Samstag, 30. März 2013

"Amores Perros" [MX '00 | Alejandro González Iñárritu]

Einen solchen Film hat es noch nie gegeben. Selten wieder hat sich jemand diesem Thema derart entschieden gewidmet. Iñárritu's erster Langfilm, ein Debüt also, beruft sich einerseits fortwährend auf den Realismus als primären Bezugspunkt, wahrt zum anderen aber auch die Intimität seiner Protagonisten. Bemerkenswert ist vor allem die Inszenierung: Iñárritu belässt es bei einer Milieu-Studie, die zwar Missstände aufzeigt, diese aber nicht künstlich dramatisiert. Er nimmt die Welt an, mit all dem Leid, aber auch all dem Glück, welches er seinen Figuren widerfahren lässt, fährt in wilden Kamerafahrten (Rodrigo Prieto!) durch dreckige Hinterhöfe und folgt diesen wunderbaren, nuancierten und echten Figuren, die im Grunde nur aus sind auf ein bisschen Glück. Er ist immer dabei, ganz nah dran, knallhart, hautnah.

Und doch bildet das urbane Umfeld, mitsamt aller sozialen und gesellschaftlichen Widrigkeiten, nur den Rahmen für diesen Film. Denn in erster Linie handelt auch „Amores Perros“ nur von Menschen, von Beziehungen, von den Zufällen des Lebens, den willkürlichen Überschneidungen verschiedener Schicksale, von Tod und Trauer, von Leben und Glück. Dieses Debüt ist universell und kündigt an, was „Babel“ einige Jahre später schließlich ausformulieren sollte. Fernab jeden geographischen Ursprungs, jeder Religion oder Nationalität, eint uns alle das Leben und – so abgedroschen es auch klingen mag – die Liebe. „Amores Perros“ verlautbart diesen zentralen Aspekt bereits über den Titel. Von der unerfüllten Liebe, der Zerrissenheit zwischen Drang und Schwur (Octavio & Susana), dem unbedingten Willen für eine gemeinsame Zukunft, allen dummen Zufällen und traurigen Schicksalen zum Trotz (Valeria & Daniel) oder der tiefen Sehnsucht nach Absolution, nach Jahren der Schuld und sozialen Isolation im Zeichen trister Selbstkasteiung (El Chivo & Maru).

Als Spiegel aller Figuren tritt der Hund in den Mittelpunkt. Der eine bis zur finalen Eskalation ohne Reue, stets die Augen nach vorne gerichtet, sich stoisch verbissen und das große Geld im Blick (Octavio), der andere als Sinnbild für lähmende Ungewissheit, offene Zukunft und schließlich die leise Hoffnung stehend (Valeria & Daniel), sowie schließlich die einstiege Bestie, die doch eigentlich gar keine ist. Das Produkt seiner Umwelt, tiefe Wunden, Milieu-geschädigt, als Zeichen für eine Chance; die Chance Wunden zu heilen oder zumindest vergessen zu machen und einen neuen, vielleicht besseren Weg zu beschreiten.

8/10

Freitag, 22. März 2013

"A Dangerous Method" [CA, DE, UK '11 | David Cronenberg

„A Dangerous Method“ hat ein großes Problem: Er ist ein Film. Denn man wird das Gefühl nicht los, dass Cronenberg in diesem Fall auf der Theaterbühne besser aufgehoben wäre. Die statische Inszenierung, die endlose Aneinanderreihung von (spannenden) Dialogszenen, das Fehlen jedweder filmischer Dynamik – Cronenberg schnürt seinem neuesten Projekt ein unsinniges formales Korsett. Ein Umstand, der in jeder Szene zu spüren ist. Wenn der Kanadier mit angestrengtem Schnitt und ständigem Kulissenwechsel versucht eine Dynamik zu generieren, die auf der Bühne unter dem Zusammenspiel von geschriebenem Dialog und den glänzend agierenden Darstellern von völlig alleine entstanden wäre zum Beispiel. So bleibt gut besetztes, staubtrockenes Dialog-Kino ohne jeden inszenatorischen Einfall. Langweilig ist mir aber trotzdem nicht geworden. 

5/10    

Sonntag, 17. März 2013

"Game of Thrones" [US 2011 - '12 | HBO]

Fernab davon, dass auch HBO nicht umhin kommt, gewisse postmoderne Genre-Klischees zu bedienen, dann doch eine ziemlich dicke Überraschung. Denn neben dem omnipräsenten Quoten-Gebumse ist „Game of Thrones“ tatsächlich eines der großen TV-Highlights der vergangenen Jahre und untermauert eindrucksvoll die Vormachtstellung des amerikanischen Pay-TV-Formats. Nach etwas zähem und tempoarmen Einstieg, der gerade in der Retrospektive genau richtig erscheint, legt die auf den Romanen von George R. R. Martin beruhende Serie sowohl an Rasanz, als auch an Spannung ungemein zu. Gerade aus dem perfekt getimten Dahinscheiden zentraler Figuren entwickeln die finalen Episoden eine fantastische Spannungskurve, die in einem ebenso dramatischen, wie überraschenden, wie auch ungewohnt radikalen Staffelfinale mündet und im genau richtigem Maße für eine zweite Staffel wappnet. Soviel Spaß hat (mir) Serie schon lange nicht mehr gemacht!

8/10

Mord und Totschlag, Intrige und Verrat, Missgunst und Neid gehen in die nächste Runde! Staffel 2 nimmt das Tempo nach der knallharten Zäsur aus dem Finale des Erstlings natürlich spürbar heraus. Seine großen Stärken hat „Game of Thrones“ dennoch beibehalten: Diese feinen Beziehungsstrukturen, die zerstreuten Interessen und wunderbar geschwollenen Dialoge verdichten sich weiter zu komplexen Konfliktsituationen, die nur zu weiteren Eskalationen führen können. Mit der Integration weiterer Neben- und Hauptfiguren vergrößert sich die Zahl der streitführenden Parteien darüber hinaus zusätzlich. Dem herrlich dynamischen Wechsel zwischen Haupt- und Subplots ist man selbstverständlich ebenfalls treu geblieben (der seltsam substanzlose Nebenstrang um Emilia Clarke versandet (höhö) leider etwas). An die Dramatik des vorigen Finales kann und soll auch gar nicht angeknüpft werden, stattdessen gibt’s überaus ordentliche Schlachtszenen und einen grandiosen Peter Dinklage als tragischen Helden.

7.5/10

Sonntag, 10. März 2013

"...denn sie wissen nicht, was sie tun" [US '55 | Nicholas Ray]

Noch bevor Dustin Hoffman spießige Hochzeitsgesellschaften (ver-)störte oder Tyler Durden sich in Kellern boxte, gab's da diesen Kerl in der roten Jacke. Diesen Schönling, diesen rebellischen Aufreißer, der wie kein zweiter die Augen zu kleinen Schlitzen verengte, während die Kippe lässig in seinem Mundwinkel hing. Dieser Kerl, der Neue nebenbei bemerkt, der ehe er sich versah zur Vaterfigur geriet, ohne dass der eigene je seinen Erwartungen entsprach. Und dieser Vorfall, dieser blöde Unfall, der damals alles in Gang brachte. Die Trauer hielt nicht lange an, er schnappte sich das Mädchen. Aber einmal in seinem Leben wollte er „das Richtige“ machen, wollte sich stellen und dem selbst auferlegten Idealismus folgen. Seinen Eltern gefiel das überhaupt nicht. Schließlich kam doch alles anders, wäre auch ein kurzer Film geworden. Gemeinsam flüchtet die kleine „Familie“ in eine leerstehende Villa am Rande der Stadt – ein Riesending. Plötzlich geht alles ganz schnell: Rachsüchtige Rowdys, mitgebrachte Knarre, tief sitzender Familienkomplex und Flucht ins Planetarium. Kurz herrscht Stille, sie sind so klein und das Universum so groß. Angesichts des großen Ganzen, der überwältigenden Unendlichkeit wirken ihre Probleme nichtig. Der Kerl gibt seinem Freund seine rote Jacke, die er bis zu diesem Zeitpunkt so ikonisch spazieren trug. Eine letzte Geste für eine ganze Generation. Tragisch wird’s schließlich nur durch externen Einfluss. Denn sie wussten, was sie tun...

8/10  

Sonntag, 3. März 2013

"The Others" [SP, US '01 | Alejandro Amenábar]

Das Holz atmet, folglich knarrt es in allen Ecken und Kanten. Ein altes Herrenhaus mit Garten. Nur stilecht mit Spannungs-fördernder Treppenarchitektur, dunklen Gängen, flackerndem Licht, wandelnden Schatten und – wie sollte es anders sein: – vernebelten Wäldchen. Die Bewohnerzahl ist überschaubar und Genrekonform: Undurchsichtige Bedienstete, ängstliche Mütter und – sie ahnen es: - psychedelische Kinder. Alejandro Amenábar wagt sich vier Jahre nach seinem Meisterwerk „Abre los ojos“ ins Horror-Genre. „The Others“ ist einerseits eine tiefe Verbeugung vor dem filmisch, wie literarisch etliche Male durch-exerzierten Haunted-House-Horror, wie auch dem klassischen Spuk eines Ambrose Bierce oder Stephen King mit dem „immanenten Ziel des Phantastischen“ (so Wikipedia). Originell oder gar neu ist das alles nicht, dafür aber mit spürbarem Sachverstand (Kamera) und viel Spaß am Zitieren bekannter Genre-Elemente umgesetzt.

Kranken tut der Film etwas an seiner Spannungsarmut. Denn so sehr sich Amenábar abermals als talentierter Drehbuchautor erweist und mit einigen guten bis sehr guten Einfällen aufwartet, so selten weiß er diese trotz der handwerklichen Tadellosigkeit auch auf die Leinwand zu transferieren. Spannungsmomente sind rar, er belässt es bei mysteriösen Geräuschen, plötzlichem Stimmengewirr und knarrenden Türen. Originär ist hier wenig, es bleibt beim Zitat. Daran kann auch eine sichtlich engagierte Nicole Kidman und die überraschend angenehm agierenden Kinderdarsteller nichts ändern. „The Others“ plätschert zu sehr vor sich hin, bleibt zu sehr seichter Spuk, als Herzrasen-verursachendes Schauer-Märchen und weiß erst gen Ende seine wahren Qualitäten auszuspielen.

Überhaupt: Das Ende ist ohnehin ein Thema, über das man gesondert reden muss, so offenbart es doch ein wenig, worauf die manchmal etwas planlos wirkende Regie Amenábars eigentlich die ganze Zeit zusteuerte. Zwar bleibt auch der schlussendliche und generell recht starke Twist nur ein Zitat, aber eines, das sich durch die Verlagerung in eben diesen Kontext als ein wahnsinnig pfiffiges erweist. Es ist der finale Perspektiv-Wechsel, der das Vorangegangene nochmal in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt, sodass man Amenábar schließlich doch noch ein ungeheures Maß an Cleverness unterstellen muss. Über die fortwährende religiöse Konnotation lässt sich sicherlich diskutieren, ebenso über die Qualität eines Filmes, der nur auf seinen Schlusstwist zugeschnitten ist („The Sixth Sense“), denn vorangegangene Schwächen macht Amenábar damit nur bedingt wett. Ein (gemischtes) Vergnügen.

6/10

Freitag, 1. März 2013

Zuletzt gesehen: Februar 2013

"Ray" [US '04 | Taylor Hackford] - 4/10

"Der blutige Pfad Gottes 2" [US '09 | Troy Duffy] - 1/10

"Wie ein wilder Stier" [US '80 | Martin Scorsese] - 7.5/10

"Warm Bodies" [US '13 | Jonathan Levine] - 5/10

"O Brother, Where Art You?" [US '00 | Joel & Ethan Coen] - 4/10

"Whatever works" [US, FR '09 | Woody Allen] - 5/10

"I Know What You Did Last Summer" [US '97 | Jim Gillespie] - 5/10

"The Abyss" [US '89 | James Cameron] - 6/10

"My Blueberry Nights" [FR, HK '07 | Wong Kar-Wai] - 5/10

"2046" [HK, DE, FR, CN '04 | Wong Kar-Wai] - 5/10

"In the Mood for Love" [FR, HK, TH '00 | Wong Kar-Wai] - 6/10

"Ashes of Time Redux" [HK, CN, TW '94 | Wong Kar-Wai] - 4/10

"Days of Being Wild" [HK '91 | Wong Kar-Wai] - 6.5/10

"Into the Wild" [US '07 | Sean Penn] - 6/10

"Morning Glory" [US '10 | Roger Michell] - 2/10

"In meinem Himmel" [NZ '09 | Peter Jackson] - 5/10

"Milk" [US '08 | Gus van Sant] - 6/10

"Zeit der Unschuld" [US '93 | Martin Scorsese] - 5/10

"The Frighteners" [US, NZ '96 | Peter Jackson] - 4/10

"Lolita" [US '62 | Stanley Kubrick] - 7.5/10

"The Master" [US '12 | Paul Thomas Anderson] - 7/10

"Harry Brown" [UK '09 | Daniel Barber] - 3/10

"True Grit" [US '10 | Joel & Ethan Coen] - 6/10

"Boogie Nights" [US '97 | Paul Thomas Anderson] - 9/10

"There Will Be Blood" [US '07 | Paul Thomas Anderson] - 8.5/10