Emanzipation im Horrorgenre: Nun darf
auch endlich ausschließlich Frau den kollektiven Qualentod sterben -
und das direkt durchaus eindrucksvoll. Klaustrophobische Zustände,
ständige Dunkelheit und triste Gesteinsformationen begleiten die
Frauengruppe um Protagonistin Sarah (Shauna Macdonald) auf ihrem Trip in ein neues,
bislang unerforschtes Höhlensystem - zumindest glaubt man bzw. Frau
das. Doch spätestens mit dem Auffinden erster Spuren, die auf die
Existenz einer weiteren Lebensform auf dem Grund des verschachtelten
Systems hindeuten, entwickelt sich der eigentliche
Extremsport-Ausflug zum existenziellen Überlebenskampf.
Zuvor wird mit einem traumatischen
Autounfall aber erst einmal etwas Empathie für Protagonistin Sarah geschürt, immerhin verlor sie dort Mann und Kind. Hier und da hätte
Marshall die Exposition vielleicht sogar etwas ausführlicher
gestalten können, denn im Grunde kommen nur zwei Figuren über die
Eindimensionalität der restlichen Gruppe hinaus, die ihre
Daseinsberechtigung teilweise nur aus ihrer Existenz als spätere
Gore-Opfer ziehen können. Dass es im grundsätzlichen Verständnis
dieses Genres auch keine hässlichen Frauen gibt, sollte man an
dieser Stelle einfach hinnehmen und sich über all jene Ansätze
freuen, die über ausgetrampelte Mainstream-Pfade hinausgehen.
Hälfte Eins konzentriert sich dabei ganz auf
die flotte aber nie gehetzt wirkende Exposition von Hauptfigur und
Hintergrundgeschichte, sowie den Abstieg in den Untergrund. Mit dem
anschließenden Einsturz des einzigen bekannten Auswegs, beginnt dann
auch der eigentliche Überlebenskampf auf unbekanntem Terrain. Und
hier verschenkt Marshall einiges an Potenzial: Denn bis auf einige
Hinweise auf die Präsenz einer weiteren Lebensform, sowie deutlich
zu oft eingestreute Jump Scares (von denen manche sogar ganz platt
auf identische Weise wiederholt werden), bleibt „The Descent“
zumeist spannungsarm. Den psychologischen Input seines Settings auf
das meistens angenehm clever reagierende Figurengefüge
vernachlässigt Marshall leider völlig und beschränkt sich auf das
Gezeigte. An einem Spiel mit den Erwartungen und der Fantasie des
Zuschauers scheint der Brite nicht weiter interessiert zu sein.
Technische Defizite reißen dich
ebenfalls immer wieder aus dem langsam an Fahrt aufnehmenden
Horrortrip heraus. In den Totalen glänzt „The Descent“ ein ums
andere Mal mit sensationell schlecht gemachtem CGI und
Steinformationen, die gar nicht erst versuchen sich dem
offensichtlichen Anschein angemalter Pappmaschee zu erwehren. Die
selten doofe Ausleuchtung verstärkt den mangelhaften Eindruck von
Kulisse und Computer-Animation zusätzlich.
Explizit wird es dann mit der zweiten
Hälfte, wenn der Horror mittels einer grandiosen
Found-Footage-Sequenz eingeleitet wird. Bemerkenswert in dieser Phase
von „The Descent“ ist vor allem, dass Marshall auch nachdem er
dem Grauen sein (hässliches) Gesicht gegeben hat, weiter die
Spannung hält. Spannung, die er auch aus dem einfallslosen, aber
nichtsdestotrotz funktionierenden Creature Design schöpft und mit
deren Eigenschaft der Blindheit er einige memorable Momente zu
kreieren weiß. Live-Videomaterial aus einem Camcorder, welcher im
Nachtmodus aktiv ist, verbaut Marshall ebenfalls äußerst effektiv
in das Geschehen, welches inzwischen alle Thriller-Komponenten über
Bord geworfen und endgültig den Kampf zwischen Mensch und Bestie in
den Mittelpunkt gestellt hat.
„The Descent“ geht zurück zu den
Ursprüngen: Die letzten Überlebenden kämpfen gegen die Kreaturen
aus der Hö(h/l)le. Die finalen Minuten sind blutiger und animalischer
Existenzkampf, aus dem Sarah nicht nur neu gewonnene Kräfte schöpft,
sondern das sie auch auf eine gewisse Weise zu befriedigen scheint.
Der auf das abschließende Gekröse folgende Twist sitzt, doch
wirkliche Begeisterung will sich dennoch nicht einstellen. Zu viele
Chancen lässt Marshall ungenutzt, zu viele Ansätze lässt er
Ansätze bleiben. Ein ziemlich gemischtes Vergnügen, die
Ausgangsidee hätte dabei doch so viel zu bieten...
6/10
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen