonischer Franchise-Elemente. Mendes' „Skyfall“ schwelgt so sehr und so genüsslich in den Erinnerungen einer nun schon 50 Jahre währenden Filmreihe, dass er dabei vergisst eine gute Geschichte zu erzählen. Denn wirklich etwas zu erzählen hat Mendes eigentlich nicht und das, war er uns schließlich in akuter Überlänge zu erzählen gedenkt, ist ausgesprochen schwach. Daran weiß auch ein guter, aber ebenfalls nicht herausragender Javier Bardem wenig zu ändern.

Pluspunkte gibt es derweil für die sparsam eingestreuten und angenehm übersichtlich inszenierten Action-Einlagen, die auch von einem Nolan stammen könnten: Hier fliegen Dinge noch wirklich in die Luft, treffen Schüsse noch auf Widerstand und kollidieren Helikopter (!) noch mit Herrenhäusern (!!) - immer begleitet von einer wuchtigen Soundkulisse. Es ist zweifelsohne ein spektakulärer Bond; einer der dem Jubiläum schon in gewisser Weise gerecht wird, aber auch einer der vertanen Chancen. Denn so sehr sich Mendes auch als tadelloser Action-Regisseur erweist - was für sich schon eine sehr angenehme Überraschung ist - so wenig scheint der Brite am weiteren Inhalt interessiert zu sein. Der dumme Plot nervt, vermeintlich smarte Dialogzeilen wollen nur selten zünden und man hat fortwährend das Gefühl, dass man aus diesem Gegenspieler deutlich mehr hätte machen können.

Dabei beginnt doch alles so vielversprechend: Nach einer furiosen Eingangssequenz, gefolgt von einem der schönsten Bond-Intros, unterlegt von einem der besten Bond-Songs, beginnt das neue Abenteuer in den eigenen Reihen - beim MI6. Ein grandioser Ralph Fiennes hat dabei leider viel zu wenig Screentime und Craig bleibt der distanzierte, eiskalte Profikiller, dessen angedeuteter psychologischer Exkurs aber nie wirklich ernsthaft verfolgt wird. Dennoch hat die neu geschaffene Ausgangslage durchaus Potenzial. 

Leider beginnt „Skyfall“ schon während der Shanghai-Episode mächtig zu lahmen, ehe Bardem's recht spätes, erstmaliges Auftauchen wieder für etwas Drive in der orientierungslos erzählten Geschichte, mitsamt selten überflüssigem Bond-Girl sorgt. Und genau dieser Umstand, plus der angesprochenen Stärken ist es dann auch, der „Skyfall“ zu einem ganz guten Bond-Film werden lässt. Auch wenn Mendes den sicherlich sehr lobenswerten Ansatz der Franchise-Reflektion und die zunehmende Fokussierung auf das überschaubare Figurengefüge nie wirklich befriedigend umzusetzen weiß. Schade, ja. Es hätte aber auch deutlich schlimmer kommen können.   

6/10

Freitag, 9. November 2012

"The Descent" [UK '05 | Neil Marshall]

Emanzipation im Horrorgenre: Nun darf auch endlich ausschließlich Frau den kollektiven Qualentod sterben - und das direkt durchaus eindrucksvoll. Klaustrophobische Zustände, ständige Dunkelheit und triste Gesteinsformationen begleiten die Frauengruppe um Protagonistin Sarah (Shauna Macdonald) auf ihrem Trip in ein neues, bislang unerforschtes Höhlensystem - zumindest glaubt man bzw. Frau das. Doch spätestens mit dem Auffinden erster Spuren, die auf die Existenz einer weiteren Lebensform auf dem Grund des verschachtelten Systems hindeuten, entwickelt sich der eigentliche Extremsport-Ausflug zum existenziellen Überlebenskampf.

Zuvor wird mit einem traumatischen Autounfall aber erst einmal etwas Empathie für Protagonistin Sarah geschürt, immerhin verlor sie dort Mann und Kind. Hier und da hätte Marshall die Exposition vielleicht sogar etwas ausführlicher gestalten können, denn im Grunde kommen nur zwei Figuren über die Eindimensionalität der restlichen Gruppe hinaus, die ihre Daseinsberechtigung teilweise nur aus ihrer Existenz als spätere Gore-Opfer ziehen können. Dass es im grundsätzlichen Verständnis dieses Genres auch keine hässlichen Frauen gibt, sollte man an dieser Stelle einfach hinnehmen und sich über all jene Ansätze freuen, die über ausgetrampelte Mainstream-Pfade hinausgehen.

Hälfte Eins konzentriert sich dabei ganz auf die flotte aber nie gehetzt wirkende Exposition von Hauptfigur und Hintergrundgeschichte, sowie den Abstieg in den Untergrund. Mit dem anschließenden Einsturz des einzigen bekannten Auswegs, beginnt dann auch der eigentliche Überlebenskampf auf unbekanntem Terrain. Und hier verschenkt Marshall einiges an Potenzial: Denn bis auf einige Hinweise auf die Präsenz einer weiteren Lebensform, sowie deutlich zu oft eingestreute Jump Scares (von denen manche sogar ganz platt auf identische Weise wiederholt werden), bleibt „The Descent“ zumeist spannungsarm. Den psychologischen Input seines Settings auf das meistens angenehm clever reagierende Figurengefüge vernachlässigt Marshall leider völlig und beschränkt sich auf das Gezeigte. An einem Spiel mit den Erwartungen und der Fantasie des Zuschauers scheint der Brite nicht weiter interessiert zu sein.

Technische Defizite reißen dich ebenfalls immer wieder aus dem langsam an Fahrt aufnehmenden Horrortrip heraus. In den Totalen glänzt „The Descent“ ein ums andere Mal mit sensationell schlecht gemachtem CGI und Steinformationen, die gar nicht erst versuchen sich dem offensichtlichen Anschein angemalter Pappmaschee zu erwehren. Die selten doofe Ausleuchtung verstärkt den mangelhaften Eindruck von Kulisse und Computer-Animation zusätzlich.

Explizit wird es dann mit der zweiten Hälfte, wenn der Horror mittels einer grandiosen Found-Footage-Sequenz eingeleitet wird. Bemerkenswert in dieser Phase von „The Descent“ ist vor allem, dass Marshall auch nachdem er dem Grauen sein (hässliches) Gesicht gegeben hat, weiter die Spannung hält. Spannung, die er auch aus dem einfallslosen, aber nichtsdestotrotz funktionierenden Creature Design schöpft und mit deren Eigenschaft der Blindheit er einige memorable Momente zu kreieren weiß. Live-Videomaterial aus einem Camcorder, welcher im Nachtmodus aktiv ist, verbaut Marshall ebenfalls äußerst effektiv in das Geschehen, welches inzwischen alle Thriller-Komponenten über Bord geworfen und endgültig den Kampf zwischen Mensch und Bestie in den Mittelpunkt gestellt hat.

„The Descent“ geht zurück zu den Ursprüngen: Die letzten Überlebenden kämpfen gegen die Kreaturen aus der Hö(h/l)le. Die finalen Minuten sind blutiger und animalischer Existenzkampf, aus dem Sarah nicht nur neu gewonnene Kräfte schöpft, sondern das sie auch auf eine gewisse Weise zu befriedigen scheint. Der auf das abschließende Gekröse folgende Twist sitzt, doch wirkliche Begeisterung will sich dennoch nicht einstellen. Zu viele Chancen lässt Marshall ungenutzt, zu viele Ansätze lässt er Ansätze bleiben. Ein ziemlich gemischtes Vergnügen, die Ausgangsidee hätte dabei doch so viel zu bieten...  

6/10

Montag, 5. November 2012

"Der Exorzist" [US '73 | William Friedkin]

Fast vierzig Jahre sind vergangen seit „The Exorcist“ für viel diskutierte Kontroversen sorgte. In einem vom Aufbruch begriffenen Land, inmitten sexueller Revolutionen und fortschreitender Emanzipation, geboren aus der 68er Bewegung, stellte Friedkin's Roman-Adaption in gewisser Weise das spießbürgerliche Pendant zu revoltierenden Gesellschaftsmetaphern wie „The Graduate“ dar.

Laut Friedkin ist die einzige Möglichkeit für eine wiederkehrende Stabilität und Ordnung in einer von bröckelnden Fassaden und eskalierenden Studentenprotesten geprägten Gesellschaft, die Rückkehr zu den Ursprüngen. Und damit auch die bedingungslose Besinnung auf den alt ehrwürdigen Katholizismus, der unter anderem jene Reglements propagiert, von denen sich die Jugendbewegung seit Jahren zu entledigen versuchte. Das größte Problem von „The Exorcist“ wird deshalb wohl für ewig der Umstand sein, dass er unter Betrachtung seines historischen Kontextes für immer mit der reaktionären Haltung Friedkins verbunden sein wird.

Das ist in soweit schade, als dass uns mit „The Exorcist“ im Grunde genommen kein schlechter und sogar Genre-begründender Horrorfilm vorliegt, der gespickt mit unzähligen inszenatorischen Raffinessen (Traum-Sequenz des jungen Pfarrers; scheinbar willkürliche Integration von teuflischen Fratzen), in erster Linie von seiner formalen Perfektion lebt. Er scheitert – wie so viele vor und nach ihm – an seinen eigenen Ambitionen und dem überholten Moral-Konstrukt seines Regisseurs. Dabei lässt die Titel-gebende Prämisse doch Variationen hinsichtlich der unumgänglichen Konfrontation mit Religion als Heilsbringer durchaus zu. Denn letztlich liegt es an den Machern, ob sie eine Ideologisierung des Publikums und eine Verklärung der Kirche anstreben möchten oder eben nicht.

5/10

Freitag, 2. November 2012

"Sherlock" [UK '10 / '12 | BBC]

„Ein Fall von Pink“ [UK '10 | Paul McGuigan]

Fall #1: Der Umzug von Doyle's ikonischer Romanfigur in die Moderne scheint ebenso problemlos vonstattenzugehen, wie sich zwischen den beiden Hauptdarstellern Cumberbatch (Sherlock) und Freeman (Watson) eine amüsante, aber nie alberne „Beziehungskiste“ entwickelt. „Sherlock“ lebt von seinen verschrobenen Charakteren und den immer wieder entstehenden Wortgefechten zwischen dem soziopathischen Ermittler-Genie Sherlock und dem Kriegsheimkehrer Dr. Watson. Bei „Ein Fall von Pink“ ist alles der Zusammenführung der beiden zentralen Figuren untergeordnet, da stört es auch nicht weiter, wenn der sorgsam vorbereitete Twist am Ende nicht so genial ist, wie er im Vorfeld angekündigt wurde, zumal sich der neue Sherlock inszenatorisch herrlich verspielt und optisch hochauflösend präsentiert.

7/10

„Der blinde Banker“ [UK '10 | Euros Lyn]

Fall #2: Ziemlich ermüdender und nichtssagender zweiter Ausflug in London's Unterwelt. Erschreckend wirr erzählt, nie wirklich stringent und sein spannungsarmes Finale tritt „Der blinde Banker“ eine gefühlte Ewigkeit lang breit. Immerhin bleibt ein charmantes Ermittler-Duo, das dem sichtlich ambitionierten, aber nie interessanten Fall mit dem selben Enthusiasmus begegnet, wie es schon in „Ein Fall von Pink“ der Fall (haha: Wortwitz) war. Verschenkt.

4/10

„Das große Spiel“ [UK '10 | Paul McGuigan]

Fall #3: Besser. Was auch mit der Rückkehr McGuigan's zusammenhängen könnte, der anschließend auch für zwei weitere Fälle den Regiestuhl wärmte. Streckenweise ein hochspannendes Wettrennen gegen die Zeit, welches sich aber durch das repetitive Prinzip des mysteriösen Widersachers auch nicht einiger Längen erwehren kann. Dennoch rasant inszeniert, toll gefilmt und wieder einmal durch die Präsenz seiner beiden Hauptfiguren enorm aufgewertet. Der ganz große Wurf ist es dann zwar doch nicht geworden, dazu fehlt es Moriarty's finalem Auftauchen an großen Momenten.

6/10

„Ein Skandal in Belgravia“ [UK '12 | Paul McGuigan]

Fall #4: Bisweilen an ein James Bond-Abenteuer erinnernd, vollgestopft mit allerlei Twists und Sherlock sieht sich das erste Mal mit komplizierten Gefühlen konfrontiert. Ein ebenso ironischer, wie tendenziell zur Überkonstruktion neigender Kriminalausflug im globalen Anstrich. Nicht ganz so spaßig wie „Ein Fall von Pink“, dafür reich an allerlei scharfzüngigen Dialoggefechten zwischen Sherlock und der Domina Irene Adler.

6.5/10

„Die Hunde von Baskerville“ [UK '12 | Paul McGuigan]

Fall #5: Das dynamische Duo verlässt das erste Mal London und es geht Raus in die ländliche Idylle von Baskerville. Das sieht alles sehr schick aus und lässt zunächst auch durchaus hoffen, entwickelt sich dann aber in eine – für meinen Geschmack – völlig falsche Richtung. Dann geht es um Militärstützpunkte, geheime Experimente und psychotische Opfer. Schade, selbst die letztliche Auflösung ist lahm.

4/10

„Der Reichenbachfall“ [UK '12 | Toby Haynes]

Fall #6: Der Fall, der allen anderen Fällen die Schuhe mitsamt Socken auszieht. Ein Staffelfinale, das all seinen Ansprüchen absolut gerecht wird. Das hochspannende Aufeinandertreffen zwischen Sherlock und Moriarty, welches in der bislang dramatischsten Szene der Serie gipfelt, ist ebenso rasant inszeniert, wie clever verstrickt und wie gewohnt toll gespielt von einem restlos überzeugenden Cumberbatch und dem extrem sympathischen Freeman. Die wahre Klasse dieser Episode wird sich aber wohl erst in der bereits geplanten dritten Staffel zeigen.

8/10

Fazit: BBC hat alles richtig gemacht. „Sherlock“ funktioniert gerade durch die Verlagerung in die Moderne ohne Abstriche. Das Punktesystem sollte man an dieser Stelle auch nicht allzu ernst nehmen. Selbst die schlechter bewerteten Episoden sind aufgrund des sympathischen Darsteller-Duos und den durchweg hochwertigen Dialogen noch absolut sehenswert. Season 3 kann kommen!

Donnerstag, 1. November 2012

Zuletzt gesehen: Oktober 2012

"Along Came Polly" [US '04 | John Hamburg] - 5.5/10

"Donnie Darko" [US '01 | Richard Kelly] - 6/10

"Drachenzähmen leicht gemacht" [US '10 | Dean Deblois] - 4/10

"Bronson" [GB '09 | Nicolas Winding Refn] - 6/10

"Lars und die Frauen" [US, CA '07 | Craig Gillespie] - 7/10

"Snatch" [UK, US '00 | Guy Ritchie] - 4/10

"Alien" [US '79 | Ridley Scott] - 8/10

"Aliens" [US '86 | James Cameron] - 6/10

"Alien³" [US '92 | David Fincher] - 3/10

"Alien: Resurrection" [US '97 | Jean-Pierre Jeunet] - 6.5/10

"Black Swan" [US '10 | Darren Aronofsky] - 7.5/10

"The Wrestler" [US '08 | Darren Aronofsky] - 7/10

"Scott Pilgrim gegen..." [US, UK, CA '10 | Edgar Wright] - 4/10

"Total Recall" [US '90 | Paul Verhoeven] - 6/10

Montag, 29. Oktober 2012

"500 Days of Summer" [US '09 | Marc Webb]

Musik- und Werbevideos scheinen ein vielversprechender Einstieg in das Filmbusiness zu sein. Krawallmacher Michael Bay und Autodidakt David Fincher zum Beispiel saßen vor ihren Durchbrüchen – in gänzlich verschiedene Richtungen wohlgemerkt – beide bei Musikvideo-Drehs auf dem Regiestuhl. Auch der südafrikanische Regie-Neuling Neill Blomkamp, welcher mit „District 9“ 2009 einen Überraschungserfolg hinlegte, verdiente sein Geld zuvor mit Werbefilmen. Und vor wenigen Monaten erst schaffte auch Rupert Sanders mit seiner eher mäßig erfolgreichen Schneewitchen-Adaption den Sprung in die erste Liga. Die Musik- und Werbebranche scheint ein guter Ort zu sein, um das Handwerk und den Umgang mit Schauspielern zu erlernen, andererseits hat man klare Vorgaben und nur ein beschränktes Zeitfenster, weswegen es verständlich ist, dass so viele Regisseure die Flucht zur großen Leinwand antreten. Im Falle von Marc Webb können wir darüber nur froh sein. Sein erster Leinwand-Ausflug ist nämlich der Wahnsinn.

Entfesselt von zeitlichen Vorgaben und den Zwängen einer Auftragsarbeit, schafft Webb mehr als nur einen Genre-Beitrag. Sein Debüt reflektiert das Genre, in dem es sich bewegt, entzieht sich gleichzeitig aber auch dessen Konventionen. Gerade aus der zer- und versetzen Chronologie schöpft Webb die Dynamik für eine unwiderstehlich flotte Narration, aus der frei von jedweder Hektik, eine ganz eigene Dramaturgie resultiert. Das Geschehen bleibt trotz der chronologischen Neuanordnung kohärent und fortwährend nachvollziehbar. Einfach alles passt, keine Sekunde ist zu lang oder zu kurz. Alles ist auf den Punkt getimt, nichts ist überflüssig und jede Szene notwendig.

Webb bedient sich einer breiten Palette stilistischer Mittel, gewichtet sie perfekt und integriert sie immer so, dass mit ihrer Verwendung auch ein spürbarer, filmischer Mehrwert einhergeht. Allein die Übergänge zwischen den Sequenzen sind geprägt von überbordender Kreativität. Split-Screen-Montagen, Farbfilter, Animationen und Schnittabfolgen verknüpfen sich auf ganz natürliche Weise mit den narrativen Aspekten. Verweise auf Musik- und Filmkultur weiß Webb währenddessen ebenso stilsicher einzustreuen. Vor allem Mike Nichols' Klassiker „The Graduate“ erfährt eine liebevolle Hommage, die neben der Verwendung von Simon & Garfunkel als Soundtrack, in der Übernahme ganzer Sequenzen gipfelt, gleichzeitig aber – und das macht dieses Debüt unter anderem so besonders – auch eine inhaltliche Relevanz inne hat.

Und tatsächlich hat der Erzähler zu Anfang recht: Denn „(500) Days of Summer“ ist keine Liebesgeschichte - sie ist vielmehr eine Geschichte über die Liebe. Webb interessiert sich für alle Stadien dieses unergründlichen und so wenig fassbaren Begriffes der Liebe. Von der Zeit, in der du denkst, es sei alles möglich, bis zum bitteren Ende einer Beziehung, wo du dir abermals sicher bist, nie wieder in deinem Leben glücklich zu werden. Er ergründet jedoch weniger den abstrakten Begriff, als die Figuren, die davon beeinflusst zu seien scheinen. Er porträtiert Charaktere und deren Geschichten, sowie deren irrationales Verhalten, wenn sie erfüllt sind von diesem Gefühl, das niemand wirklich zu erklären vermag, vor allem aber deren völlig verschiedene Erwartungshaltungen (großartig auf den Punkt gebracht: die Sequenz auf der Dach-Terrasse).

Dieses Debüt ist so voller Charme, Originalität, frischen, unverfälschten Einfällen und einem fortwährenden Optimismus, der in seiner Naivität schon wieder charmant ist. Zwischen Grußkarten und Arthouse-Referenz, geschwisterlichen Weisheiten und echten Freundschaften, sowie Karaoke-Eskalation und der „wahren“ Liebe. Es fällt äußerst schwer „(500) Days of Summer“ nicht zu mögen. Nicht zuletzt aufgrund von Figuren, denen man sich einfach nicht entziehen kann. Gerade durch die unglaubliche Harmonie zwischen Joseph-Gordon Levitt und Zooey Deschanel bewahrt sich Webb's Debüt seine emotionale Sogwirkung und lässt dich bis zum Ende lachen, hoffen, trauern und schließlich einsehen.

7.5/10

Freitag, 26. Oktober 2012

"Ben X" [NL, BE '07 | Nic Balthazar]

Ich will mir ja nicht anmaßen ein allgemeingültiges Urteil darüber zu fällen, wann Autismus und die Symptomatik des Asperger-Syndroms glaubhaft oder eben nicht glaubhaft verkörpert wurden, doch so sehr ich auch versuchte Greg Timmermans' eigenwilliger Interpretation dieses Krankheitsbildes irgendetwas abzugewinnen, so wenig berührte, beeindruckte oder überzeugte mich seine Darstellung des an Asperger erkrankten Ben in irgendeinem Aspekt. Scheinbar geplagt von chronischen Overacting-Attacken kämpft sich dieser an der Seite eines ebenso wenig überzeugenden Darsteller-Ensembles durch ein ambitioniertes Debüt, dessen formaler Einfallsreichtum aber zu keiner Sekunde die penetrante Affektion zu kaschieren vermag, die von den eklatanten Drehbuch-Schwächen herrühren. „Ben X“ fehlt es an Authentizität und immer wieder an darstellerischen Fertigkeiten. Wenn der jugendliche Ben (übrigens selten blöd: vom fast zehn Jahre älteren Timmermans verkörpert) unsicher über den von Klischee-Statisten bevölkerten Schulhof wandelt und die Kamera sich mittels ständiger Close Ups immer wieder auf dessen verkrampftes Gesicht konzentriert, fast so als wolle sie sich über das limitierte schauspielerische Talent Timmermans lustig machen, dann wird klar, weshalb „Ben X“ nie zu wirklicher Größe berufen war: Es fehlt – so blöd es auch klingt - ein guter Hauptdarsteller.

Doch bei allem Makel in Timmermans' verkrampftem Spiel – es ist nicht einzig allein seine Schuld. Denn so sehr man sich auch an seinem Spiel stoßen mag, wirklich scheitern tut „Ben X“ an seinem Drehbuch. Nic Balthazar beweist keinerlei Gefühl für das ihm zugrundeliegende Sujet, bebildert kalt und jede Realitätsnähe vermissend, die Schikane der Mitschüler und die täglichen Barrieren zwischen seinem Protagonisten und dieser Welt, die ihm doch so fremd ist. Balthazar pflügt durch die sozialkritischen Themen ohne jede Feinfühligkeit und lässt seine beiden schmerzhaft eindimensionalen Peiniger immer wieder mit lautem Getöse auf den armen Ben los. Der langsam fortschreitenden Devastation einer einsamen und verwirrten Seele und der damit einhergehenden Schädigung durch sein Umfeld begegnet Balthazar mit visuellen Spielereien und nicht etwa einem Drehbuch, das als künstliche Reproduktion wirklicher Umfelder fungiert. Statt den Klassenraum mit Charakteren zu füllen, mit Gesichtern, die als Teil einer mitreißenden Geschichte funktionieren, liefert uns der niederländische Regie-Debütant die ewig-selben Gussformen; Abziehbilder, denen man eigentlich längst überdrüssig sein sollte. Da gibt es natürlich ein bis zwei emphatische Mitschüler, die – gut erzogen wie sie nun einmal sind – nicht mitfilmen, wenn die restliche, gesichtslose Klassenschaft Ben die Höschen herunterzieht, die bereits erwähnten, lächerlich aufgesetzt spielenden Peiniger und eine Hand voll Lehrer und Familienmitglieder, die irgendwie auch ein bisschen Charakter haben wollen, letztlich aber nur der wackelige Rahmen für eine löchrige Geschichte sind.

„Ben X“ ist zu viel Klischee und zu wenig Wahrhaftigkeit. Wo bei „Mary and Max“ der Thematik des Asperger-Syndroms mit gefühlvoller und von vielen leisen Zwischentönen durchzogener Melancholie ein emotionales Fundament bereitet wurde, bleibt Balthazar an der Oberfläche und vermag es selten dem Off-Kommentar seines Protagonisten jene emotionale Intensität zu verleihen, wie es Elliot bei eigentlich leblosen Knetfiguren gelang. Wirklich mitreißend wird „Ben X“ erst zu seinem ebenso ergreifenden, wie affektierten Schlussakt, der fast - aber eben nur fast - zu einer Verklärung des Vorangegangenen verführt. Verdient hätte er es auch nicht.  

3/10

Freitag, 5. Oktober 2012

"Dawn of the Dead" [US '04 | Zack Snyder]

Es ist letztendlich wenig sinnvoll über Sinn oder Unsinn eines solchen Remakes zu diskutieren, wenn das Ergebnis doch so überzeugend ist. Snyder bleibt zwar – gerade in Anbetracht seines sehr durchwachsenden Schaffens – ein Musikclip-Regisseur wie er im Buche steht, doch gerade bei seinem Spielfilm-Debüt stört es überraschend wenig, dass Snyder – wie so oft – nicht über jene „Style over Substance“- Attitüde hinweg kommt, die seinen Werken seit jeher anhaftet. Die stilisierten Hochglanz-Aufnahmen, die optische Sterilität – ein Michael Bay-Remake hätte vermutlich ähnlich ausgesehen. Und doch ist Snyder's Adaption des berühmten Romero-Klassikers nicht pure Oberfläche. Zum einen, weil er es versteht, kalkulierte, aber nicht minder wirkungsvolle Tabu-Brüche in das Geschehen zu etablieren (Zombie-Baby) und zum anderen, weil er seinen Darstellern genügend Zeit gibt, wirkliche Sympathien und Antipathien beim Zuschauer entstehen zu lassen.

Die Gruppe Überlebender stellt dabei einmal mehr, einen Querschnitt der amerikanischen Gesellschaft dar: Von der sozialen „Unterschicht“ (Andre und Luda), über die bürgerliche Mitte (Ana und Michael) bis hin zur vermeintlichen „Oberschicht“ (Steve). Snyder's Figuren sind ironischerweise Stereotypen im Dienste eines Subtextes, dem er sich eigentlich nie wirklich annimmt. Seine Gesellschaftskritik (Konsumrausch, Sklaven der Industrie) und die damit einhergehende Metaphorik (Zombie-Horden = konsumgeiles Kollektiv) trägt „Dawn of the Dead" nämlich fortwährend etwas lustlos vor sich her. Bezug wird darauf - wenn überhaupt - nur noch in Randnotizen genommen.

Dieser Verzicht auf eine weiter ausformulierte Metaebene, kommt Snyder's Neuauflage dabei unwahrscheinlich zugute. So geht er mit dieser Maßnahme doch einem Vergleich zu seiner - in dieser Hinsicht deutlich besseren - Vorlage fast gänzlich aus dem Weg und kann sich vollends in seiner Daseinsberechtigung als (fast) reinrassiges Entertainment-Produkt zelebrieren. Und als solches funktioniert „Dawn of the Dead“ ausnahmslos, ohne jemals allzu große Schwächen zu offenbaren. Intro und Outro gehören zum Besten, was ich in letzter Zeit bestaunen durfte, die Musikauswahl ist ein Traum (Cheese, Disturbed und Cash in einem Soundtrack – awesome!) und die Darsteller sind allesamt glaubwürdig in Aufbau und Wandlung.

Gore- und Splatter-Elemente sind verhältnismäßig sparsam in das Geschehen eingestreut, tauchen dann aber in solch komprimierter Form auf, dass Snyder's Remake schon beinahe satirische Züge annimmt (deutlich zu viel des Guten: Der versehentliche Motorsägen-Einsatz während der finalen Fluchtfahrt). In seinen besten Momenten besticht „Dawn of the Dead“ dann durch eine ungeheure emotionale Intensität (der Abschied von Frank) und deutet an, was aus Snyder's Debüt hätte werden können, wenn dieser seine Prioritäten nur etwas anders gesetzt hätte. Doch vermutlich sind hier die Ansprüche an einen Regisseur, der uns Jahre später Filme wie „300“ und nicht zuletzt „Sucker Punch“ liefern sollte, schlichtweg zu hoch angesetzt. Snyder ist ein Mann für's Grobe, jedoch ohne je einen allzu plumpen Eindruck zu erwecken. Alles versprüht einen gewissen Charme, ist smart und ab und an kann Snyder sogar mit einem gewissen Maß an Cleverness aufwarten (die Autofahrt aus der Vogelperspektive).

Entledigt von jeglichem Anspruch und ironischen Spitzen, bleibt eine wenig ambitionierte, dafür aber überraschend spaßige Klassiker-Interpretation. Hollywood-Unterhaltung für Erwachsene. Nie dumm, aber auch nie wirklich clever. Snyder in Höchstform also.

6/10

Mittwoch, 3. Oktober 2012

"Dawn of the Dead" [US '78 | George A. Romero]

Bei allen Verdiensten hinsichtlich seiner tragenden Rolle im Subgenre des Zombie-Films und bei aller Gesellschaftskritik, bleibt mit „Dawn of the Dead“ (dt. "Zombie") doch in erster Linie spaßiger Zombie-Trash, wechselweise im A- (die Darsteller) und B-Movie-Gewand (die Gore-Effekte) daherkommend. Gerade aus seiner fast gänzlich fehlenden Einführung in die niedrigen Umstände der Zombie-Apokalypse, schöpft Romero einen unheimlichen Zug in der ansonsten eher spannungsarmen Dramaturgie. Dieser gelegentlichen Spannungsarmut, die mit den eher zur Trägheit neigenden Untoten einhergeht, weiß der Film jedoch mit einem herrlich-ironischen Augenzwinkern zu begegnen. Es entbehrt in diesem Zusammenhang schon nicht einer makaberen Komik, wenn einem geifernden Zombie die Schädeldecke mithilfe von Helikopter-Rotorblättern abgesäbelt wird oder die willenlosen Konsumsklaven in letzter Erinnerung an ihr vergangenes Leben mit der Rolltreppe fahren. Ohnehin sollte man Romero's „Dawn of the Dead“ bei allem kritischen Subtext nie allzu ernst nehmen.

Es ist vor allem Romero's Bildsprache, die das humoristische Potenzial der Geschichte perfekt mit den System-kritischen Aspekten vereint. Wenn die träge Zombie-Meute nach einer etwas wirren ersten halbe Stunde langsam ins Kaufhaus stolpert und sich diese in ihrem Verhalten so gar nicht von ihren lebenden Vorbildern unterscheiden, dann ist das ebenso überdeutlich, wie drastisch. Niemals hat jemand die Abkehr vom materialistischen Kapitalismus so deutlich auf die Leinwand gebracht wie Romero. So schnell alle Sorgen und Probleme angesichts des Überangebotes an Konsumgütern im einen Moment vergessen waren, holt sie die letztendliche Realität dann doch wieder ein. Das neu geschaffene Utopia entpuppt sich als existenzielles Placebo, als Schein-Dasein, das die zunächst vier Überlebenden zwar materiell vollkommen zu befriedigen vermag, aber sozial und psychisch zu leeren „Zombies“ macht. Konsum bedeutet letztlich also nur die kurzzeitige Ablenkung von gesellschaftlichen und sozialen Missständen. Dem Konsum-Apparat als System-dienliches Instrument setzt Romero in letzter Konsequenz den Chaos-fördernden Anarchismus entgegen.

Die immer wieder in das Geschehen eingestreuten Nachrichten-Ausschnitte nutzt Romero für die Zusammenstellung eines allgemeingültigen Regelwerks; Parameter, an denen sich bis heute unzählige Genre-Beiträge orientieren sollen. Und spätestens während der letzten zwanzig Minuten bittet Romero zur großen Zombie-Sause, dann rollen Köpfe, spritzt literweise Kunstblut und wird ausgiebig der Maßlosigkeit gefrönt. Beeindruckend ist auch während dieser Phase, wie Romero seiner Geschichte immer wieder neue Aspekte und Facetten abzuverlangen weiß: „Dawn of the Dead“ ist dann im einen Moment ein trashiges B-Movie, im anderen überraschend gut gespieltes Psychogramm und Verhaltensstudie, in der einen Sekunde zum brüllen komisch, zur anderen wieder zwischenmenschlich und dramatisch. Ein ebenso intelligenter, wie spaßiger, aber nicht vor einigen Längen gefreiter Genre-Meilenstein.

7/10

Montag, 1. Oktober 2012

Zuletzt gesehen: September 2012

"Rosemaries Baby" [US '68 | Roman Polanski] - 8/10

"Dawn of the Dead" [US, IT '78 | George A. Romero] - 7/10

"The Shining" [GB, US '80 | Stanley Kubrick] - 7.5/10

"Manche mögen's heiß" [US '59 | Billy Wilder] - 8.5/10

"Der Weiße Hai" [US '75 | Steven Spielberg] - 6/10

"Coraline" [US, UK '09 | Henry Selick] - 5.5/10

"Waltz with Bashir" [FR, IL, DE '08 | Ari Folman] - 7.5/10

"Adams Äpfel" [DK, DE '05 | Anders Thomas Jensen] - 7/10

"Ein (un)möglicher Härtefall" [US '03 | Ethan & Joel Coen] - 4/10

"Garden State" [US '04 | Zach Braff] - 7/10

"Truman Show" [US '98 | Peter Weir] - 7/10

"Paranoid Park" [US, FR '07 | Gus van Sant] - 6/10

"Infernal Affairs" [HK '02 | Wai Keung Lau] - 6/10

"Paris, je t'aime" [CH, DE, FR, LI '06 | u.a. Tom Tykwer] - 7/10

"Broken Flowers" [US, FR '05 | Jim Jarmusch] - 6/10

"The Sixth Sense" [US '99 | M. Night Shyamalan] - 4/10

"The Royal Tenenbaums" [US '01 | Wes Anderson] - 7/10

"Burn after Reading" [US '08 | Ethan & Joel Coen] - 5/10

Samstag, 29. September 2012

"Dogtooth" [GR '09 | Giorgis Lanthimos]

Es ist ein interessanter Gedanke vom autoritären System zwischen Gartenzaun und Eigenheim, den Regisseur Giorgis Lanthimos zumindest formal zufriedenstellend umzusetzen weiß: Ein zwei Meter hoher Zaun umgibt die Villa der Familie, das Haus erstrahlt in Suizid-verursachender Tristesse und die weißen Wände scheinen den Bewusstseinszustand der lethargischen Geschwister symbolisch repräsentieren zu wollen. Doch es mangelt an einem einschlägigen Konzept, an einem sprichwörtlichen roten Faden, stattdessen verliert sich das Geschehen zunehmend in der enormen Vielschichtigkeit der Ausgangsidee. Wir werden zwar zum Voyeur dieser perversen Versuchsanordnung gemacht und beobachten junge Menschen bei ihrer psychischen Verstümmelung, resultierend aus der sozialen Isolation durch den erschreckend gewöhnlich erscheinenden Vater, doch „Dogtooth“ opfert seine vielversprechende Ausgangslage zunehmend sexuellem Nonsense.

„Dogtooth“ erinnert in seinem depressiv-melancholischen Grundtenor und seiner kühl-distanzierten Inszenierung bisweilen an von Trier's „Melancholia“ und Haneke's berühmte Medien- und Gewaltkritik „Funny Games“. Neben den surrealistischen und oftmals völlig absurd anmutenden Dialogen zwischen den Familienmitgliedern, streut Lanthimos nicht selten auch schwarz-humorige Elemente in das Geschehen ein (die gesamte Familie, bellend vor dem Vater aufgereiht). Auf inhaltliche Klarheit oder gar Antworten zu der uns gebotenen Ausgangssituation, verzichtet der griechische Regisseur dabei völlig. Wir bleiben bis zum Ende ein Fremdkörper in einem Familiengefüge voller verquerer Ideale, absurder Reglements und bizarrer Wettkämpfe. Moralische Fragen stellen sich selten, weil die sich uns gebotene Welt als gegeben akzeptiert wird; als intakter Mikrokosmos, der beinahe einen perversen Sinn zu machen scheint. Seine finale Eskalation kündigt „Dogtooth“ dabei schon früh unterschwellig an, transportiert seine Intention aber mit der notwendigen Konsequenz. Und doch bleibt der dritte Spielfilm von Giorgos Lanthimos nicht selten ein filmisches Placebo, das sich leider allzu oft von jener vielschichtigen Faszination distanziert, die die unzähligen Ansätze boten und versäumt es damit, hier womöglich ein Meisterwerk des europäischen Arthaus-Kino zu schaffen.

7/10

Montag, 24. September 2012

"An American Crime" [US '07 | Tommy O´Haver]

Wenn sich Hollywood einer wahren Begebenheit annimmt, schwingt nicht selten die berechtigte Befürchtung der ungenierten Vorlagen-Schändung mit. Zu oft bewiesen übereifrige Filmemacher eindrucksvoll ihr fehlendes Gespür für die jeweilige Thematik. Tommy O'Haver aber wart mit seiner Verfilmung den Respekt vor diesem 1965 ereigneten Verbrechen, vor allem deshalb, weil er es versteht seine glänzende Inszenierung nie in den Mittelpunkt rücken zu lassen und auf eine übermäßige Dramatisierung gänzlich zu verzichten.

„An American Crime“ ist höchst subtiles Suspense-Kino, reinrassiger Psycho-Horror in seiner schlimmsten Form und doch fortwährend die seriöse Aufarbeitung von Kriminalgeschichte in nervös-fiebriger Atmosphäre. Die Wirkung, die „An American Crime“ erzielt, resultiert dabei weniger von der gezeigten Gewalt, als von jener schier unbändigen Wut, die die glänzend spielende Catherine Keener in ihrer unfassbaren Vielschichtigkeit zwar stetig suggeriert, aber nie offen darlegt. Sie ist das böse. Sie ist es, gegen das unsere Heldin (herausragend: Ellen Page) vorzugehen hat. Dem Zuschauer bleibt gar keine Wahl, er hat sich – seinem Gewissen und diversen Introjektionen folgend – auf ihre Seite zu stellen. Wir hoffen, wir bangen, wir zittern und wir trauern mit der bemitleidenswerten Sylvia. Und wir werden wütend, wenn wir das ihr angetane Leid erblicken.

O'Haver involviert uns emotional und darf sich spätestens mit Beginn des gezeigten Martyriums unserer vollen Aufmerksamkeit gewiss sein. Er generiert eine unglaubliche Wut auf alle, die sich unserer Protagonistin entgegenstellen und lässt damit eine ungewöhnlich starke – wenn auch primär durch Mitleid bestimmte – Bindung zu dieser entstehen. Und doch lässt O'Haver's kühle Inszenierung eine eigene kritische Betrachtung des Gezeigten und vor allem die alles entscheidende Frage zu: Was würde ich tun?

Die wahre Natur des Menschen ist in „An American Crime“ eine zutiefst bösartige. Der Mensch ist verkommen, ein Sadist und Voyeur, ein Gewalttäter und vor allem jemand, der all seine moralischen Prinzipien im Dienste des Kollektivs über Bord wirft – ein Mitläufer also. Als Instrument dient die Angst. Angst vor Isolation, Angst vor Gewalt und gesellschaftlichen Unverständnis. „An American Crime“ ist damit vor allem ein beeindruckendes Zeugnis für jene Gruppendynamik, die unter einer autoritären und von völlig absurden Welt- und Feinbildern geprägten Instanz entstehen und wachsen kann. Sie bringt das Schlimmste im Menschen zum Vorschein und O'Haver begeht nicht den Fehler, das Verhalten seines schweigenden und das Verbrechen tolerierenden Kollektivs als Resultat der alles bestimmenden Angst zu erklären.

Der unbändige Drang nach Dekonstruktion, nach Gewalt und damit auch nach dem damit einhergehenden Leid, wird in „An American Crime“ als Teil unserer Natur angesehen. Unbegreiflich, aber fortwährend präsent. Es ist weniger der Ur-Trieb des Selbstschutzes, der die Gruppe junger Gewalttäter antreibt, es ist ihre Natur, ein immer beständiger Atavismus nach Zerstörung. Es sind somit weniger die Figuren interessant, als ihr archetypisches Verhalten, das O'Haver sorgfältig seziert, analysiert und letztlich auch reflektiert. Dennoch – und das macht „An American Crime“ zwar weniger radikal, dafür aber weitaus optimistischer – führt der US-Amerikaner das Verbrechen auch auf soziale Aspekte zurück: Sylvia dient als Projektionsfläche für Aggressionen, für Unzufriedenheit und beendet die Suche nach einem Schuldigen. Historisch belegtes Gruppenverhalten.

Schockierender wird „An American Crime“ durch die Instrumentalisierung von Kindern. Junge Menschen sind formbarer und empfänglicher für Ideologien, vor allem aber für Feinbilder. Aber auch hier weiß O'Haver zu differenzieren und zeigt Unterschiede zwischen einzelnen Gruppenmitgliedern und deren Verhaltensweisen auf. Selbst autonome Individuen scheinen am Ende machtlos gegen den Strom der Allgemeinheit. Denn selbst Zivilcourage ist nach Eintreten des finalen und perfekt getimten Twist nur eine Illusion. Sie wird als Wunschvorstellung deklariert. Als nie wirklich existente Option. Genugtuung erfährt der Zuschauer erst am Ende und auch dort nagt weiterhin die bohrende Frage an uns: Was würde ich tun? Der Zuschauer erfuhr eine moralische Läuterung. „An American Crime“. Ein filmisches Mahnmal, nahe der Perfektion.  

8/10

Dienstag, 18. September 2012

"Die zwölf Geschworenen" [US '57 | Sidney Lumet]

Fiebriges Kammerspiel, welches sowohl die Schattenseiten, als auch die Chancen eines juristischen Systems, vor allem aber der darin agierenden Figuren und deren auferlegte Verantwortung thematisiert. Trotz der fortwährenden, räumlichen Statik, bleibt der Weg zur Wahrheitsfindung immer ein interessanter, nicht zuletzt aufgrund des glaubwürdigen Schauspieler-Ensembles und deren Figuren, die sich alle – ausgenommen einer Ausnahme – auf einer Ebene bewegen. Lumet's Film liest sich dabei vor allem als Mahnung zu mehr Verantwortung, sensibilisiert aber gleichzeitig auch die Wahrnehmung der eigenen Rolle innerhalb einer exekutiven Institution. Die Leichtigkeit mit der eine Gruppe gewöhnlicher Bürger, die allesamt den Gesetzen der Gruppendynamik und der damit einhergehenden Psychologie unterliegen, eine Hinrichtung verabschieden können, kann aber auch als kritisches Statement gelesen werden. Die große Stärke von „Die zwölf Geschworenen“ liegt jedoch in erster Linie darin, dass Lumet auf eine einschlägige Wertung des Geschehens verzichtet. Damit endet der Film nicht etwa mit der Sichtung, sondern erst mit der Beantwortung der Fragen, die sich für jeden Einzelnen nach der Urteilsverkündung ergeben. Denn mehr als ein Tatsachenbericht will und darf der Film nicht sein, er dient vielmehr der Eröffnung eines Dialogs, einer Diskussion über ein System, das bis heute Bestand hat und damit auch einer gewissen Brisanz und Aktualität nicht entbehrt. Dem eskapistischen Charakter des Kinos seiner Generation verweigert sich der Film dabei völlig und lässt die Leinwand zur wertfreien Diskussionsplattform mutieren. Ein außergewöhnliches, wichtiges und gänzlich zeitloses Stück Filmgeschichte.  

9/10

Freitag, 14. September 2012

"The Thing" [US '82 | John Carpenter]

1982, als der Hype um Ridley Scott's „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ allmählich verklungen war und Spielberg's „E.T. - Der Außerirdische“ zum Kassenschlager avancierte, schien kein Platz zu sein für einen Carpenter und seine Interpretation vom Horror aus dem All. Die Idee eines alles auslöschenden, parasitären Fremdlings war nicht weiter originär und der Erfolg von „E.T.“ machte es deutlich: „The Thing“ musste zwangsläufig floppen, der Zeitgeist war ein anderer. 

Der Faszination des Alls wurde durch Scott's wegweisendes „Alien“-Projekt zwar endgültig die Unschuld genommen und der Science-Fiction-Horror war längst Mainstream-tauglich geworden, jedoch weckte Spielberg mit seinem Familienabenteuer anscheinend verborgene Sehnsüchte nach einer Rückkehr zu jenen Zeiten, als das All noch ausschließlich als Schauplatz für groß angelegte Space-Operas und bombastische Sternenkriege fungierte. Größere Aufmerksamkeit erweckte „Das Ding aus einer anderen Welt“ (dt. Titel) erst Jahre später, als sich die auf dem '51 erschienenen „The Thing from another World“ beruhende Neuinterpretation in Fankreisen langsam als Geheimtipp etablierte. Seitdem genießt Carpenter's Body-Horror Kultstatus und gilt neben dem Slasher-Genre-begründenen „Halloween“ als Carpenter's einflussreichste Arbeit im Horrorgenre.


„The Thing“ ist ein weiterer Beweis dafür, dass sich wirkliche Qualität und die absolute Hingabe eines Regisseurs für das zugrundeliegende Sujet, früher oder später durchsetzt und angemessen honoriert wird („Blade Runner“ gilt heute als Meilenstein). Fernab generischer Einheitsmixturen und unverblümter Exploitations-Orgien, schuf John Carpenter seine ganz eigene, unverwechselbare Version von „The Thing from another World“, bettet das Geschehen in eine klug gestaltete, aber nie überfrachtete Szenerie ein und stellt dem bösartigen Eindringling – wie Scott es schon bei „Alien“ tat – eine Gruppe rational denkender und überlegt agierender Wissenschaftler gegenüber. Ein Duell, das mehr oder weniger auf Augenhöhe stattfindet und dem von klischiert-blöden Teenie-Slashern frustrierten Publikum eine enorme Identifikationsfläche bietet. So bleibt das Verhalten der ungewohnt großen Darsteller-Riege nicht nur fortwährend wohl überlegt, sondern erfährt auch eine glaubwürdige Entwicklung, die von den ersten Opfern und der zunehmenden Paranoia herrührt. 

Die Kontingenz der Geschichte, zum einen bedingt durch die Tatsache, dass mit Kurt Russell zwar eine Figur eine gewisse Zentrierung erfährt, jedoch fortdauernd der Bestandteil eines Kollektivs bleibt, sowie die ersten Todesfälle und deren scheinbare Willkür, sorgen für ein immenses Spannungsgefühl. Es gebührt Carpenter schon einiges an Respekt, dass es ihm selbst nach dem etwas zu frühen Auftritt des außerirdischen Parasiten gelingt, regelmäßig den nötigen Suspense zu evozieren, um im nächsten Moment wieder durch die brachial-eklige Maskenarbeit gänzlich andere Akzente zu setzen.

„The Thing“ spielt nicht – wie „Alien“ in seinem ersten Abschnitt – mit dem Verborgenen, mit der Fantasie des Rezipienten also, sondern bleibt – sich der Kommunismus-Parabel des Originals vollkommen entledigt – ein überraschend simpler und direkter Horrorspaß, der jedoch allzu schnell zur etwas platten Effekte- und Maskendemonstration gerät. Carpenter zeigt zwar abgerissene Hände, glitschige Organe und skurril gestaltete Fleischhaufen, jedoch kommt der berühmte Horror im Kopf oftmals zu kurz. 

Der US-Amerikaner versäumt es, sich die Fantasie des Zuschauers zu Nutze zu machen, sondern macht das Unvorstellbare sichtbar. Carpenter zeigt alles, was es zu zeigen gibt und beraubt „The Thing“ damit um einiges an Potenzial. Denn anstatt mit den Erwartungen des Zuschauers zu spielen, gängige Genre-Mechanismen gekonnt auszuhebeln, sowie ab und an auf die Vorstellungskraft des Zuschauers zu setzen, konzentriert sich Carpenter in erster Linie auf ein zwar wenig subtiles, aber immer noch eindrucksvolles Gekröse. Das ist unterhaltsam, kreativ gestaltet sowieso und fast durchgängig atmosphärisch in Szene gesetzt, aber nie all seine Möglichkeiten ausschöpfend. Dennoch bleibt mit „Das Ding aus einer anderen Welt“ ein Horrorfilm, der - überraschend gut gealtert und noch heute visuell beeindruckend - völlig zu Recht in den Kreis der bekanntesten Genre-Klassiker gezählt werden darf und bis heute (vermutlich) nichts von seiner ursprünglichen Faszination verloren hat.  

7/10