Regisseur Ezra Edelman knüpft die
außerordentliche, höchst wendungsreiche Karriere O.J. Simpsons
unmittelbar an die Zeitgeschichte, aus der sie erwachsen ist.
Zwischen den Lebensstationen von Simpson, den frühen Tagen als
Football-Talent am College, den darauf folgenden Profi-Jahren bei den
Buffalo Bills bis zu seinen ersten Gehversuchen als Schauspieler in
Hollywood, drängt sich dabei immer wieder ein größerer
Bewandtnis-Zusammenhang in den Vordergrund. Die tiefen rassischen
Konflikte im L.A. der 80er Jahre, die lange Vergangenheit von
Polizeigewalt an Menschen der afro-amerikanischen Gemeinschaft und
die nach wie vor präsenten Strukturen der Segregation geben der
Geschichte von Simpson Kontext und Referenzpunkte. Sie erklären
dabei nicht nur den ungewöhnlichen Stand Simpsons in der weißen
Oberschicht, sondern erklären vor allem die überwältigende
Wirkung, die der politisch aufgeladene, abstruse Prozessverlauf
zuvorderst auf die schwarze Bevölkerung der USA ausübte.
Insbesondere die Omnipräsenz der
Medien spiegelt „O.J.: Made in America“ hierbei eindrucksvoll: Zu
jedem Spiel und jedem wichtigen Run des Ausnahmetalents Simpson gibt
es Fernsehaufzeichnungen, zu jeder Kontroverse existiert eine
Stellungnahme in einem Interview, jeder öffentliche Auftritt wurde
auf Tape gebannt, jeder Film-, Werbe- und Radioauftritt ist
archiviert und jederzeit wiederabrufbar. Es existieren Homevideos aus
dem Privatleben Simpsons ebenso, wie Aufzeichnungen einer
Verfolgungsjagd zwischen dem inzwischen dringend Tatverdächtigen
Simpson und der Polizei oder den darauf folgenden über zweihundert
Prozesstagen – alles live im Fernsehen übertragen. Medien spielen
eine ambivalente Rolle in der Betrachtung des Falles Simpson, sie
zerstreuen die Aufmerksamkeit einer ganzen Nation, priorisieren
Einzelschicksale, etablieren Marken und bauen Ikonen auf und
verdienen schließlich am Untergang eben jener. Und doch sind es
ironischerweise sie es, die es Edelman erlauben die Chronik der Causa
Simpson beinahe lückenlos mit Originalmaterial nachzuzeichnen.
Das gesamte Erwachsenenleben Simpsons
scheint durch eine Kameralinse sichtbar gemacht, jedes intime Detail
scheint an die Oberfläche gespült. Eine ganze Karriere als
live-übertragende Reality-Show quasi, mit all den Höhenpunkten, den
Partys und dem Geld und am Ende mit all der Gewalt und Grausamkeit
des Absturzes eines als Nationalhelden gefeierten Mega-Stars. Die
stetig auf Simpsons gerichteten Kameras entlarven dabei nicht nur
dessen schizophrenen Charakter, sie verweisen auch immer wieder auf
sich zurück. Denn auch die Medien haben aus dem grausamen Verbrechen
des Football-Stars an seiner Ex-Frau Nicole Brown Simpson und ihrem
Freund Ronald Goldman ein Politikum gemacht, das die Schuld oder
Unschuld des Angeklagten nicht länger zur Streitfrage erklärte.
Stattdessen nahm die afro-amerikanische Bevölkerung kollektiv Rache
für Jahrhunderte der Unterdrückung und Marginalisierung - besonders
fatal begünstigt durch die Lotterie der Jury-Zusammensetzung. Damit
leistet sich auch das fehlgeleitete US-Justiz-System einen
Offenbarungseid. Und es werden plötzlich vor allem Systemfehler
sichtbar, die fundamentale Charakterfehler fast schon in den
Hintergrund verbannen.
7/10