Ich hatte dann doch etwas gänzlich anderes von „The Sopranos“ erwartet. Vielleicht eine Mischung aus
„The Godfather“ und „Goodfellas“ im modernen „Eastern
Promises“-Look; mit viel Gewalt, nackter Haut und blutigen
Intrigen. Was ich schließlich geboten bekam, versagte sich meinen vagen Erwartungen jedoch völlig. Zum einen war da
zwar exakt jene gesetzlose Welt, die ich aus eingangs erwähnten Filmen
kannte, zum anderen aber auch etwas viel gewöhnlicheres: Die Welt
der Sopranos war um einiges authentischer, alltäglicher und ja... irgendwie auch komischer.
Tony Soprano (köstlich: James
Gandolfini) war nicht der Godfather, er war in vielerlei Hinsicht ein
ziemlich gewöhnlicher Familienvater, mit den selben Problemen und
Alltagssorgen. Die Ambivalenz seiner Figur steht dabei repräsentativ
für die gesamte Serie. Der Kontrast zwischen Alltagsbanalitäten und
Mafia-Geschäften ist es, der „The Sopranos“ deutlich von seinen
oft zitierten Vorbildern unterscheidet (absolut auf den Höhepunkt
getrieben (Spoiler alert!): Tony Soprano ermordet, während er mit
seiner Tochter auf der Suche nach einem College-Platz ist, mal eben
ein ehemaliges Mafia-Mitglied).
Dessen Gespräche mit seiner
Psychologin Dr. Melfi (stark und verletzlich: Lorraine Bracco) bilden
einige Male den zentralen Ausgangspunkt für den weiteren Verlauf der
Geschehnisse innerhalb einer Episode. Sein Spiel bildet das Herzstück
der ersten Staffel, fortwährend hin- und hergerissen zwischen
familiären Pflichten und städtischer Müllentsorgung. „The
Sopranos“ bedient dabei ganz bewusst Genre-Klischees (der angeblich
von Coppola erfundene Augenschuss) und etabliert diese entweder als
fortwährend auftauchende Running Gags (grandios: „Just when i
thougt i was out, they pull me back in.“) oder greifen diese immer
wieder in Streitdiskussionen auf (die Restaurant-Besitzer und ihre
Beziehung zur Mafia).
Sowohl die Figurenkonstellation, als
auch die überschaubare Anzahl unterschiedlicher Charaktere, erweist
sich dabei als eine unfassbar ambivalente Angelegenheit (die Gefahr
und gleichzeitige Abhängigkeit von einer Psychologin; die zunehmende
Problematik Moral und Geschäft in Einklang zu bringen). Die
innerliche Zerrissenheit von Tony Soprano stellt dabei den wohl
interessantesten Aspekt der Serie dar. Einerseits ständig in der
Pflicht bei seinen Kindern als moralische Instanz zu fungieren (man
beachte bei der Verwendung des Wortes „fuck“ einmal die
Diskrepanz zwischen Mafia-Büro und kuscheligem Eigenheim),
andererseits aber unter völlig anderen moralischen und ethnischen
Maßstäben bei seinen Geschäften entscheidend. Dass Tony versucht
seine Kinder von einem System fernzuhalten, dem er sich selber
unterworfen hat und deren ungeschriebene Reglements er ohne zu Zögern
befolgt, ist dabei eine der vielen weiteren ironischen Randnotizen.
Getragen wird David Chase's
HBO-Goldstück jedoch in erster Linie von seinem hervorragenden
Darsteller-Ensemble (mein persönlicher Liebling: Steven Van Zandt).
Von der leider verstorbenen Nancy Marchand als wunderbar bösartige
Livia Soprano, bis hin zur zauberhaften Jamie-Lynn Sigler als Tony's
Teenager-Tochter ist Chase's Mafia-Saga großartig besetzt.
„The Sopranos“ ist ein weiterer
Beweis dafür, dass sich Serien schon seit etlichen Jahren nicht mehr
vor hochwertig produzierten Spielfilmen zu verstecken brauchen.
Season 1 deutet schon einmal an, wohin die Reise mit den Sopranos
gehen könnte. Nach dem eher zurückhaltenden Staffel-Finale und der
ruhigeren Gangart, scheinen sich die Macher die ganz großen Momente
für die folgenden Staffeln aufgehoben zu haben. Und wenn Tony
Soprano gemeinsam mit seiner Familie das Weinglas erhebt und auf die
Vergänglichkeit dieses Momentes hinweist, scheint es, als würde er
damit auf all das Unheil hindeuten wollen, welches uns die nächsten
fünf Staffeln zwangsläufig zu erwarten hat...
7/10