„Game of Thrones“ hat nach sieben
Jahren endgültig seine Geduld verloren. Und was sich mit der fünften Staffel schon klar
abzeichnete, wird nun mehr denn je deutlich: Die Serie vollzog nach
vier Staffeln, in denen es sich mal mehr, mal weniger stark
ausgeprägt den Buchvorlagen Martins verpflichtet sah, einen
Paradigmenwechsel. Das Schicksal der Spieler im „Game of Thrones“
liegt nicht länger in den Händen eines kreativen Urvaters in einem
Arbeitszimmer irgendwo in Santa Fe, sondern wird von einer Handvoll
fleißiger Schreiber beim US-Bezahlsender HBO besiegelt – auch
immer unter dem Eindruck von Marktanalysen, Feedback-Evaluation und
Quotenmessungen. Mit der Vision eines Schriftstellers mag das
intrigante Spiel auf Westeros also begonnen haben, aber es wird im
kommenden Jahr mit Sicherheit ohne einen solchen beendet.
Am Ende des kreativen Vakuums, das die
fehlenden Vorlagen Martins hinterlassen haben, steht damit auch die
Ablöse des einen kreativen Modells durch das andere. An die Stelle
einer individuellen Schaffensvision rückt, auch schon bedingt
ausgelöst durch den Transfer vom einem Medium ins andere, die
kreative Kollaboration und das künstlerische Werk als
Gemeinschaftsarbeit. Und auch ohne diese grundverschiedenen,
kreativen Modelle gegeneinander ausspielen zu wollen, wird
deutlich, dass „Game of Thrones“ schon längst zwei Identitäten
lebt. Aus einer Serie, die sich immer wieder wütend von ihrem
Zuschauer abwandte und ihn alleine im Regen stehen ließ, ist eine
Serie geworden, die diesen nun regelmäßig in einer umsorgenden, mütterlichen Geste fest in die Arme schließt. Und so spannend
es für viele sicherlich gewesen wäre, zu sehen, wie sich die
Geschehnisse auf Westeros in der Vision Martins ausgestaltet hätten,
zumindest auf dem Fernsehbildschirm wird diese Vision niemals
sichtbar sein. Stattdessen gibt es Staffel 7: ein teures
Lizenzprodukt und eine höchst schizophrene Serien-Erfahrung.
Ein Lied von Logik und Konsistenz
Kriegshandwerk und militärische
Strategien waren in „Game of Thrones“ schon immer mindestens
fragwürdig, in seinen Details gerne in den Hintergrund verbannt und
letztendlich vor allem dem Schauwert verpflichtet gewesen. Zeit hatte
in diesem Rahmen immer relativen Charakter, ebenso klare Werte zu
Truppenstärken und militärischer Infrastruktur der verschiedenen
Parteien. Hier blieb die Serie immer konsequent Soap-Opera und
überhaupt nicht interessiert an „Hard Fantasy“. Manche Figuren
verbrachten auf ihrer Reise jenseits der Mauer eben ganze Staffeln im
Dunkeln des Offs, andere, zentralere Figuren rasten dagegen mit der
ICE-Direktverbindung durch Westeros.
Gerade in der neuen Staffel macht es
jedoch den Eindruck, als hätte plötzlich eine ganz Reihe von
Charakteren einen Teleport für sich entdeckt, um in jeder noch so
ausweglosen Lage, den Drehbuchautoren und ihren
Handlungskonstruktionen beistehen zu können. Skeptiker jeder
Logik-Kritik werden an dieser Stelle sicherlich gerne auf die wenig
erläuterten Zeitebenen der Serie hinweisen oder fragwürdige
Truppenbewegungen über die Zugehörigkeit zum Fantasy-Genre
entschuldigen. Oder sie werden behaupten, solcherlei Inkonsistenzen
seien nicht weiter wichtig, weil sie einem ernstzunehmenden
Kunstverständnis ohnehin grundlegend widerstreben (- nicht selten
gründet sich diese Argumentation auf einer Aversion gegenüber jenen
(vor allem amerikanischen) Plattformen, die sich eine solche Form der
Kritik auf die Fahnen geschrieben haben).
Natürlich muss sich eine Drama-Serie
und große Oper wie „Game of Thrones“ nicht für jeden Zufall und
jede Figurenbewegung erklären – ganz und gar nicht. Genauso wenig
sollte aber auch jeder Anspruch nach innerweltlicher Konsistenz
fallengelassen werden. Es fällt nämlich zunehmend schwerer, sich in
den Meta-Themen, Figuren-Motiven und politischen Spielzügen zu
verlieren, wenn man erkennt, mit welch einfachen Mitteln die Autoren
versuchen, Bewegungen und Entwicklungen in der Serie auszulösen. Ein
abermaliges Wiedersehen zwischen Tyrion und Jaime, eine potenziell
hochspannende, emotional glaubwürdig hergeleitete
Figuren-Konfrontation und ein wahres Dilemma, fädeln die Autoren
beispielsweise auf die denkbar komplizierteste Weise ein, wo sich
eine Begegnung beider Figuren nach der Schlacht in Episode 4 sowieso
schlüssig ergeben hätte.
Dieses Beispiel steht exemplarisch für ein Problem dieser Staffel: der Blödsinn ergibt sich in den seltensten Fällen aus einer verzwickten, narrativen Lage heraus, sondern ist ganz offenkundig vermeidbar. Und sie reißen nicht nur aufgrund einiger fragwürdiger Truppenbewegungen aus der Wirklichkeit der Serie, sie entwerten auch Figuren und ihre Biographien, wenn sie Komplikationen erzeugen wollen, wo sich eigentlich keine logisch ergeben und Fähigkeiten behaupten, die die individuellen Handlungsweisen konterkarieren. Wie kann man darauf vertrauen, dass die Autoren die Meta-Themen der Serie klug weiterführen, wenn sie schon an oberflächlichen Figurenbewegungen zu scheitern drohen?
Dieses Beispiel steht exemplarisch für ein Problem dieser Staffel: der Blödsinn ergibt sich in den seltensten Fällen aus einer verzwickten, narrativen Lage heraus, sondern ist ganz offenkundig vermeidbar. Und sie reißen nicht nur aufgrund einiger fragwürdiger Truppenbewegungen aus der Wirklichkeit der Serie, sie entwerten auch Figuren und ihre Biographien, wenn sie Komplikationen erzeugen wollen, wo sich eigentlich keine logisch ergeben und Fähigkeiten behaupten, die die individuellen Handlungsweisen konterkarieren. Wie kann man darauf vertrauen, dass die Autoren die Meta-Themen der Serie klug weiterführen, wenn sie schon an oberflächlichen Figurenbewegungen zu scheitern drohen?
In einer Figur wie Euron Greyjoy fügen
sich die Probleme dieser Staffel zusammen: Dem weit gefächerten
Figuren-Pool von Westeros fügt sie nichts spannendes hinzu,
stattdessen ist ihre Daseinsberechtigung ausschließlich strukturell
begründet (und nicht ohne Grund fast ausschließlich auf die erste
Hälfte der Staffel beschränkt). Ebenso naheliegend gespielt wie
konzipiert, scheint sie schlussendlich das selbe Schicksal wie einem
Ramsay Bolton vergönnt. An die Seite einer arroganten, endgültig
bösartigen, weil fast ohne unmittelbaren Kontext agierenden Figur wie Cersei, nach Jahren kontinuierlicher
Charakterentwicklung von Lena Headey nur noch mit zwei Blicken
gespielt, und ihrem hoffnungslos vernarrten, etwas weniger arroganten
Liebhaber/Bruder mit Euron einen ähnlich arroganten, bösartigen
Charakter zu stellen, ist in erster Linie öde und eher klaren
Feindlinien zuträglich, statt den sonst so ambivalenten
Beziehungsstrukturen der Serie.
Der Figur des Euron kommt dabei auch
noch die Funktionsweise eines deus ex machina zu. Sie ist keine
inspirierte Figuren-Idee, sondern in erster Linie ein pragmatisches,
erzählerisches Element, um leicht durchschaubare, dramaturgische
Strukturen zu schaffen. Diese Praktik fand auch in den vergangenen
Staffeln immer wieder Anwendung (Battle of the Bastards), ließ sich dort
aber zumindest halbwegs verargumentieren. Euron und sein aus dem
Nichts entstandener Flottenverband kann nun wie einst die Black Pearl
mit einem Mal aus dem Nebel des Krieges auftauchen und jedes
dramaturgische Hemmnis ausradieren. Eigenen Spekulationen und
Prognosen wird damit jede Grundlage entzogen. Nicht, weil die Figuren
so komplex und die Intrigen so fein gesponnen sind, sondern weil die
Autoren zu Göttern mutieren, die jede Unbequemlichkeit mit einem
Federstrich eliminieren können, ohne sich jenen Parametern zu
verpflichten, die sie zu Anfang noch postuliert haben. Es kann alles
passieren, wenn im Spiel der Throne plötzlich keine Regeln mehr
gelten.
Figuren-(Un-)Tiefen und die Gewalt des
Todes
Eine der schöneren Erkenntnisse dieser
Staffel: Emilia Clarke und Kit Harrington funktionieren wunderbar
miteinander - nicht zuletzt deswegen, weil ihre Figuren sich in ihrem
jeweiligen Gegenüber wiedererkennen können. Beide eint ein
jugendlicher Eifer, der plötzlich an der harten Wirklichkeit des
Regierungsalltags seine Grenzen erfährt und beide machen eine
Verletzlichkeit sichtbar, die die immense Verantwortung ihrer Figuren
glaubwürdig auszudrücken vermag. Während Daenerys den eiskalten
Blick einer unnahbaren Monarchin mittlerweile bis zur Perfektion
beherrscht und Clarke immer gekonnter zwischen königlichen Gesten
und kindlicher Verunsicherung oszilliert, führt Jon
Bündnisverhandlungen nach wie vor mit süßem Hundeblick.
In ihren ersten Begegnungen spielen die
Macher beinahe alle Stärken der jeweiligen Parteien aus. Dem
übertriebenen royalen Gestus von Daenerys begegnet Chefberater Davos
Seaworth mit nordischem Unterstatement. Der Humor ergibt sich hierbei
vor allem glaubwürdig aus den Figuren, ebenso wie die politischen
Forderungen der potenziellen Allianzparteien. Im Thronsaal auf
Dragonstone wird harte Außenpolitik betrieben, aber unter dem
Eindruck innenpolitischer Erwägungen in einem klaren
Sinnzusammenhang verortet. Hier zeigt sich eine der großen Stärken
der Serie, nämlich Politik aufs unterhaltsamste zu komprimieren und über
seine Figuren zugänglich zu machen. Daenerys und Jon dürfen klare
Kante zeigen und trotzdem ihr Gesicht wahren, weil Davos und Tyrion
ihrem Naturell entsprechend, diplomatische Kompromissbereitschaft
signalisieren. Der G2-Gifpel auf Dragonstone beginnt mit dem
tödlichen Blick einer jungen Königin und endet mit dem leichten
Lächeln eines Mädchens, das ihren neuen Crush überhaupt nicht
mehr gehen lassen möchte. Wer hier von fehlender Chemie spricht, hat
die falsche Serie gesehen.
Auch die Rolle des Todes hat sich mit
der siebten Staffel noch einmal verändert. Fast zwangsläufig ist
die Serie nach Jahren der ebenso überraschenden wie gewaltsamen
Figuren-Tode berechenbarer geworden. Vor allem im Überfall des
Versorgungszuges der Lannisters aus Episode 4 keine der mitunter
weniger relevanten Figuren sterben zu lassen, ist erstaunlich.
Chancen dafür gab es genug, stattdessen aber wurde der nahende Tod
angedeutet, zugespitzt, um dann doch in der letzten Sekunde vereitelt
zu werden. Ein dramaturgisches Mittel ("Plot-Armor"), die die Autoren dieses Jahr
fast ad absurdum führen: Jaime entrinnt in allerletzter Sekunde dem
qualvollen Verbrennungstod durch Bronns rettende Tat, welchem kurz
zuvor beinahe selbst die Augenbrauen abgesenkt worden wären, und Jon
Snow muss in der abermaligen Konfrontation mit dem Night King fernab
der Mauer gleich zweimal (!) durch fix herbeigeschriebene deus ex
machina vor dem erneuten Tod bewahrt werden.
Jeder Tod, so scheint es, müsse nun
unheilvoll angekündigt und episch vollzogen werden. Jeder Charakter
aus dem kontinuierlich schmaler werdenden Figuren-Pool ist inzwischen
Kapital geworden; Munition, die sparsam verwendet werden muss, um das
Sterben oder Nicht-Sterben einer geliebten Figur als Cliffhanger
maximal profitabel zu machen. Die Beiläufigkeit des Todes, die
Willkür und die schmerzhafte Gewalt der Überraschung ist „Game of
Thrones“ nun schon seit längerer Zeit abhanden gekommen. Einfach
so stirbt hier niemand mehr.
Gut gegen Böse
Jenseits der Mauer lauert jedoch nicht
nur der Tod, sondern auch das eigene Schicksal. Gerade durch die
Figuren der Brotherhood without Banners bekommt „Game of Thrones“
einen ganz konkreten religiösen Überbau. Beric Dondarrion und seine
Leute überantworten sich einer wie auch immer gearteten göttlichen
Präsenz (God of Light) und einem Determinismus, der sie zu
Erfüllungsgehilfen für einen höheren Zweck degradiert. Dem
möglichen Dahinscheiden der Figuren wird in der Serie mehr denn je
Sinn verliehen. Sie dürfen sich opfern, in der Hoffnung zumindest
ihren auserwählten Anführer retten zu können. Jeder Tod dient
inzwischen einem höheren Zweck und spiegelt damit auch
die Entwicklung der Serie wieder, sukzessive von Low zu High-Fantasy
zu tendieren.
Zwangsläufig erscheint es also fast,
dass „Game of Thrones“ sich in seinen Strukturen nicht nur
entschlacken, sondern auch vereinfachen muss. Dem Feuer - dem Leben -
dem Guten steht das Eis - der Tod - das Böse entgegen. Westeros
teilt sich nach Jahren interner Machtkämpfe in zwei Lager auf. Die
Spieler des Game of Thrones verbrüdern sich in dem Moment, in dem
eine externe Bedrohung sich nicht nur weigert, die Spielregeln zu
befolgen, sondern das System des Spiels selbst umzustürzen droht.
Unter dem Eindruck der weltenverändernen Konsequenzen, die von den
Walkern und ihrem mysteriösen Anführer ausgehen, gerinnt der Kampf
um den Eisernen Thron zu einer Nebensächlichkeit, die Bündelung
aller verbliebenen Kräfte zu einer absoluten Notwendigkeit.
Jon Snow und Daenerys Targaryen werden
in diesem Konflikt mehr und mehr zu mythologischen Gestalten. Die
Drachenkönigin steigt im großen Finale der vorletzten Episode auf
dem Rücken eines riesigen Wyvern aus dem gleißenden Himmel herab
und errettet Jon und seine Jünger vor den Armeen des Todes. Der
weltliche Machtkampf, angetrieben von den allzu weltlichen Gelüsten
und Lastern, spielt eine immer kleinere Rolle, je außer-weltlicher
die Bedrohung für diese Welt wird und damit auch die Mittel, die es
braucht, um diesen etwas entgegensetzen zu können. „Game of
Thrones“ fährt die ganz großen Geschütze auf und hätte die
Chance zu einer neuen, nicht minder reizvollen Identität zu finden.
Die Reduktion der Konfliktstrukturen
muss nicht bedeuten weniger anspruchsvolle Unterhaltung bieten zu
können. Und eine in sich geschlossene, konsistente Welt ist nicht
unvereinbar mit dem neuen, erzählerischen Tempo der Serie. Aber
bisher finden die Macher bei allem Schauwert selten die wirklich
großen Bilder. Die Serie ist ein globales Großereignis geworden,
mehr denn je diktiert von seinen Zuschauern, seinen Vorlieben und
Erwartungen. Und sie speist sich mehr denn je aus dem Kapital
früherer Staffeln. Sie ist nicht die Serie, in die ich mich einst
verliebt habe, beherbergt aber viele Figuren, in die ich nach wie vor
vernarrt bin. Eine schizophrene Lage, die ich gerne gewillt bin für
eine weitere Staffel auszuhalten.