Samstag, 24. Januar 2015

"The End of Evangelion" [JP '97 | Hideaki Anno]

Der verwirrten Gedankenwelt Shinji's wird in „End of Evangelion“ - mehr als Ergänzung der Final-Episoden der Originalserie, denn als alternatives Ending – nun auch physisch Ausdruck verliehen. All das also, was sich aus den abstrahierten Denkprozessen und seelischen Konflikten seiner Protagonisten höchstens ableiten ließ, macht das nun ganz endgültige, auf Zuschaueranfrage nachgeschobene Ende greifbar. Einfacher zu erfassen macht „End of Evangelion“ die EVA-Serie deswegen aber nicht, sie erweitert vielmehr das ohnehin vielfältige Interpretationsspektrum des Universums. Der Introspektive folgt die Outrospektive. Anno stellt der verhandelten, existenziellen Krise eines Jugendlichen Untergang und Wiedergeburt der Menschheit entgegen; und mehr noch: er verknüpft sie miteinander und macht die Entscheidung des Individuums zur Bedingung des Fortbestandes eines Kollektives. Denn am Ende kreist alles um den Protagonisten. Willst du Leben und riskieren verletzt zu werden? Oder willst du vergehen, damit der Schmerz vergeht. „Wenn man Leben will, wird jeder Ort zum Paradies.“

7.5/10

Sonntag, 18. Januar 2015

"Sherlock" [UK '14 | Season 3]

„Der leere Sarg“

Dreht sich fast ausschließlich im Kreis. Die Köpfe hinter "Sherlock" verlieren sich im Twist des Twists, weil letztlich sowieso nichts so ist, wie es zu sein scheint, weil hinter allem ein doppelter Boden steckt und das Kaninchen dahinter, weil man statt einer kreativen Vision zu folgen, zum Dienstleister einer selbst geschaffenen, kaum zu befriedigenden Fan-Gemeinde geraten ist. Also wird vornehmlich um sich selbst und den Paukenschlag der zweiten Staffel gekreist: Wie hat Sherlock überlebt? Am Ende dieser als verschachteltes Twist-Konstrukt getarnten Pose ist das eigentlich völlig egal, weil sich das künstlich hochgejazzte Mysterium um den Ausgang des Reichenbachfalls durch unzählige, potenzielle Ausgänge selbst entzaubert. Abseits davon pumpt "Der leere Sarg" einen Vierzig-Minuten-Plot durch hippe Überinszenierung und ewige Zeitlupen-Exzesse sogar auf Spielfilm-Länge auf. Langweilige Angeber-Figuren wie Mynecraft verschenken inzwischen jede Sympathie, während Cumberbatch jedem Poser-Gehabe entgegen, sogar Momente rührender Menschlichkeit verleben darf bis das Finale ihn wieder zum kolossalen Arschloch mutieren lässt. Es gibt Augenblicke, die machen Lust "Sherlock" weiterzuverfolgen, der Rest wird unter dem unbedingten Streben, besonders clevere Abend-Unterhaltung abliefern zu wollen, begraben. "Sherlock" ist ein riesiges Missverständnis.

4/10

„Im Zeichen der Drei“

Zunächst, so scheint es, setzt sich der Negativtrend fort. „Im Zeichen der Drei“ startet über überflüssigen technischen Firlefanz und den absoluten stilistischen Overkill nämlich zunächst ein Ablenkungsmanöver nach dem nächsten; jeder Szenenwechsel wird nochmal akustisch unterstützt, keine Einstellung darf länger als fünf Sekunden verweilen. Die sinnvolle Verwendung filmästhetischer Mittel, die Sherlock's Beobachtungs- und Denkprozesse als integraler Bestandteil der Serie in schnittige Bilder übersetzt, ist längst zur eitlen Pose verkommen, die die Inszenierung nur noch selten als Diener versteht und seine Figuren viel zu oft zu einfachen Comic-Reliefs degradiert. Zumindest die Figur der Mary Morstan (Amanda Abbington) bringt frischen Wind in die Figuren-Konstellationen der Serie, weiß sie doch offenkundig mit Sherlock's unzähligen Eigenheiten umzugehen und immer wieder liebevollen Widerstand zu leisten. Völlig beschwipst vom andauernden Fan-Service und Angeber-Parolen scheinen die Autoren nämlich noch nicht, so markiert Sherlock's Hochzeitsansprache einen ersten, mittelgroßen Höhepunkt im dritten Serien-Jahr. So selbstreflexiv, so emotional intelligent und empathisch durfte sich Sherlock bisher nur selten geben und „Im Zeichen der Drei“ führt die Entwicklung des „hochfunktional soziopathischen“ Ermittler-Genies konsequent weiter. Man darf ihn nicht mehr nur bewundern oder ätzend arrogant finden, man darf ihn inzwischen sogar richtig lieb haben - trotz seiner Fehler, weil er manchmal wie ein kleines Kind ist und manchmal wieder ganz der Alte. Die Struktur von „Im Zeichen der Drei“ - die unzuverlässige Nacherzählung eines Falles, der von hinten aufgerollt wird und kleine Anekdoten als Teil der wundervollen Hochzeitsrede (schlimm: Sherlock und Watson auf Junggesellen-Abschied) – lädt zu einem gemütlichen Rätselraten mit spannendem Finale ein. Tatsächlich: „Sherlock“ funktioniert. Noch.

5/10

„Sein letzter Schwur“

Und weiter geht’s. Auch Episode 3 führt die Entwicklung hin zu einem „neuen“ Sherlock mit einigen Überraschungen fort. Nun werden also auch die Drogen thematisiert und nach der für Sherlock äußerst verwirrenden Begegnung mit Irene Adler in Staffel 2 wird das weibliche Geschlecht sogar in seinem Schlafzimmer gesichtet, was in einer wunderbaren Szene mit Freeman festgehalten wird; eine Szene, die auch deswegen so wunderbar ist, weil Freeman – wie der Zuschauer auch – viel weniger an den Ausführungen über den sich anbahnenden Fall als an Sherlock's scheinbarer Beziehung interessiert ist, was „Sein letzter Schwur“ schließlich auch ganz konkret miteinander verzahnt. Darüber hinaus betritt nach zwei mehr oder minder entspannten Detektiv-Abenteuern nach Moriaty nun ein weiterer, ernst zu nehmender (Bond-)Bösewicht die Bühne und pisst Sherlock und Watson sogar ganz wörtlich ans Bein. Der angenehm twistige Fall hält nach dem soliden zweiten Durchgang zudem einen weiteren Höhepunkt bereit, der die große Überraschung mal wieder selbstbesoffen überinszeniert. In einigen Momenten ist „Sherlock“ dann sogar so gut wie zu besten Zeiten, wenngleich das eigene Miträtseln bei so viel Wendung, Illusion und Kartentrick irgendwann auf der Strecke bleibt. Am Ende ist nur sicher, dass nichts sicher ist - das lehrt uns schließlich auch der obligatorische Cliffhanger, der das vorhersehbare, aber spannende Finale vollkommen ad absurdum führt.

5/10

Freitag, 16. Januar 2015

"Mud" [US '12 | Jeff Nichols]

Die Sklaverei ist verbannt, eingemottet, schließlich hat der Abolitionismus längst seine Früchte getragen. Aus dem schwarzen Sklaven Jim ist der weiße Aussteiger Mud geworden. Aber auch dieser ist ein Ausgestoßener; ein von der Gesellschaft nicht länger duldbarer Revolverheld, der das Gesetz einmal zu oft in die eigenen Hände genommen hat und nun auf einem Eiland im Herzen Arkansas als notgedrungenes, isoliertes Exil auf Hilfe angewiesen ist. Die Beziehung zu seinem Exil ist ambivalent – sie ist Schutz und Strafe zugleich. Aus Jim wird Mud. Aber die Probleme sind für Huck (hier: Ellis) nach wie vor die selben: Was soll ich tun? Und was davon ist das richtige? „Another boy's book“ nannte Twain seine Geschichte 1876, nun ist es „another boy's film“, der strikt aus der Perspektive eines heranwachsenden Herumtreibers und im Geiste schweißtriefender, dauer-nuschelnder Südstaaten-Karikaturen Männerfreundschaft und erste Liebe erforscht – mit all dem Glück und all dem Scheiß. Der innere Kompass eines Kindes, die innere Stimme, die drängt und sich nicht verstummen lässt, ist es schließlich, die hier die Entscheidungen trifft, Verantwortung übernimmt. Und der stille Schrei nach Gerechtigkeit, der sich weigert nicht weiter geträumt zu werden. Mit der Unterstützung eines anpackenden Anti-Helden, der immer auch idealisierte Vaterfigur bedeutet, weil der eigene zu sehr beschäftigt ist mit sich selbst und einer Welt aufgefüllt mit verkomplizierenden Erwachsenenproblemen. Das böse Erwachen kommt schließlich so oder so und lässt Macho-Ideale und Südstaaten-Romantik gnadenlos in sich zusammenbrechen, während sich Ellis auf seinem Weg zur Mannwerdung schmerzlich von seinen Illusionen lösen muss; vor allem jener, dass mit dem Alter vieles klarer wird. Und doch muss man in „Mud“ nichts für bare Münze nehmen, lässt Nichols doch wie schon in seinem Vorgängerwerk "Take Shelter" vielfältige Interpretationsmöglichkeiten bestehen. Das eröffnet einen freien Blick, der vieles zulässt und nichts versperrt. 

6.5/10 

Sonntag, 11. Januar 2015

"Man of Steel" [US '13 | Zack Snyder]

Eigentlich wurde zu "Man of Steel" bereits alles gesagt. Nur noch soviel: Snyder scheitert auf faszinierende Weise. So hüftsteif und angestrengt inszeniert gegenwärtig wohl kein anderer amerikanischer Regisseur Blockbuster-Kino. Und niemand scheint so verloren, wenn dann doch einmal der Versuch unternommen werden soll, tatsächlich so etwas wie Humor unterzubringen ("He's hot.") Ansonsten Snyder as usual: leere Bilder, die sich formidabel in ersten Teasern machen, Figuren, die keine sind und sehr viel unübersichtlicher, mitunter erstaunlich hässlich getrickster Krach, der in Anbetracht der übertriebenen Fähigkeiten seines Protagonisten wohl zwangsläufig zu erwarten war. Für große Performances ist hier selbstredend kein Platz. Zumindest die deutsche Vertretung macht als schnörkellos fiese Erfüllungsgehilfin einen guten Eindruck. Superman kann man so casten, Adams spielt verzweifelt gegen das pure Chaos an und Crowe ist, nun ja, er selber halt. Ein seltsames, inkohärentes, aber gleichwohl faszinierendes Erlebnis ist dieser Mann aus Stahl, der alle Dimensionen sprengt, aber eben dennoch. Faszinierend gescheitert, in Schönheit gestorben.

5/10

Freitag, 9. Januar 2015

"Neon Genesis Evangelion" [JP '95 | Hideaki Anno]

Die tiefen seelischen Probleme seines Machers, bis zum Verlust des Lebenswillens, verhandelt diese bemerkenswerte Serie in ihren finalen Episoden schließlich ganz konkret. Die einfache Wahrheit – und nur weil sie einfach ist, ist sie nicht weniger wahr – nämlich jene, dass die Vergangenheit uns zu dem macht, der wir sind, hat schon lange niemand mehr so inbrünstig, so entwaffnend sentimental artikuliert. Oder dass Probleme, wie dem Umstand ohne Mutter oder Vater aufgewachsen zu sein, nicht an Bedeutung verlieren, nur weil wir nicht alleine mit ihnen sind. 

Und lange schon hat sich keine Serie mehr so unerschrocken in die Psyche ihres Protagonisten begeben und vermeintlichen Phrasen ein solches Maß an Wahrhaftigkeit abgewonnen. Pure, überhaupt nicht banale Wahrhaftigkeit, zu der sich auch problemlos ein Bezug zum eigenen Leben herstellen lässt. 

„Neon Genesis Evangelion“ bedeutet Flucht, Lethargie, Japano-Dreck und große künstlerische Ambition. Nach einem durchwachsenden ersten Drittel, das offenbar zuvorderst kommerzielle Erwartungen zu erfüllen suchte, was sich in einer unschönen, repetitiven Monster-of-the-week-Struktur äußerte, werden die Ambitionen Anno's ein abstraktes, zwischenmenschlich verzahntes Cyberpunk-Universum um einen verunsicherten Jugendlichen zu kreieren, ganz deutlich. Dann findet die Serie ganz zu sich und ganz zu einer eigenen, lebendigen Sprache, formal herausragend und endlich bei seinen Figuren. 

Japanische Prüderie und ein seltsames Verständnis von Nacktheit und Sexualität, die die Serie auch automatisch an eine Generation Anime-schauender Jugendlicher kommuniziert, sind dennoch ein Problem, das auch „Neon Genesis Evangelion“ nicht lösen kann und das auch abseits einer nervenaufreibenden Figur wie Asuka (in der Rebuild-Reihe schließlich dekonstruiert) immer wieder Sympathien verschenkt. Aber das ist Formalia, die das außerordentliche Figurenarsenal und der existenzielle innere Konflikt seines Machers und seiner Figuren, diese Geschichte von Opfern, Lethargie und Kompensat, von Vaterkomplex und den Zweifeln in jedem von uns, immer wieder vergessen machen. 

Manchmal muss man alles verlieren, um erkennen zu können, was man hat. Etwas, das auch in der außergewöhnlichen formalen Reduktion der finalen (Freud'schen)-Episoden Ausdruck findet. Ein Großteil der Fangemeinde sah das anders. Nicht zuletzt also berichtet „Neon Genesis Evangelion“ auch vom Kampf gegen seine Zuschauerschaft und die Wut um den geplatzten Traum. Die Windmühlen und das Geschäft mit dem Fetischismus, die Lüge im Traum. Der Himmel färbt sich rot. Der Kampf lohnt sich. Bestimmt. 

“There are too many painful things for people to go on living in reality. Thus, humans run and hide in dreams. They watch films as entertainment. Animation, as a means to enjoy everything in a pure, fake world, is a realization of dreams and has become entrenched in film. In short, it is a thing where even coincidences are arranged and everything judged cinematically unnecessary can be excised. The negative feelings of the real world are no exception.” – Hideaki Anno

Samstag, 3. Januar 2015

Zuletzt gesehen: Dezember 2014

"Enemy" [CA, ES '13 | Denis Villeneuve] - 6/10

"Story of Ricky" [HK, JP '91 | Ngai Kai Lam] - 4/10

"In ihrem Haus" [FR '12 | François Ozon] - 5/10

"Jin-Roh" [JP '99 | Hiroyuki Okiura] - 6/10

"Nymphomaniac 1" [BE, DE, DK, UK, FR '13 | Lars von Trier] - 4/10

"Rambo" [US '82 | Ted Kotcheff] - 4/10

"The Hobbit 2: The Desolation of Smaug" [NZ '13 | Peter Jackson] - 5/10

"Boyhood" [US '14 | Richard Linklater] - 6.5/10

"The Perks of Being a Wallflower" [US '12 | Stephen Chbosky] - 7.5/10

"Hugo Cabret" [US '11 | Martin Scorsese] - 6.5/10

"Still Alice" [US '14 | Richard Glatzer & Wash Westmoreland] - 6/10

"Naokos Lächeln" [JP '10 | Anh Hung Tran] - 6/10

"Guardians of the Galaxy" [US '14 | James Gunn] - 5/10

"Flaming Creatures" [US '63 | Jack Smith] - 6/10

"Ame & Yuki" [JP '12 | Mamoru Hosoda] - 7/10

"Bullhead" [BE, NL '11 | Michael R. Roskam] - 5/10

"Miami Vice" [US '06 | Michael Mann] - 5/10

"Snow White and the Huntsman" [US '12 | Rupert Sanders] - 3/10

"Verdacht" [US '41 | Alfred Hitchcock] - 5/10

"Tiger and Dragon" [CH '00 | Ang Lee] - 6/10

"Rumble Fish" [US '83 | Francis Ford Coppola] - 5/10

"Love Steaks" [DE '13 | Jakob Lass] - 7/10

"Die letzte Metro" [FR '80 | François Truffaut] - 5/10