Mittwoch, 29. Mai 2019

Leuten beim schauen zuschauen - Zur Rezeption der achten Staffel „Game of Thrones“

Ausschnitt aus einem Reaction video zur finalen Episode
Seit der sechsten Staffel der Serie ist es zu einer Art Tradition für mich geworden, nach der neuesten Episode auf YouTube Reaction videos zu den zentralen Szenen der Folge zu schauen. Das heißt: ich schaue, nachdem ich die aktuelle Folge geschaut habe, noch einmal anderen, mir nicht näher bekannten Leute dabei zu, wie sie die selbe Episode schauen und darauf reagieren. So weit, so absurd. Ich kann nicht genau sagen, warum sich dieses Prozedere zu einer Tradition verfestigt hat, denn die meiste Zeit schäme ich mich für die Reaktionen der gezeigten Leute fremd. Am liebsten schaue ich die Reaction videos aus der Chicagoer Burlington Bar, in der die Gäste die Geschehnisse der Serie als public viewing gemeinsam verfolgen. Nach ein paar Videos begegnen einem dabei die immer gleichen Gesichter aus den ersten Reihen und damit sich wiederholende Muster und Modi der Rezeption.

Die Reaktionen der Zuschauer reichen dabei von großen Augen, über Tränen, aufgeplusterte Backen, facepalms bis zu euphorisierten „Whoo“ oder „Yeah“-Rufen als Kommentar auf besonders gelungene Szenen. Interessant wird es dann, wenn die Stimmung der Serie direkt auf die Bar-Gesellschaft übergreift und performativ angeeignet wird. Dann wird der Raum der Bar zu einer Art Erweiterung des fiktiven Raumes und dem neu gekrönten Monarchen wird gemeinsam mit den fiktiven Figuren der Serienwelt die Treue geschworen („To the Queen of the North!“) oder in ausufernden Party-Folgen (E04) symbolisch mit den Charakteren angestoßen. Hier reicht die Fiktion also bis in die Wirklichkeit hinein. Die Geschehnisse der Episode werden auf diese Weise nicht nur permanent beurteilt, bewertet und eingeordnet, in der Performanz der Zuschauer scheint sich in diesen Momenten auch die Sehnsucht auszudrücken, ganz in der Fiktion der Welt, seinen Figuren und Handlungen aufzugehen.

Bisweilen gleicht die Stimmung während der Sichtung einer Folge der eines Fußballspiels. Darüber hinaus werden auch strukturelle Parallelen zu einem solchen sichtbar: Wie bei einem Fußballspiel gibt es Teams (die konkurrierenden Adelshäuser von Westeros), ein Spielfeld und ein (un-)geschriebenes Regelwerk (die Welt von Westeros, die Regeln der Erbmonarchie) und wenn eine Figur eine andere ausgeschaltet hat, dann kommt dies einem Tor oder einem Punkt gleich, der einen näher an den finalen Sieg (den Eisernen Thron) bringt. Die große Kunst von „Game of Thrones“ lag nun aus meiner Sicht lange darin, dass die Serie es vermochte, den Zuschauer in die Lage zu versetzen, auch für das Tor einer eigentlich gegnerischen Mannschaft zu jubeln und über den Treffer des eigenen Teams lieber verstummen zu wollen. Die Ambivalenz, die zu diesen ebenso ambivalenten, unklaren Gefühlslagen führte, blieb bis zum Ende der Serie ein Element, erlitt aber einen deutlichen Bedeutungsverlust seit die Serienmacher mit Staffel 5 allmählich von den Vorlagen abweichen mussten.

Nun führen Ambivalenzen selten zu guten Reaction videos. Die Drehbücher der neuesten Staffeln erwecken den Eindruck, Benioff und Weiss schrieben mittlerweile eine Serie für die Leute aus der Burlington Bar. Die Ambivalenz wird dabei immer wieder dem Effekt geopfert. Zugleich sind die Szenen immer öfter auf eine möglichst gleichförmige emotionale Reaktion ausgelegt. Ein befriedigendes gemeinschaftliches Seherlebnis entsteht dann dadurch, dass alle das selbe fühlen. Wie schwer nun diese Entwicklung zum Kitsch für den Einzelnen wiegt, hängt maßgeblich von der eigenen Beziehung zur Serie ab. Buchleser, Gelegenheitsgucker und Feuilletonisten standen sich in der Rezeption der Serie immer wieder feindlich gegenüber, ohne die Form der Kritik des jeweils anderen wirklich verstehen zu wollen. Stattdessen wähnte sich jeder in seiner Zugangsweise zum Stoff auf der richtigen Seite. Wo das Feuilleton populäre Serien wie „Game of Thrones“ bisweilen nur noch zum Stichwortgeber für realpolitische oder akademische Diskurse degradiert, vergisst der Buchleser gelegentlich, welche Konsequenzen sich aus der Adaption in ein anderes Medium ergeben (müssen).

Ich persönlich versuchte mich in mehrfacher Hinsicht von zwei Seiten zu nähern, also die Serie zunächst in seinen ästhetischen und filmtechnischen Dimensionen ernst zu nehmen, ohne Fragen nach der Plausibilität und (vor allem charakterlichen) Konsistenz gänzlich ignorieren zu wollen und mich dafür nicht nur von den literarischen Vorlagen ausgehend zu nähern, sondern auch den gegenwärtigen Blockbustern, mit denen man die Serie durch ihren Event-Charakter sicherlich auch vergleichen kann. Während für die ersten vier Staffeln ein Vergleich zu den Buchvorlagen näher lag, scheint mir inzwischen ein Vergleich zu den Superhelden-Filmen des Kinos angebrachter.

Während der achten Staffel schlugen die Reaktionen zu dieser mal in die eine, mal in die andere Richtung aus. Die Vehemenz der Online geführten Debatten um den IQ der Showrunner befremdete dabei ebenso, wie die demonstrativen Gegenreaktionen derer, die die Macher vor jeder Kritik zu immunisieren versuchten. In diesem überhitzten, hysterischen Diskurs zu einer klaren Haltung zu finden, fiel mir immer schwerer. Das mag ironischerweise sogar mit einer Form der Überinformation durch das Internet zusammenhängen, in der alle möglichen Details der Staffel bereits erschöpfend diskutiert und alle möglichen Kaffeebecher und Plastikflaschen, die sich versehentlich auf das Set bzw. in die Fiktion der Serie verirrt hatten, identifiziert worden sind. Die Intensität und der schiere Umfang des Diskurses schien dabei schon lange nicht mehr durch die Komplexität des Gegenstandes gerechtfertigt. Deswegen bin ich im Moment vor allem froh darüber, dass der ganze Wahnsinn endlich ein Ende gefunden hat - und dass es noch keine Reaction videos zu Büchern gibt.

Samstag, 11. Mai 2019

Eine Ästhetik der Verschwörung - "Dark City" [US '98 | Alex Proyas]


Die Paranoia des Verschwörungstheoretikers findet in diesem Kino entkernter Realitäten ihren Platz. Hinter jeder Tür ein Abgrund, der zur Bedrohung werden könnte, hinter jeder Wand ein Hohlraum der Geheimnisse und ein Geheimbund, der sie hütet. Unter allen architektonischen Strukturen eine weitere Struktur, ein doppelter Boden, eine zweite Realität, die echte Realität, die die wahren Herrschaftsstrukturen sichtbar macht. Einen ganzen Film über die Architektur seiner Sets zu erzählen, und damit die Kunst des expressionistischen Stummfilms in die Gegenwart zu tragen, blitzt auch in "Dark City" auf, um gleichsam als faszinierende filmtheoretische Überlegung als eben solche zu verbleiben. In der Praxis muss erzählt werden – und zwar bisweilen ausschweifend. Die Set-Konstruktionen sehen nicht billig aus und das Geld muss wieder rein. Der kleinste gemeinsame Nenner verlangt Exposition, eine geleitende Hand, das Investment muss geschützt werden. Und doch durchdringt diesen eigenartigen, irgendwie außer-weltlichen Fiebertraum trotz spürbarer Studio-Interventionen auch stets eine spürbare künstlerische Vision von einer Welt, in der jede Hoffnung eine Totgeburt bleibt. Die Stadt des Filmes ist ein Niemandsland, eine Konstruktion, Pastiche, eine Verlängerung jenes Molochs, das Proyas in seiner Crow-Adaption zum ersten Mal auferstehen ließ. Die Atmosphäre ist zutiefst beunruhigend an diesem Nicht-Ort, der vom Zweifel an eine feste Realität und den damit einhergehenden Glaubensverlust langsam aufgefressen wird. Die Angst hintergangen und gesteuert zu werden, keine Kontrolle über das eigene Schicksal zu haben, das Unbehagen einer ganzen Dekade gelangt in den Häuserfassaden dieser Stadt zu einer ganz eigenen Ästhetik - einer Ästhetik der Verschwörung.

Samstag, 4. Mai 2019

Die Eingekreiste - "The Silence of the Lambs" [US '91 | Jonathan Demme]


Agent Starling steht dort, ein starker Wille in einem scheuen Blick, eingekreist. Aus einer Horde Uniformierter mit Kaffeebecher sticht sie heraus und droht doch unterzugehen. Den scheuen Blick, und den starken Willen, spielt Jodie Foster so über jeden Zweifel erhaben, dass die kurzzeitige Fokussierung des Films auf den zur Ikone gewordenen Hannibal Lecter fast schon zum Ärgernis gerät. Diesen stilisiert Demme im Mittelteil des Filmes über die Zuspitzung auf einen Twist endgültig zum faszinierenden Mastermind, dem keine Streitmacht gewachsen ist und der immer einen Ausweg zu finden scheint. Und er schwebt über Starling wie der Analytiker über dem Analysand, der Vater über dem Kind. Erst in der Schilderung von Starlings Ermittlungserfahrungen wird „The Silence of the Lambs“ spannend und lehrreich, ohne jene verklärenden Posen von der „starken Frau“, die heute nicht mehr fehlen dürfen. Starlings Blick weicht manchmal scheu zur Seite und wird dann wieder ganz klar, geradezu forsch, fokussiert. Starling darf zugleich schwach sein, Unsicherheit zeigen und sie darf sich gegen die anständigen Avancen fremder Männer spielerisch zur Wehr setzen. Starling schwitzt, Starling bricht heulend zusammen, Starling wird vor Angst fast der Kackstift in die Hose getrieben. Und beim genialischen Finale, wenn das Licht erlischt und wir sehen, was sie nicht sieht, die Kamera uns in die Perspektive des Killers zwängt, in die Rolle des Voyeurs, dann ist man ganz nah bei ihr.