Samstag, 26. März 2016

"Good Kill" [US '14 | Andrew Niccol]

Ganz und gar nicht so übel, wie es einem der (mal wieder) himmelschreiend bekloppte Beititel der deutschen Verleiher glauben machen möchte. Denn mindestens taugt „Good Kill“ als einführender Stichwortgeber für eines der gewichtigsten und bestimmenden Themen der derzeitigen US-Außenpolitik. Ganz großer Pluspunkt ist dabei ein nachdenklicher Ethan Hawke, der dem Film Tiefe und Gewicht verleiht und seine Figur, in der sich unzählige Facetten des Themenkomplexes Drohnenkrieg schlüssigerweise bündeln - zerrissen zwischen familiären (ehelichen) Verpflichtungen, Selbsterfüllung und moralischem Dilemma. In einem Einsatz-Container in einem Militärstützpunkt in der Wüste Nevada's führt Regisseur und Drehbuchautor Niccol die moralischen Dimensionen der Drohnenpiloten umso bildhafter vor; wenn es darum geht den Wert eines Lebens über die Distanz von Kodierung und Bildrate zu bemessen - und wer es da noch immer nicht verstanden hat, darf Erklärbär Greenwood lauschen. Die 9/11-Rechtfertigung, Kollateralschäden, die Digitalisierung eines endlosen Krieges – fast alles lässt sich in den verhärteten, gequälten Zügen der Hauptfigur ablesen, in dem sich die Verzweiflung schlussendlich selbstzerstörerisch Bahnen bricht. Zudem stellt „Good Kill“ die Frage nach einem gerechten Krieg, offenbart einen kleinen Einblick in die Befehlsketten der amerikanischen Streitkräfte und macht Gespräche mit CIA-Kontakten hörbar, von denen man sich wünscht sie existierten so nur in Hollywood. Die deplatzierte, kathartische Schlussszene, die Begrenzung der Perspektive, sowie eine zwingende Konzentration der hochkomplexen Inhalte des Themas sind dabei zwar unübersehbare Schwächen, brechen dem Film aber nicht das Genick.

5.5/10

Montag, 21. März 2016

"Top of the Lake" [AU, US, UK '13 | Season 1]

Am Ende zaubert "Top of the Lake" leider allzu viele, allzu abgedroschene Twists aus dem Hut. Zudem passiert der Serie im Finale das, was unter keinen Umständen passieren sollte: es ist alles ein wenig egal. Die Konsequenzen, die sich für die Beteiligten ergeben, waren für mich nicht wirklich spürbar. Schade ist auch, dass Campion und Davis es bei all inszenatorischer Eleganz und den betörenden Bildern viel zu selten verstehen, entscheidende Plot-Points auch mit Bedeutung und vor allem Spannung aufzuladen. Einbahnstraßenfiguren wie der wenig ambivalente, nichtsdestotrotz charismatisch gespielte Matt Mitcham verstärken diesen Eindruck nur. Faramir's Figur wird derweil einem blöden Twist geopfert, wenngleich diese noch am ehesten den Gratwandel zwischen arrogantem Vorgesetzten und verzweifelt Liebenden zu meistern vermochte. Elisabeth Moss dreht sich, sobald die wichtigsten biographischen Eckdaten um das, was sie treibt, abgehakt sind, ebenfalls im Kreis, ebenso ihre On-Off-Beziehung zum letztlich leider ziemlich langweiligen Johnno, der viel zu schnell auserzählt ist und als immer präsenter Helfer ständig zur Stelle. Ich hätte gerne Rachel McAdams in „True Detective“-Form in einer weniger larmoyanten und redundanten Hauptrolle gesehen. Und etwas mehr mythisch angedeutete Düsternis und facettenreichere Figuren. Natürlich hängt jeder Figur die Vergangenheit nach und jeder beherbergt seine Geheimnisse, die Abwehrreaktion alt eingesessener Rednecks auf eine weibliche Ermittlerin und eine Gruppe Hippie-Emanzen hätte meiner Meinung aber auch gerne deftiger ausfallen dürfen. Unbefriedigend.  

5.5/10 

Samstag, 12. März 2016

"Hollow Man" [US '00 | Paul Verhoeven]

Wunderbarer Quatschfilm! Shue, Brolin und Co knacken genetische Codes wie Videospiele. Und Bacon hat das perfekte Arschlochgesicht für den unsichtbaren Triebtäter und unprofessionellsten Wissenschaftler der Welt. Wichtig für "Hollow Man" ist Verhoeven's elegante Regie mit genügend inszenatorischem Witz und die stimmungsvolle Musik Jerry Goldsmiths. Sie schenken dem Film Atmosphäre und Klasse. Zudem dringt Verhoeven bei seinem Gedankenexperiment selbstbewusst in jene ambivalent zu rezipierenden Bereiche vor, die sich bei der Prämisse sowieso jeder schon einmal überlegt hat. Das Ausleben der Allmacht durch sexuelle Übergriffe im Angesicht überschaubarer Konsequenzen nimmt deshalb auch eine zentrale Position in der Geschichte ein, die sich ansonsten ganz und gar Bacon und seiner süffisanten Rolle widmet, die kaum einschätzbar zwischen charmant-witzelnd und angestauten Allmachtsphantasien erliegend schwankt. Dieser füllt Sebastian Caine mit Leben und thematisiert in sich stetig steigernden, latenten Gotteskomplexen, die auch deswegen so effektiv funktionieren, weil sie die uns immanenten Sehnsüchte und Perversionen zutage treten lassen, vor allem die Funktion des Zuschauers als Voyeur. „Hollow Man“ nimmt sich dafür die nötige Zeit und lässt die Konfliktparteien ziemlich exakt eine Stunde lang bewusst im Unklaren. Inwiefern die exploitationhafte Inszenierung des weiblichen Körpers nun aber ein bewusstes Spiel mit den Voyeurismen der Geschichte provoziert, bleibt mir jedoch verschlossen. Dazu genießt die schwerelose, hervorragende Kameraarbeit viel zu sehr die Rundungen seiner weiblichen Darsteller und macht diese gezielt konsumier- und genießbar. Vielleicht ist das ja die Falle - oder lediglich die Schwäche eines alternden Pulp-Regisseurs, die sich in nackten Brüsten Bahnen bricht. Der zweite Abschnitt funktioniert dann nach bewährtem Slasher-Schema und offeriert kreative Blutwurst-Gerichte. Und im cleveren Finale, in dem Verhoeven variatenreich das Unsichtbaren-Motiv des Filmes ästhetisch aufgreift und gleichzeitig den Plot vorantreibt, bewegt man sich ohnehin schon wieder in einem anderen Film. Und auch dort will sich die Vorschuss-Häme nicht bestätigt sehen. „Hollow Man“ rockt also doch. 

6/10 

Samstag, 5. März 2016

"Poetry" [KR '10 | Lee Chang-dong]

Unter die Bettdecke kriechen, unsichtbar werden, allem entfliehen. Verantwortung zu übernehmen bedeutet nicht, die Mutter des Opfers mit Entschädigungszahlungen für die "Dummheiten" der eigenen Gören milde zu stimmen. Verantwortung zu übernehmen bedeutet etwas anderes. Mi-ja, eindringlich gespielt von Yoon Jeong-hee nach sechzehnjähriger Leinwand-Abstinenz, zeigt einen Weg auf: die Bettdecke entreißen, alles in Frage stellen, was gesichert schien, um über den Dialog Veränderung anzustoßen. "Poetry" zeichnet das traurige Bild einer Kultur des Schweigens, die generationsübergreifend, kollektiv den selben Verdrängungsmechanismus vollzieht. Schließlich hat es Tradition den Schein zu wahren, um den Karrieren Empathie-beschränkter, verzogener Rotzlöffel nicht im Wege zu stehen. Dementsprechend hart fällt das Urteil über die nachwachsende Generation aus, die dauerfressend vor der Flimmerkiste hockt und mit dem letzten Quäntchen Respekt den Aufforderungen ihrer Geldgeber folge leistet. Womöglich steht "Poetry" damit in der ewigen Tradition jener Pessimisten, der jungen Generation alles abzusprechen, was die vorige ausgemacht hat, wenngleich sie nur in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander stehen können. Wenn Mi-ja also für ihren Ziehsohn nichts außer Belehrungen übrig hat, von denen man ausgehen kann, dass sie auch schon vor der Vergewaltigung zum Alltag gehörten, ist dessen Verhalten plötzlich kausal erklärbar und ein winziges Mosaik zum Verständnis der gesellschaftlichen Strukturen, die hier aufgezeigt werden, und denen all diese Figuren entsprungen sind, identifiziert. Womöglich trifft "Poetry" auch etwas wahres, viel tiefer liegendes. Einen kollektiven Wesenskern, der mehr Energie darauf verschwendet die Spuren unrechten Verhaltens zu beseitigen, statt zu seinen Gründen vorzustoßen. Vielleicht weil es zu tief führt, und alles blank daliegen würde, ohne schützende Haut, und weil vergessen leichter ist, als zu ändern, was dir seit Anbeginn vorgelebt wurde und tief in dich eingekehrt ist. Ein deprimierender Gedanke

7/10

Mittwoch, 2. März 2016

Zuletzt gesehen: Februar 2016

 "Akira" [JP '88 | Katsuhiro Ôtomo] - 5/10

"Foxcatcher" [US '14 | Bennett Miller] - 6/10

"The Assassination of Jesse James..." [US '07 | Andrew Dominik] - 7/10

"Slow West" [UK, NZ '15 | John Mclean] - 6/10

"For A Few Dollars More" [IT, DE, ES '65 | Sergio Leone] - 6/10

"The Imposter" [UK, US '12 | Bart Layton] - 5/10

"Hateful Eight" [US '15 | Quentin Tarantino] - 6/10

"Zeit der Kannibalen" [DE '14 | Johannes Naber] - 5.5/10

"American Ultra" [US '15 | Nima Nourizadeh] - 4/10

"Restless" [US '11 | Gus van Sant] - 6/10

"The Lobster" [FR, UK, GR, IL, US '15 | Giorgos Lanthimos] - 6/10

"The Counselor" [UK, US '13 | Ridley Scott] - 5/10

"Le Haine" [FR '95 | Mathieu Kassovitz] - 6/10

"Frank" [UK, IL '14 | Lenny Abrahamson] - 4/10

"Der kleine Prinz" [FR '15 | Mark Osborne] - 5/10

"The Hunger Games: Catching Fire" [US '13 | Francis Lawrence] - 3/10

"Aladdin" [US '92 | Ron clements & John Musker] - 4/10

"Wreck-It Ralph" [US '12 | Rich Moore] - 5/10

"Argo" [US '12 | Ben Affleck] - 4/10

"Horns" [CA, US '13 | Alexandre Aja] - 4/10

"Anomalisa" [US '15 | Duke Johnson & Charlie Kaufman] - 7/10

Dienstag, 1. März 2016

"Phoenix" [DE '14 | Christian Petzold]

Der crisis of representation entgeht Petzold. Der Holocaust ist nicht repräsentativ. Und er versucht es erst gar nicht. Die Seelen der Ermordeten streifen das Geäst, das rauschende Blätterdach, das in jedem seiner Filme auftaucht, weil es immer in der einen oder anderen Form um Gespenster geht, die seine Figuren plagen und die doch eigentlich nur der Vergangenheit entgehen wollen, um endlich zu vergessen. Hier hallt der Deportationszug in der lebhaften Erinnerung Nelly's nach und eine Zahlenfolge am Unterarm bezeugt ihre Nahtoderfahrung - wenn sie auf eine Art nicht im Lager trotzdem gestorben ist. Ihr Mann sieht all die Zeichen nicht, die ihn zur Person hinter Nelly führen könnten, weil er sie nicht sehen möchte. Er spürt die Schuld. Und er lässt sie ein zweites Mal sterben, indem er das Vermächtnis des Holocausts und die Erinnerung der jüdischen Gemeinschaft Mosaik für Mosaik rekonstruiert, so wie er eine idealisierte Version seiner Nelly Schicht für Schicht, Farbe für Farbe neu aufträgt und nach seinen Vorstellungen zusammensetzt. Natürlich steht er damit stellvertretend für all jene, die in den Tagen nach dem zweiten Weltkrieg erblindet sind, und taub geworden für das, was sie in den Krieg getrieben. Trotzdem ist ihnen der Tod nicht vergönnt. So wie er Nelly's Mann nicht vergönnt ist. Weil nichts schmerzhafter ist, als der Moment der Wahrheit, die für einen selber doch eine andere war. Natürlich ist das herausragend gespielt, beängstigend präzise gefilmt und geschrieben und in seiner letzten Einstellung nichts anderes als einer der herausragenden Kinomomente der vergangenen Jahre. Weil Petzold immer selbstbewusster das Kammerspiel und die Details nach vorne stellt. Und er mehr denn je in den Gesichtern nach Geschichten forscht. Und die Musik die letzte Note spielen darf - ohne Worte. 

7/10