Die tiefen seelischen Probleme seines Machers, bis zum Verlust des Lebenswillens, verhandelt diese bemerkenswerte Serie in ihren finalen Episoden schließlich ganz konkret. Die einfache Wahrheit – und nur weil sie einfach ist, ist sie nicht weniger wahr – nämlich jene, dass die Vergangenheit uns zu dem macht, der wir sind, hat schon lange niemand mehr so inbrünstig, so entwaffnend sentimental artikuliert. Oder dass Probleme, wie dem Umstand ohne Mutter oder Vater aufgewachsen zu sein, nicht an Bedeutung verlieren, nur weil wir nicht alleine mit ihnen sind.
Und lange schon hat sich keine Serie mehr so unerschrocken in die Psyche ihres Protagonisten begeben und vermeintlichen Phrasen ein solches Maß an Wahrhaftigkeit abgewonnen. Pure, überhaupt nicht banale Wahrhaftigkeit, zu der sich auch problemlos ein Bezug zum eigenen Leben herstellen lässt.
„Neon Genesis Evangelion“ bedeutet Flucht, Lethargie, Japano-Dreck und große künstlerische Ambition. Nach einem durchwachsenden ersten Drittel, das offenbar zuvorderst kommerzielle Erwartungen zu erfüllen suchte, was sich in einer unschönen, repetitiven Monster-of-the-week-Struktur äußerte, werden die Ambitionen Anno's ein abstraktes, zwischenmenschlich verzahntes Cyberpunk-Universum um einen verunsicherten Jugendlichen zu kreieren, ganz deutlich. Dann findet die Serie ganz zu sich und ganz zu einer eigenen, lebendigen Sprache, formal herausragend und endlich bei seinen Figuren.
Japanische Prüderie und ein seltsames Verständnis von Nacktheit und Sexualität, die die Serie auch automatisch an eine Generation Anime-schauender Jugendlicher kommuniziert, sind dennoch ein Problem, das auch „Neon Genesis Evangelion“ nicht lösen kann und das auch abseits einer nervenaufreibenden Figur wie Asuka (in der Rebuild-Reihe schließlich dekonstruiert) immer wieder Sympathien verschenkt. Aber das ist Formalia, die das außerordentliche Figurenarsenal und der existenzielle innere Konflikt seines Machers und seiner Figuren, diese Geschichte von Opfern, Lethargie und Kompensat, von Vaterkomplex und den Zweifeln in jedem von uns, immer wieder vergessen machen.
Manchmal muss man alles verlieren, um erkennen zu können, was man hat. Etwas, das auch in der außergewöhnlichen formalen Reduktion der finalen (Freud'schen)-Episoden Ausdruck findet. Ein Großteil der Fangemeinde sah das anders. Nicht zuletzt also berichtet „Neon Genesis Evangelion“ auch vom Kampf gegen seine Zuschauerschaft und die Wut um den geplatzten Traum. Die Windmühlen und das Geschäft mit dem Fetischismus, die Lüge im Traum. Der Himmel färbt sich rot. Der Kampf lohnt sich. Bestimmt.
“There are too many painful things for people to go on living in reality. Thus, humans run and hide in dreams. They watch films as entertainment. Animation, as a means to enjoy everything in a pure, fake world, is a realization of dreams and has become entrenched in film. In short, it is a thing where even coincidences are arranged and everything judged cinematically unnecessary can be excised. The negative feelings of the real world are no exception.” – Hideaki Anno