Samstag, 24. Mai 2014

"Tyrannosaur" [UK '11 | Paddy Considine]

Formschön eingerahmtes Festivalfilmchen; sieht genauso aus, fühlt sich genauso an. Gewidmet wird sich den Verlieren eines Sozialsystems und den Schatten die sich allmählich über den Elfenbeinturm mittelständischen Spießbürgertums legen. Ansonsten sind die Plattenbausiedlungen und kuscheligen Eigenheime bevölkert von wandelnden Klischees. Denn über seine beiden engagierten Hauptfiguren hinaus, geht bei „Tyrannosaur“ eigentlich wenig. Die Rollen sind von Anfang an klar verteilt, damit der „ungewöhnlichen“ Liebesgeschichte auch ja nichts im Wege steht. Der Tod des Gatten kommt da eigentlich schon ganz gelegen, wurde die Welt doch nur von einem weiteren Frauen-prügelnden, manipulierend herumwinselnden Arschloch befreit, das seiner Frau nach einer durchzechten Nacht sogar ganz wörtlich ans Bein pisst – ganz zu schweigen vom penetranten Bestreben dessen Schikanen auch noch dramaturgisch aufzuziehen und zu einem fatalen Höhepunkt (plus Glas-Scherben) zu treiben. „Tyrannosaur“ ist nicht besser, weil er seinen Platz in einer Nische gefunden hat und als Underdog zu unverhofftem Erfolg geriet, denn er besitzt die selben Strukturen und verfährt nach üblichen Mustern: Zeiten, in denen kurz das Glück regiert und die trist-graue Scheißwelt ganz plötzlich in ungeahntem Licht erstrahlt, werden ganz abgedroschen mit rauer Gitarrenmusik unterlegt, während das glückliche (weil selig lächelnde) Schablonen-Kollektiv in Bierlaune die Gläser erhebt – mit den einfachen Leuten lässt sich ja sowieso viel besser Party machen. 

4/10

Mittwoch, 21. Mai 2014

"Pocahontas" [US '95 | Mike Gabriel]

Die zugrundeliegende Historie um John Smith (hier: ein herzensguter Blondschopf, synchronisiert von Mel Gibson), Häuptlingstocher Pocahontas und die Gründung von Jamestown derart frei zu interpretieren, birgt immer seine Gefahren, gerade wenn es darum geht, Kindern wichtige historische Zusammenhänge zumindest im Kern korrekt und verständlich näher zu bringen. Ob nun also jede Figur der (teilweise auch nur zu vermutenden) historischen Fakten entspricht, ist dabei erst einmal irrelevant, solange der bestimmende Konflikt und all seine Implikationen in seiner Gesamtheit richtig wiedergegeben wurden. In dieser Hinsicht muss sich ein Kinderfilm wie „Pocahontas“ (der in vielen Dingen sinnvoll vereinfachen muss) nichts vorwerfen lassen, besteht doch nie ein ernsthafter Zweifel daran, dass zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung immer zwei Parteien gehören, von denen beide irgendwann ihre Fehler begangen haben, ohne die Taten der weißen Entdecker, die ihm Namen der Krone Land für sich beanspruchten, allzu sehr zu entschärfen. Abseits davon, darf hier einigen der schönsten Disney-Songs überhaupt gelauscht werden und auch der Gänsehaut muss sich während des naiv-schönen Final-Plädoyers nicht geschämt werden. Denn „Pocahontas“ ist immer wunderbar esoterisch, geradezu abartig makellos komponiert und geht – und einmal wird das wohl gesagt werden dürfen – direkt ins Herz. 

8/10

Samstag, 17. Mai 2014

"A.I. - Artificial Intelligence" [US, UK '01 | Steven Spielberg]

Verrückter Film. Nach wie vor weiß ich „A.I. - Artificial Intelligence“ nicht so wirklich einzuschätzen. Bis ein herrlich aufgekratzt spielender Jude Law die Bildfläche betritt und der Wahnsinn in Rouge City erst wirklich seinen Lauf nimmt, lässt mich Spielberg's biederes Darsteller-Gerangel nämlich erstaunlich kalt. Begeben sich der starke Oswalt – der als Kind wohl tatsächlich seine schauspielerischen Glanzzeiten verlebt haben dürfte – und der exaltiert herumblödelnde Law erst einmal auf ihr ganz eigenes Pinocchio-Abenteuer, mitsamt all der verrückten Gestalten (Teddybär), den Plastik-artigen Set-Bauten und grellen Neon-Lichtern, offenbart sich ein Regisseur, der sich wohl tatsächlich ein Stück weit neu erfunden hat. Mutig ist es sowieso gewesen diese trashige Märchenstunde dem amerikanischen Mainstream-Publikum als profiliertester Hollywood-Regisseur der vergangenen dreißig Jahre einfach mal so vor den Latz zu knallen, obwohl das etwas schachtelartige Finale in einem immer etwas zerstückelten, unrunden Film (Produktionsgeschichte) wieder viel zu lange, viel zu verkitschte Szenen hintereinander aufreiht. Aber – und das stimmt dann doch eher positiv – Spielberg vermag noch zu überraschen, ist fähig über eigene Grenzen hinauszugehen und einfach mal verrückte Experimente zu veranstalten; da darf – nein, muss am Ende auch mal ein verrückter Film wie „A.I.“ dabei herauskommen. 

5.5/10

Samstag, 10. Mai 2014

"Night of the Living Dead" [US '68 | George A. Romero]

Die Arbeit eines Liebhabers ist dieser „Night of the Living Dead“; und die Arbeit eines Könners. Eine Genre-(Tot-)Geburt voll expressiver Ausdruckswut und schlürfenden Seelenlosen. Kaltes Fleisch, Klaustrophobie-geschwängerter Rückzugsort, schleichende Schattengestalten. Obama-Schwarze, Bush-Weiße, Fleisch-fressende Gören. Und nutzlose Blondinen. Ein Freizeit-Projekt gibt einer Branche die Richtung vor und erreicht ein beachtliches Maß an handwerklicher Fertigkeit. Der Film eines Punk und Anarchisten. Und das Chaos regiert. Ehen hätten auch ohne das wandelnde Kannibalen-Kollektiv die Zeit nicht überdauert, das weiße Kellerkind erweist sich als räudiger Windhund und der Schwarze hat einen Plan, gibt den Ton an und überlebt, fast. Und alles, wirklich alles gibt es bereits hier zu entdecken; komprimiert, roh und ungeschliffen. In seiner reinsten, originären Form. Die geifernden und greifenden, farblosen Untoten-Ärmchen durch die mit Brettern verbarrikadierten Fenster zum Beispiel, das zombifizierte Balg, das (wie) besessen und unaufhörlich auf ihre einstiege Lebensgrundlage einsticht oder eben der Kopfschuss als endgültige Erlösung. Immer festgehalten in dynamischem Schwarz-Weiß, umrahmt oder dominiert von eingekauften Film-Kompositionen und ganz sicher nie Mainstream. Und das zynische Ende fuchtelt grinsend mit dem ausgestreckten Mittelfinger. „Good shot!“ - Good shot, Mr. Romero. Good shot. 

7/10

Mittwoch, 7. Mai 2014

"Ekel" [UK '65 | Roman Polanski]

Die Geräusche in der Dunkelheit, das Knarren der Dielen, die tropfenden, nie still schweigenden Wasserhähne verfolgen sie bis in die Nacht. Vor allem in die Nacht. Polanski meidet die Eindeutigkeit, er codiert, verschleiert und verlautbart den fatalen Wandel seiner makellosen Schönheit viel weniger, als dass er ihn sukzessiv, manchmal kaum wahrnehmbar vollzieht und ihn karge Schwarz-Weiß-Gemälde taucht. Jedes Frame ist herausragend montiert, der Spannungsmoment anhaltend, selten nach vorne preschend, aber immer präsent. Er nistet sich ein, in der Magengegend. Vornehmlich in der Magengegend.

Und die Nacht, das Wachliegen in der (Gott)verlassenen Apartment-Wohnung, erscheint wie das Abgleiten in einen anderen, Zeit-entbundenen Kosmos; eine andere Welt. Diese Welt mit ihrem hörbaren Lustspiel, den leisen Schritten, der Schatten-geteilten Visage dieser jungen Unschuld, der die Vorahnung buchstäblich ins blasse Gesicht geschrieben steht. Denn die Augen sind geweitet und starr und irgendetwas wird passieren. Und dann verkehrt Polanski die Erwartungen ins Gegenteil, stülpt die Innereien nach außen und lässt den Zuschauer los. Denn an was er sich zunächst zu krallen können glaubte, windet sich plötzlich, rotiert und bricht aus dem Rollenklischee der hilflosen Blondine aus. Plötzlich ist sie beides und der Zuschauer allein. Eine Gefahr für sich und für Andere.

Ein sich langsam zersetzendes, immer brüchiger werdendes Appartement wird mehr und mehr zur Bedrängung – und zum Schlachtfeld. Polanski appelliert an das Kind in mir und dir. Die Angst vor dem Allein-Sein, dem leeren Haus, der leeren Wohnung. Die Eltern sind als immerwährende, Halt-bietende Konstante ausgezogen. Und dann Schritte, Schatten, greifende Hände. Das so unerfahrene Gemüt erblickt Spiegelbilder wo keine sind und verliert damit auch den Blick auf sich selbst. Sexualität bedeutet immer auch Zwang und Qual, der Blick durch das Schlüsselloch verheißt nichts Gutes.

Selbst die seelische Vergewaltigung war nur Vorbote, gerät plötzlich zur ganz körperlichen Konfrontation. Platz für Machos gibt es hier nicht, selbst der galante Schönling – der Anzug sitzt wie angegossen, das Auto frisch gebohnert, die Zähne weiß – muss kurzerhand dran glauben. Ausbruch aber ist nie eine Option, die Wohnung bleibt selbst gewähltes Exil, (inneres) Gefängnis und die Wände kommen näher, die Nachbars-Meute gafft und gafft und gafft. „Repulsion“ ist kaum greifbarer, fast kryptischer Alptraum, der sich verzerrt und verbiegt, bis er sich bis zur Unkenntlichkeit in seine Bestandteile aufgelöst hat. 

7.5/10

Samstag, 3. Mai 2014

"Superbad" [US '07 | Greg Mottola]

Das recht frühe Einsetzen eines weiteren Subplots um Seth Rogen und Bill Hader als schwachsinniges Cop-Duo, bremst „Superbad“ leider immer etwas aus, auch wenn die Installation von McLovin, der als übernervöser Nerd im Laufe des Abends mehr und mehr zur übergroßen Ikone mutiert, einige wunderbar bescheuerte Höhepunkte bereithält. Ansonsten ist „Superbad“ ganz und gar seinen beiden Hauptfiguren gewidmet, die als Anspielung an die Drehbuchautoren Rogen und Goldberg und ihre eigene Jugend auch deren Namen tragen. Cera ist mal wieder Cera und mehr will ich von diesem sympathischen, schnell-plappernden Schlacks auch überhaupt nicht sehen, Hill dagegen müht sich redlich auch über seinen etwas überkandidelten Blödel-Part hinaus irgendetwas zu reißen. Das funktioniert vor allem dann, wenn er abseits seines körperbetonten Slapstick-Talents und andauernder Mösen-Parolen wirklich einmal etwas zu sagen hat. Dann geht „Superbad“ sogar zu Herzen und beschwört gerade aufgrund seiner oft gebrauchten Der-Abend-bevor-alle-ihres-Weges-gehen-Abschieds-Prämisse auch ganz konkret eigene Jugenderinnerungen herauf, inklusive des wohligen Kribbelns in der Magengegend, das mich die gesamte Sichtung über begleitete. Und wenn Hill in der letzten Einstellung wehmütig zu Cera hinaufblickt und der funky Soundtrack einsetzt, verzeiht man sogar den etwas omnipräsenten Schwachsinn eines Seth Rogen, der schlussendlich wohl einfach auch dazugehört. „Superbad“ also mag keine große Filmkunst sein, aber er erzählt eine zutiefst ehrliche Geschichte von Freundschaft und Abschied, und das tut er in einem beeindruckenden Maße von Wahrhaftigkeit. 

7/10

Donnerstag, 1. Mai 2014

Zuletzt gesehen: April 2014

"Dressed to Kill" [US '80 | Brian de Palma] - 7/10

"Celebrity" [US '98 | Woody Allen] - 5.5/10

"Little Odessa" [US '94 | James Gray] - 6.5/10

"Es werde Stadt" [DE '14 | Dominik Graf & Marin Farkas] - 7/10

"Blow out" [US '81 | Brian de Palma] - 6/10

"Ex Drummer" [BE '07 | Koen Mortier] - 7/10

"Ju on: The Grudge" [JP '03 | Takashi Shimizu] - 4/10

"Neufeld, mitkommen!" [DE '14 | Tim Trageser] - 4/10

"Barbara" [DE '12 | Christian Petzold] - 6.5/10

"NGE - The End of Evangelion" [JP '97 | Hideaki Anno] - 7.5/10

"True Detective" [US '14 | Season 1] - 7.5/10

"The Human Centipede" [UK, NL '09 | Tom Six] - 3/10

"The Strangers" [US '08 | Bryan Bertino] - 4/10

Das Dorf der Verdammten" [US '95 | John Carpenter] - 5/10

"Blue Velvet" [US '86 | David Lynch] - 7/10

"The Black Dahlia" [US '06 | Brian de Palma] - 4/10

"The Expendables" [US '10 | Sylvester Stallone] - 2/10

"Eden Lake" [UK '08 | James Watkins] - 5/10

"The Raid" [ID '11 | Gareth Evans] - 4.5/10

"Cinderella" [US '50 | Walt Disney] - 5/10