Sonntag, 31. Dezember 2017

Just another Rückblick (2017)

Statt eines Rückblicks auf die diesjährigen Filmveröffentlichungen, an dieser Stelle ein paar allgemeinere Gedanken zur Welt des Kinos selbst. Zu momentanen Kino-Blockbustern gibt es von meiner Seite nicht mehr zu sagen als ich bereits vergangenes Jahr an gleicher Stelle gesagt habe und wurde sowieso schon von anderen, viel kompetenteren Leuten ausführlich besprochen. Ich möchte das Jahr lieber mit einigen Gedankenfragmenten beschließen, die ich mir das Jahr über gemacht, aber nie ernsthaft vertieft habe. Wenn dieser Text also sprunghaft erscheinen mag, dann liegt das in der Natur seiner Konstruktion. Am Ende folgt dann jeweils ein Halbsatz zu meinen liebsten Filmen dieses Jahres.

Über Trailer-Reactions im Internet

Es ließe sich sicherlich ein interessantes Essay zu diesem recht neuartigen Phänomen verfassen. Dieses Jahr fiel mir zum ersten Mal richtig auf, was für eine schräge Sache abgefilmte Reaktionen zu Trailern eigentlich sind: da filmen sich Menschen, oftmals Youtuber, meistens US-Amerikaner, dabei, wie sie auf den neusten Trailer eines sehnsüchtig erwarteten (Franchise-)Films ejakulieren reagieren. Das beschränkt sich nicht nur auf die Film-Nerds einschlägiger Youtube-Kanäle, sondern wird inzwischen auch von ganzen Familien-Clans, Bar-Gemeinschaften oder, besonders schön, weil in Arbeitskleidung, sogar Pfarrern zelebriert. 

Besonderer Beliebtheit erfreuten sich dieses Jahr selbstverständlich die Reaktionen zu den Trailern zum neusten Krieg der Sterne. Selten blieb bei den Reaktionen ein Auge trocken oder der Mund geschlossen. Oft sind die Augen weit aufgerissen und der Oberkörper bebt vor Aufregung und Ergriffenheit. Meistens fallen Ausrufe wie „Oh my God“ oder „Awesome“. Routiniertere Nerds analysieren bereits einzelne Plot-Details und spekulieren über die total geheime Story des neuen „Star Wars“, weil diese Filme ja für ihre besonders komplexen, narrativen Strukturen bekannt sind.

Die Reaktionen anderer helfen offenbar dabei, die eigenen zu sortieren und einzuordnen, und sie steigern das Filmerlebnis bereits im Vorfeld in seiner Bedeutung. Außerdem scheint das ausführliche Zelebrieren eines bevorstehenden Kinobesuchs über Trailer-Reaktionen und Analysen aus dem Bedürfnis gespeist zu werden, ungefilterte, authentische Emotionen nacherleben zu können und sich von ihnen anstecken zu lassen. Plattformen wie Youtube geben die Möglichkeit neben des gemeinschaftlichen Kinoerlebnisses auch die steigende Vorfreude mit Gleichgesinnten zu zelebrieren. Als Zuschauer von Trailer-Reaktionen befindet man sich dabei in einer seltsamen Rolle wieder, schließlich rezipiert man die Rezeption anderer. 

Das Schauen von Trailer-Reaktionen scheint mir sehr verschiedene Bedürfnisse zu befriedigen: sie kann eine Bestätigungsfunktion einnehmen und die eigenen Bedeutungszuschreibungen legitimieren, damit einhergehend dem Wunsch nach einer globalen, in ihren Sehnsüchten geeinten Gemeinschaft befriedigen. Sie kommt aber auch dem Bedürfnis nach emotionalen Hochmomenten nach oder kann Leute wie mich in ihrem Bild vom unkultivierten Ami bestätigen, der die Trailer-Reaktionen selbstverständlich NUR aus rein soziologischem Interesse verfolgt. Dass die Trailer-Reactions gleichzeitig eine außerordentlich effektive, kostenlose Werbekampagne für Milliarden-schwere Konzerne wie Disney fahren, muss dabei eigentlich gar nicht mehr erwähnt werden. Dennoch: irgendetwas liegt in den Gesichtern zu Tränen gerührter, zutiefst ergriffener Menschen begraben, das den Bedürfnissen von Millionen von Zuschauern entgegenkommt und das auch mich nachhaltig beschäftigt.

Über Louis C.K.

Louis C.K. ist dieses Jahr vor allem eine riesige Enttäuschung. Viele Leute haben bereits ihre Meinung zu seinem Fall im speziellen und zur #MeToo-Debatte im allgemeinen ausführlich dargelegt; viele vorschnell und hysterisch, insbesondere in den USA, wo Diskurse nicht selten in blindem Aktionismus gipfeln; andere waren da überlegter oder aufrichtig subjektiv. Am Beispiel Louis C.K. manifestiert sich eine hochinteressante, schwierige Debatte über die moralische Integrität des Filmemachers – oder überhaupt die Rolle einer Biografie in einem künstlerischen Werk. Ich denke, der Wert des Kinos speist sich gerade aus der Vielzahl von Repräsentationen der Wirklichkeit. Soll heißen: der Künstler ist nicht moralisch perfekt und es darf nicht die Voraussetzung künstlerischer Arbeit sein, es sein zu müssen. 

Die moralische Beurteilung sollte vom Werk ausgehen, nicht vom Werk-Schaffenden. Im besten Falle bringt der Filmemacher sein Fehlverhalten in das Werk ein, denn vielleicht ergeben sich aus seinem künstlerischen Umgang mit seinen Taten neue Lösungsansätze; zu einer Idee davon, was danach kommt und wie es weitergeht. Ebenso wie die Stimmen der Opfer, sollten auch stets die Stimmen der Täter hörbar sein, alles andere würde der Komplexität dieses spezifischen Falls, aber auch den umfassenden, gesellschaftlichen Machtstrukturen, in dem er verortet ist, in keinster Weise gerecht.

Über das Schreiben

Was wirklich frustrierend ist: wenn relativ zügig zu schreibende Geschmacksurteile mehr Beachtung finden als der Versuch einer differenzierten Auseinandersetzung. "So ist es!" kommt einem auch leichter über die Lippen als "dort warst du in den Begrifflichkeiten etwas unscharf, aber du sprichst einen wichtigen Aspekt an, der mir neue Möglichkeiten der Lesart erschlossen hat". Der Like-Button erlaubt keine differenzierte Auseinandersetzung, er ist lediglich ein geschmacklicher Markierungspunkt in der Landschaft, aus dem sich dann ein mehr oder weniger (eher weniger) aussagekräftiges, geschmackliches Profil gewinnen lässt. Wertung steht in der Affekt-getriebenen Irrenanstalt Internet stets vor differenzierter Diskursfreude.

Über das Kino als Ort

Um ehrlich zu sein, habe ich die Loblieder auf den Wert des Kinos als Ort nie so wirklich verstanden. Vielleicht bin ich in dieser Hinsicht zu sehr misanthropisch veranlagt, aber andere Menschen sind mir beim Filmeschauen schon immer mehr Einschränkung als Bereicherung gewesen. Nur in den seltensten Fällen bereichert eine andere Person das Filmvergnügen und in den allermeisten Fällen, beim gemeinsamen Schauen im Kinosaal nämlich, verleiden sie es mir. Ja, ich glaube, ich wünschte, der Kinosaal wäre leer. Menschen mit ihren Kommentaren, ihrem schlechten Nacho-Atem, ihren nervösen Zuckungen oder dämlichen Nachfragen sind nichts als Ablenkung; bieten nichts, das den Film auf der Leinwand um eine wie auch immer geartete, rezeptorische Ebene bereichern würde. Noch nie war die kollektive Reaktion eines Publikums für mich lehrreich. Alles was der Kinosaal in der Regel zu leisten imstande ist, ist aus Film-Enthusiasten Kulturpessimisten zu gebären. 

Über meine Filme des Jahres

Personal Shopper“ von Olivier Assayas
Der Film über das Smartphone und das Leben mit dem digitalen Echo.

Certain Women“ von Kelly Reichardt
Der Film über die Tristesse im Nirgendwo und den stummen Schrei nach einer zärtlichen Berührung.

A Ghost Story“ von David Lowery
Die zärtliche Berührung.

The Beguiled“ von Sofia Coppola
Der Film über die Macht- und Begehrens-Strukturen zwischen Mann und Frau.

Moonlight“ von Barry Jenkins
Der Film über Milieu-bedingte Identitätskonstruktionen.

Cameraperson“ von Kirsten Johnson
Der Film über den ethnografischen Film.

Mein Leben als Zucchini“ von Claude Barras
Die Ode an den Sozialberuf.

Freitag, 22. Dezember 2017

"Spider-Man: Homecoming" [US '17 | Jon Watts]

Maximal Zielgruppen-optimierter Superhelden-Quark, den ich mit Zwölf bestimmt auch maximal gefeiert hätte. Wie sich die Macher mit Youtube-Clips, Spider-Man-Live-Streaming und Lego-Death Stars den Zeitgeist zu eigen machen und zu jedem Zeitpunkt wissen, welche Knöpfe zu drücken sind, verdient allerdings schon ein gewisses Maß an Respekt. Dass solche Filme auch von Vollbart-tragenden Mitdreißigern mit Yankees-Cap und Motto-Shirt gefeiert werden ist dennoch einigermaßen befremdlich. Mir persönlich fehlte ein Gespür für das Coming-of-Age-Sujet, in dem man sich mit einer Origin-Story des Spinnenmanns ja zwangsläufig verortet. Im mittlerweile dritten Franchise-Anlauf wurde der Welt des Spinnenmanns nämlich jede Kante geglättet. In der Highschool sieht keiner mehr Scheiße aus, jeder hat einen flotten Spruch auf den Lippen und die olle Tante May wurde inzwischen auf Marisa-Tomei-Hotness ge-upgraded. Für schräge Vögel und stille Außenseiter (den man beispielsweise einem eigentlich viel zu alten Tobey Maguire noch abkaufte) ist hier kein Platz mehr. Peter Parker trägt stattdessen feschen Seitenscheitel und Sixpack und das Leben wird spielerisch gemeistert. "Homecoming" ist damit vor allem eine Traumwelt für pickelige Teens, die sich sehnsuchtsvoll in den Körper von Tom Holland projizieren können, in der Lebenswirklichkeit des Films aber nirgends repräsentiert werden. Irritierend ist auch wie oft der Film über seine Figuren darauf hinweisen muss wie „awesome“ und „cool“ dies und jenes gerade war. Bei so viel Selbstbegeisterung und Meta-Gag vergisst Marvel natürlich mal wieder eine gute Geschichte mit liebenswerten Charakteren zu erzählen. Stattdessen gliedert man sich nahtlos in das Referenzsystem des MCU ein, indem man den Film durch Bezugnahme auf den Civil War und kleinere und größere Cameos fast schon wie eine Behind-the-Scenes-Folge der „Avengers“-Reihe erzählt. So viel Zielgruppen-Kalkül muss dann zu allem Überfluss auch noch von den armen Ramones bespielt werden. Weil's so fucking rebellisch ist. 

3/10

Montag, 18. Dezember 2017

"Star Wars: Episode III – Revenge of the Sith" [US '05 | George Lucas]

Die Jedis sind fernöstlich geschulte Kampfmönche, irgendwo zwischen spirituellem Wegführer und Superheld. Und die Kultur der Jedis ist es, die „Star Wars“ in seinem Kern ausmacht. Die große Chance der Prequel-Trilogie lag folglich in der großen Rolle, die die Jedis in ihr spielen sollten. Statt Relikt vergangener Tage (die Original-Trilogie) oder sogar zum Mythos verblasst („Force Awakens“) ist diese Kultur hier noch tief verwurzelt mit den politischen Strukturen der Republik und sogar eigenständiges Organ in der Gewaltenteilung. „Revenge of the Sith“ ging mit dem Kapital ungeheurer Fallhöhen in den Abschluss der viel gescholtenen Prequel-Trilogie: Der als Auserwählte gehandelte Skywalker darf endgültig zur behelmten Ikone aufsteigen, die Republik in seine Einzelteile zerfallen und als Diktatur wiederauferstehen und der Jedi-Orden den Kampf um die Demokratie und damit um seine nackte Existenz verlieren – zumindest vorerst.

In den Gesprächen zwischen Anakin und Palpatine (scharfzüngig und wunderbar sinister gespielt von Ian McDiarmid) beschreitet Lucas wirklich neue Wege und erklärt die Philosophie der Sith als naturgegebenes Ausgleichsgewicht gegenüber den Jedis fast schon zu einer legitimen Option. Leider ist die Wandlung von Anakin nur schwer nachvollziehbar und dessen Dilemma im Gesicht von Hayden Christiansen schlecht aufgehoben. Die immer eher theoretisch gedachten Allegorien auf Staatsstürze und aufkommende autoritäre Systeme bekommen in der Fratze von Palpatine in seiner auch äußerlichen Angleichung an den Imperator aus der Original-Trilogie dafür umso mehr ein Gesicht. Im Shakespeare-Theater von Palpatine wird das Kartenhaus der Sterne-Saga wirklich lebendig und Lucas kann beruhigt den breiten Pinsel schwingen. In der Inszenierung zwischenmenschlicher Konflikte und in der Enge von Räumen stößt er aber immer wieder an seine Grenzen.

Aus einer selbstständigen, verantwortungsvollen Politikerin wie Padme macht Lucas eine dauer-verheulte Hausfrau, die geduldig auf irgendwelchen Balkons wartet, Anakin mutiert vom orientierungslosen Lappen mit einem Mal zum Massenmörder und im dritten Teil muss sogar Ewan McGregor erkennen, dass in dieser Oper jede schauspielerische Anstrengung vergebens ist. Der Faszination der Jedis mit frischen Ideen neue Konturen zu verleihen, bleibt Lucas leider auch schuldig. In der Runde des Jedi-Ordens nehmen neben Mace Windu und Yoda (pro CGI) kaum neue, interessante Lichtschwert-Gestalten Platz. Und gute Lichtschwert-Duelle sind in „Star Wars“ ironischerweise nach wie vor rar – einen alten Christopher Lee als CG-Charakter zu übertriebenen akrobatischen Fähigkeiten zu verhelfen ist dabei ebenso wenig episch, wie Sidious und Yoda, die sich mit fliegenden Untertassen beschmeißen.

Und doch – und das sollte man bei allem Ärger nicht vergessen - steht hinter all den albernen Höhepunkten dieser Trilogie, und insbesondere in ihrem Abschluss, eine ziemlich gute Geschichte, die erwartbar fatalistisch die Brücke zur neuen Hoffnung schlägt. Die Hoffnungslosigkeit und Konsequenz von „Revenge of Sith“ wäre im gegenwärtigen Blockbuster-Kino jedenfalls kaum denkbar und stellt der beliebigen Folgenlosigkeit dutzender Superhelden-Filme nihilistische Untergangs-Bilder entgegen. 

6/10

Sonntag, 3. Dezember 2017

"Das Kartell" [US '94 | Phillip Noyce]

Das ist schlicht und ergreifend gut gemachtes Thriller-Kino, das weniger die Bekämpfung eines Kartells (deutscher Titel), als die innenpolitische Intrige (Originaltitel) zum Zentrum hat. Ford ist für die Besetzung von Clancys idealistischer Romanfigur ein absoluter Glücksgriff und agiert fernab des süffisanten Schmuggler-Grinsens eines Han Solo. Zudem ist Jack Ryan kein klassischer Action-Held, folglich ist „Clear and Present Danger“ auch kein reinrassiger Action-Film. Stattdessen sind viele großartige Einzelszenen neben den zwei großen Action-Set-Pieces zu finden, wenngleich der Anschlag auf einen Auto-Konvoi in Kolumbien unfassbar Druck auf dem Kessel hat. Besonders memorabel sind die Auftritte von James Earl Jones als krebskranker Vorgesetzter, der in seinen letzten Atemzügen noch an die Verantwortung gegenüber dem Souverän gemahnt. Denn inmitten interventionistischer US-Außenpolitik und wiederholtem Völkerrechtsbruch platziert der Film klugerweise Ryan, der im Weißen Haus die Graustufen des politischen Tagesgeschäfts am eigenen Leib zu spüren bekommt. In einer Parallelmontage, in der der US-Präsident eine Begräbnisansprache zu einer Grundsatzrede über politische Ideale erhebt und in Kolumbien zu gleicher Zeit ein illegales Kampftrupp der Amerikaner durch Söldner des Drogenkartells aufgerieben wird, das dieser beauftragt hat, zeigt der Film klar, dass seine Solidarität bei den Soldaten, keinesfalls aber bei den hohen politischen Entscheidungsträgern liegt. Diese Ambivalenzen trübt lediglich ein allzu heroischer Horner-Score und der Showdown in „Phantom-Kommando“-Manier. - Geschenkt. 

6/10

Samstag, 2. Dezember 2017

Zuletzt gesehen: November 2017

"Dead Zone" [US '83 | David Cronenberg] - 6/10

"Nichts passiert" [SZ '15 | Micha Lewinsky] - 5/10

"Hail, Ceasar!" [US, UK '16 | Joel & Ethan Coen] - 5/10

"Bridget Jones' Diary" [UK '01 | Sharon Maguire] - 3/10

"Moonrise Kingdom" [US '12 | Wes Anderson] - 6/10

"Seoul Station" [KR '16 | Sang-ho Yeon] - 4/10

"The Fly" [US '86 | David Cronenberg] - 9/10

"Blind & Hässlich" [DE '16 | Tom Lass] - 6/10

"Gold" [DE '13 | Thomas Arslan] - 5/10

"The Holiday" [US '06 | Nancy Meyers] - 2/10

"Stella Polaris Ulloriarsuaq" [DE '17 | Yatri N. Niehaus] - 5/10

"Playing God" [DE '17 | Karin Jurschick] - 6/10

"Robinù" [IT '16 | Michele Santoro] - 6/10

"Cameraperson" [US '16 | Kirsten Johnson] - 8/10

"Persona" [SE '66 | Ingmar Bergman] - 5/10

"Genocide" [US '81 | Arnold Schwartzman] - 2/10

"Kreuzweg" [DE '14 | Dietrich Brüggemann] - 3/10

"Jurassic Park" [US '93 | Steven Spielberg] - 7.5/10

"Der ewige Jude" [DE '40 | Fritz Hippler] - 0/10

"Jud Süß" [DE '40 | Veit Harlan] - 0/10

"Wir sind jung. Wir sind stark." [DE '14 | Burhan Qurbani] - 4/10

Sonntag, 19. November 2017

"Death Proof" [US '07 | Quentin Tarantino]

Irgendwo in „Death Proof“ steckt ein richtig toller Film. Das Konzept, Slasher-Reißer und 70er Jahre-Auto-Film miteinander zu kreuzen, klingt reizvoll und zunächst nach einer durchaus originellen Idee. Ebenso reizvoll ist es, eine erste Frauengruppe zu installieren, gänzlich über die Klinge springen zu lassen, um dann eine weitere vorzustellen, die dem bis dahin zum bedrohlichen Mythos gewordenen Russell mal so richtig hart den Arsch versohlt. Hier ist der Film ein einziger Triumph. Leider erzählt Tarantino bis dahin unglaublich unkonzentriert und naheliegend. Emanzen sind bei Tarantino vor allem laut, sexbessesen und unfassbar geschwätzig. Gleichzeitig erzählen sie über einen ausschweifend langen Bar-Abend hinweg erschreckend wenig – und Tarantino kann einfach nicht aufhören noch eine weitere, besonders tolle Platte aufzulegen, die er aus den Untiefen irgendeines unbekannten Vinyl-Schuppens geborgen hat. Statt dem Grindhouse-Konzept einen straighten, konzentrierten Beitrag zu schenken, will Tarantino unbedingt Klassenbester sein und auch schon die Hausaufgaben für nächste Woche machen. Hier wäre weniger mehr gewesen. 

6/10

Dienstag, 7. November 2017

Zuletzt gesehen: Oktober 2017

"The Hunt for Red October" [US '90 | John McTiernan] - 5/10

"Patriot Games" [US '92 | Phillip Noyce] - 5.5/10

"Clear and Present Danger" [US '94 | Phillip Noyce] - 6/10

"Three Days of the Condor" [US '75 | Sydney Pollack] - 6.5/10

"Before We Go" [US '14 | Chris Evans] - 4/10

"Jack Reacher: Never Go Back" [US '16 | Edward Zwick] - 4/10

"Thirteen Days" [US '00 | Roger Donaldson] - 5/10

"Shameless" [US '11 | Seasosn 1] - 5.5/10

"Blade Runner 2049" [US '17 | Denis Villeneuve] - 5/10

"Blade Runner" [US '82 | Ridley Scott] - 10/10

"Rick and Morty" [US '17 | Season 3] - 7/10

"Das große Fressen" [FR, IT '73 | Marco Ferreri] - 6/10

"Mulholland Drive" [US '01 | David Lynch] - 8/10

"Der Wert des Menschen" [FR '15 | Stéphane Brizé] - 7/10

"Dune" [US '84 | David Lynch] - 5/10

"Shivers" [CA '75 | David Cronenberg] - 5.5/10

"Tatort: Der rote Schatten" [DE '17 | Dominik Graf] - 6/10

"John Wick: Chapter Two" [US '17 | Chad Stahelski] - 5/10

"Zodiac" [US '07 | David Fincher] - 7/10

"King Kong" [US '33 | Merian C. Cooper & Ernest B. Schoedsack] - 6/10

"Schmetterling und Taucherglocke" [FR '07 | Julian Schnabel] 6.5/10

"Spider-Man: Homecoming" [US '17 | Jon Watts] - 4/10

"Atomic Blonde" [US, DE '17 | David Leitch] - 4/10

Samstag, 28. Oktober 2017

"Her" [US '13 | Spike Jonze]

In „Her“ wird Utopie und Dystopie gleichermaßen sichtbar. Utopisch sind nicht nur die Müll-befreiten Promenaden und farbenfrohen Großraum-Büros, die Graffiti-freien High-Tech-Züge (natürlich gefilmt in Japan) oder das gänzlich Smog-freie Downtown L.A., sondern vor allem die Realitäten der zukünftigen Arbeitswelt. Denn Arbeit, so scheint es zumindest, ist hier schon lange keine ökonomische Notwendigkeit mehr, sondern zuvorderst ein Instrument zur Selbstverwirklichung. Protagonist Theodore (Hundeblick: Joaquin Phoenix) schreibt beruflich die persönlichen Briefe fremder Leute, die nicht in Worte zu fassen glauben, was sie fühlen und denken; später sollen diese sogar professionell verlegt und physisch erhältlich sein. Freundin Amy (Amy Adams), ein bemitleidenswerter Charakter, der dreinschaut wie ein Schluck Wasser in der Kurve, dreht Kunstfilme über das Schlafen und sucht in der Einfachheit der Kunst berufliche Erfüllung. Als das nicht ganz zu klappen scheint, produziert sie Videospiele über Kindererziehung. Das bedingungslose Grundeinkommen hat den Menschen dieser Utopie endlose Freiheit gewährt, zeigt aber auch diejenigen, die an den Herausforderungen schier grenzenloser Selbstbestimmung zu scheitern drohen. Auch Oberlippenbärte und Hüfthosen ohne Gürtel sind Bestandteil dieser Utopie. Aber ob diese nun utopisch sind oder nicht, steht wohl offen zur Debatte.

Die Dystopie von „Her“ liegt nicht in der technologischen Fortentwicklung und der Evolution der Arbeitswelt – die Dystopie ist vielmehr ideologischer Natur: sie liegt in der Idee des Glücks. Das Streben nach dem Glück, unter anderem in der Präambel der Verfassung festgeschrieben, ist in der nahen Zukunftsvision von Jonze mehr denn je zu einer amerikanischen Bürgerpflicht geworden. „Her“ ist bestimmt von der Omnipräsenz der Gefühle. Andauernd befragen sich die Figuren nach ihren Gefühlszuständen, prüfen nach, was sich in ihnen gerade bewegt und ob sie glücklich sind oder nicht. Gerade weil die Menschen in dieser Dystopie unentwegt ihre Seelenwelt erforschen müssen, können sie nicht glücklich sein. Wenn Ideal- und Ist-Zustand laufend abgeglichen werden, muss die eigene Vorstellung des Glücks zwangsläufig scheitern. Im Falle von Theodore scheitert jede neue Kontaktaufnahme mit anderen Menschen an der idealisierten Erinnerung an eine vergangene Beziehung, die Jonze über langweilige, weil viel zu offensichtliche Rückblenden sichtbar macht. Theodore lässt sich von der Idee eines Glückes beherrschen, das per Definition nie final festgestellt werden kann, weil Sehnsüchte und Bedürfnisse sich laufend neu gebären. Die Konsequenz daraus ist deprimierend: die Menschen in „Her“ werden niemals glücklich sein. - Die Dystopie von „Her“ liegt in der Diktatur des Glücks.

Montag, 23. Oktober 2017

"Zwei Tage, eine Nacht" [BE, IT, FR '14 | Jean-Pierre & Luc Dardenne]

Cotillard gleitet nicht, fliegt nicht anmutig, treibt nicht sehnsuchtsvoll dahin. Cotillard kriecht auf allen Vieren, hängt kraftlos in den Seilen, schleppt sich von Haustür zu Haustür, die Hoffnung längst an den rostigen Nagel gehängt. Einmal buckeln und betteln, dann wieder aufraffen, dann nochmal alles von vorne, aber bitte nett dabei. Täglich grüßt das Murmeltier. Die Depression sitzt noch im Nacken, macht die Schultern schwer und trübt den Verstand, der durch die glasigen Augen ohnehin nichts zu erkennen vermag. Und depressiv macht „Zwei Tage, eine Nacht“ auch. Tief depressiv. Solidarität ist so ein schönes Wort, wenn es Leute in Anzügen über die Flimmerkiste verbreiten oder auf Wahlplakate schreiben. Cotillards Figur, ein geprügelter Hund, der uns auf eine moderne Odyssee mitschleift, die einem am liebsten erspart bleiben würde, darf sich erniedrigen, den Kopf einziehen und doch irgendwie versuchen Haltung zu wahren. Ihre Reise und ihre Begegnungen machen traurig und hoffnungsvoll zugleich, die meiste Zeit aber zuvorderst wütend auf System und Leute. Und doch selbst so ahnungslos dabei. 

8/10

Freitag, 20. Oktober 2017

Die 10 besten Horrorfilme aller Zeiten

Der Titel ist kompletter Unsinn - das sind natürlich nicht die zehn besten Horrorfilme, schon gar nicht aller Zeiten. Dafür eröffnet solch eine Liste, gerade im für Horrorfilme prädestinierten Monat Oktober, einmal die Chance für eine persönliche Bestandsaufnahme: Wo liegen eigene Präferenzen im Horrorgenre, welche Jahrzehnte haben den größten Eindruck hinterlassen, sind unter den Einträgen sogar thematische oder stilistische Verbindungslinien zu finden? Da ich mit gegenwärtigen Horrorfilmen eher selten etwas anfangen kann und Jump Scares in erster Regel anstrengend, nicht aber gruselig finde, werden die meisten Produktionsjahre wohl vor den Nullerjahren liegen. Umso interessanter sind demnach Nennungen die dann tatsächlich einmal aus jüngerer Vergangenheit stammen.

Was nun aber einen Horrorfilm konstituiert und was nicht ist letztendlich eine müßige Diskussion, denn eine scharfe Trennung zum artverwandten Thriller ist oft schwierig. Um die Liste trotzdem nachvollziehbar zu machen, nur soviel: Horrorfilme sind für mich solche Filme, die den Zuschauer in einen Zustand der Angst versetzen. Ich folge also einem weiten, wirkästhetischen Verständnis, wie es beispielsweise auch Ursula Vossen in ihrem Überblickswerk beschreibt („Filmgenres: Horrorfilm“). Abgrenzend zum Thriller treten in Horrorfilmen auch häufig Elemente des Phantastischen in den Vordergrund. Horrorkomödien habe ich aufgrund des ersten Kriteriums ausgeklammert. Sorry, „Gremlins“!

Ein weiteres, mir sehr wichtiges Element des Horrorgenres ist die Begegnung und Konfrontation mit dem Anderen. Diese muss nicht immer in Mord und Totschlag gipfeln, sondern kann auch eine empathische, gar zärtliche Auseinandersetzung mit dem Fremden ermöglichen. Meiner Meinung nach liegt hier eine der großen Chancen des Horrorkinos, das Selbst im Fremden zu erkennen und die Konfrontation mit kollektiven und individuellen Angstwelten. Der Horrorfilm ist demzufolge auch nicht primär destruktiv, sondern kann konstruktiv einen Dialog eröffnen. Konstruktiv kann er auch deshalb wirken, weil er dorthin geht, wo es relevant wird: dort, wo die Wunden sichtbar werden.

„Alien“ [US '79 | Ridley Scott]

Organisch-orgiastische Weltraum-Hatz. Ripley rennt, das Alien jagt. Aber nur so lange bis Ripley den Flammenwerfer in die Finger bekommt und den Schalter für den Notausgang findet. Scott versucht bis heute an dieses tiefschwarze Überlebensdrama anzuknüpfen und verlängert doch nur die Qualen eines sterbenden Patienten. Den Überlebenskampf seiner Protagonistin in einer lebensfeindlichen, feuchten Umgebung sollte dieser nie wieder derart atmosphärisch zu greifen bekommen wie 1979.

„Blair Witch Project“ [US '99 | Daniel Myrick & Eduardo Sánchez]

Als Mockumentary noch keine Warnung war, sondern methodisches und erzählerisches Neuland. Die Blair Hexe sollte hier nie zu sehen sein, stattdessen wird sie hörbar gemacht – in den Gruselgeschichten, die die Bewohner des Städtchens Burkittsville sich seit Generationen hinter vorgehaltener Hand erzählen, in den Ausführungen von Protagonistin Heather, die dem Hexenmythos über eine empirische Feldforschung auf die Schliche kommen möchte und natürlich in den leisen Schritten, den fernen Stimmen und dem nächtlichen Wind, der flüsternd über die Zeltplane streicht.

„Scream“ [US '96 | Wes Craven]

Anders als im ultra-selbstreferentiellen Sequel glänzt dieses Meisterwerk auch durch Momente wahren Horrors. Das zeigt insbesondere die meisterhafte Eröffnungsszene, die sich zwar selbstbewusst Pop-kulturell verortet, aber eben nicht dauernd auf sich selber hinweisen muss. Ob das nun aber Dekonstruktion, Satire oder schwarze Komödie ist, ist am Ende auch egal - „Scream“ ist schlicht und ergreifend ein guter (Horror-)Film.

„Don't Look Now“ [IT, UK '73 | Nicolas Roeg]

Nichts hat sich mir je so eingebrannt wie das Gesicht der kleinen Gestalt im roten Regenmantel. Und die unglaublichen, innovativen Kamerabilder Nicolas Roegs, die die Gespenster in den Kanälen Venedigs überhaupt erst sichtbar machen. Verlust und Trauer statt blanker Existenzangst. 

„Frankenstein“ [US '31 | James Whale]

Eine Szene gibt hier den Ausschlag, ob man Dr. Frankensteins Leichenflickwerk nun als missverstandenes Wesen begreift, das Opfer eines unregulierten Wissenschaftsapparates geworden ist oder als bösartige Bestie. In der Begegnung mit dem Mädchen am Seeufer sahen damalige Zuschauer lediglich das Resultat ihres Zusammentreffens (den Tod des Mädchens), nicht aber die empathische Annäherung zuvor. Diese war zugunsten einer klaren moralischen Verortung in der ursprünglichen Fassung nicht enthalten. Heute wird dank solcher Szenen vor allem der zutiefst humanistische Grundappell dieses wunderschönen, schwarz-weiß gerahmten Wunderwerks sichtbar.

„The Fly“ [CA, US '86 | David Cronenberg]

Skepsis gegenüber einer Grenzen-auslotenden Wissenschaft ist dem Horrorfilm seit jeher fest eingeschrieben. So auch hier: Seth Brundle, von Jeff Goldblum irgendwo zwischen nervösem Charmbolzen und prototypischem Mad Scientist angelegt, will der Welt und sich selbst die Teleport-Technologie erschließen. Dass ausgerechnet eine kleine Fliege dessen Selbstversuch durchkreuzt ist eine ebenso einfache, wie geniale Prämisse. In den Bilderwelten Cronenberg'schen Body Horrors findet sie ihre Erfüllung.

„Eraserhead“ [US '77 | David Lynch]

Es ist wahnsinnig eitel sich selber zu zitieren, aber zu Lynchs Debüt fiel mir nicht mehr ein als ich ohnehin schon gesagt habe: „Die Bildideen direkt von „Grandmother“ entliehen, diesem biobasierten, langen Kurzfilm-Projekt kurz davor, das ihm Zugang in die sich windenden Gedankenwelten eines verängstigten Kindes gewährte – seine Gedankenwelt. Kondensiert wurde ein autobiographischer Fiebertraum, nach außen gestülpt, um uns sichtbar zu werden, aber dialektisch nach innen gerichtet, geschwängert von der Angst um die Rolle in der Welt und die Verantwortung, die einen dort erwartet. Der Mark-erschütterndste Horror-Film von allen also.“

„The Thing“ [US '82 | John Carpenter]

Kurt Russell verliert gegen einen Computer im Schach und eine Gruppe Forscher muss sich in der Eiswüste der Antarktis gegen einen außerirdischen Gestaltenwandler zur Wehr setzen. Die Ausgangslage lässt deutliche Parallelen zu Scotts „Alien“ zu und doch gestaltet sich der Überlebenskampf hier deutlich anders aus. Wo „Alien“ nach und nach einer feministischen Hauptfigur die Bühne bereitet, kämpft hier bis zum Ende ein Kollektiv ums nackte Überleben. Morricones Score treibt diese Tour de Force an, Rob Bottins Fleischhaufen lassen ihn lebendig werden.

The Texas Chain Saw Massacre [US '74 | Tobe Hooper]

Niemand tanzt so schön im Licht der untergehenden Sonne.

„Antichrist“ [DK, DE, FR, SE '09 | Lars von Trier]

Mann gegen Frau. Gott gegen Teufel. Religion gegen Wissenschaft. Van Triers auf die Leinwand gebannter Seelenstriptease, entstanden nach einer langen Phase der Depression, zeigt außerzeitliche, apokalyptische Bilderwelten, in denen das Chaos regiert. Selten lagen Geburt und Tod so nahe beieinander. Und selten gab es solch eine entwaffnend ehrliche, brutale Bestandsaufnahme des Seelenhaushalts eines geplagten Künstlers auf der Leinwand zu sehen.

Honorable Mentions

„Rosemary's Baby“ [US '68 | Roman Polanski]
„Rec“ [ES '07 | Jaume Balagueró & Paco Plaza]
„A Tale of Two Sisters“ [KR, HK '03 | Jee-woon Kim]
„Audition“ [KR, JP '99 | Takashi Miike]
„Psycho“ [US '60 | Alfred Hitchcock]
„Nosferatu“ [DE '22 | F.W. Murnau]
„Misery“ [US '90 | Rob Reiner]
„So finster die Nacht“ [SE '08 | Tomas Alfredson]
„Sleepy Hollow" [US '99 | Tim Burton]

Sonntag, 8. Oktober 2017

"Paterson" [US '16 | Jim Jarmusch]

Paterson ist die Stadt. Paterson ist der Mensch. „Paterson“ ist der Film von Jim Jarmusch, angelegt als Hommage an Stadt, Mensch, Fluss. Angelegt als Hommage an William Carlos Williams „Paterson“, Vorbild für den busfahrenden Poeten aus „Paterson“: Paterson. In den Alltagsstrukturen sieht dieser nicht Monotonie, Repetition, endlose Wiederholungsschleifen, in denen der Wahnsinn nur durch die Zeit auf Distanz gehalten wird. Er sieht nicht zermürbende Leere, lästige Pflicht, Stillstand in der Bewegung. Paterson sieht nicht jeden Tag gleich, und Jarmusch inszeniert nicht jeden Tag gleich. In den Alltagsstrukturen von Paterson werden die Variationen und Feinheiten des Lebens sichtbar, die im Außerhalb verborgen bleiben, wenn der Blick nicht zur Seite geht. Im Nacken von Paterson wird die Zukunft einer Liebe geschmiedet und die großen philosophischen Themen angepackt. In den Bars von Paterson, unter den wachsamen Augen von Paterson, wird die Zukunft einer Beziehung verhandelt und zum Scheitern verurteilt. Paterson, also die Stadt, ist aber auch Jarmusch-Town, bevölkert von stilbewussten, interessanten Menschen und dichtenden Fünftklässlerinnen. Backsteingebäude und Arbeiterschicht. Philosophie-Studenten und Designer-Vorhänge. Und „Paterson“, also Jarmusch, gesteht dem Alltag seine Liebe. Und er formuliert ein hehres Ziel: das Kleine im Großen erkennen, das Besondere in zyklischen Wiederholungsmustern. Und dieses Besondere kurz festhalten, um dann zu erkennen, dass es nicht für ewig währt. Und dann nicht zu resignieren, sondern stoisch seinen Weg zu gehen. Eine Zeile nach der nächsten, ein Wort auf das andere. Auf jede gute Formulierung folgt eine missratene, auf jede missratene... eine gute. 

8/10

Sonntag, 1. Oktober 2017

Zuletzt gesehen: September 2017

"Blue Steel" [US '90 | Kathryn Bigelow] - 4/10

"Death Proof" [US '07 | Quentin Tarantino] - 6/10

"Kill Bill: Volume 1" [US '03 | Quentin Tarantino] - 8/10

"Kill Bill: Volume 2" [US '04 | Quentin Tarantino] - 8/10

"Sin City: A Dame to Kill For" [US '14 | Robert Rodriguez & Frank Miller] 1/10

"Exit Through the Gift Shop" [UK, US '10 | Banksy] - 6/10

"Chiko" [DE '08 | Özgür Yildirim] - 4/10

"Thanks for Sharing" [US '12 | Stuart Blumberg] - 3/10

"Sie küßten und sie schlugen ihn" [FR '59 | François Truffaut] - 7/10

"Hot Nasty Teen" [SE '14 | Jens Assur] - 5/10

"V/H/S" [US '12 | Diverse] - 4/10

"Tschick" [DE '16 | Fatih Akin] - 5/10

"Scanners" [CA, US '81 | David Cronenberg] - 5.5/10

"Get Out" [US '17 | Jordan Peele] - 6/10

"Wonder Woman" [US '17 | Patty Jenkins] - 4/10

"Star Wars Episode I: The Phantom Menace" [US '99 | George Lucas] - 5/10

"Star Wars Episode II: Attack of the Clones" [US '02 | George Lucas] - 4/10

"Star Wars Episode III: Revenge of the Sith" [US '05 | George Lucas] - 6/10

"Everest" [UK, IS, US '15 | Baltasar Kormákur] - 6.5/10

Mittwoch, 27. September 2017

"O.J.: Made in America" [US '16 | Ezra Edelman]

Regisseur Ezra Edelman knüpft die außerordentliche, höchst wendungsreiche Karriere O.J. Simpsons unmittelbar an die Zeitgeschichte, aus der sie erwachsen ist. Zwischen den Lebensstationen von Simpson, den frühen Tagen als Football-Talent am College, den darauf folgenden Profi-Jahren bei den Buffalo Bills bis zu seinen ersten Gehversuchen als Schauspieler in Hollywood, drängt sich dabei immer wieder ein größerer Bewandtnis-Zusammenhang in den Vordergrund. Die tiefen rassischen Konflikte im L.A. der 80er Jahre, die lange Vergangenheit von Polizeigewalt an Menschen der afro-amerikanischen Gemeinschaft und die nach wie vor präsenten Strukturen der Segregation geben der Geschichte von Simpson Kontext und Referenzpunkte. Sie erklären dabei nicht nur den ungewöhnlichen Stand Simpsons in der weißen Oberschicht, sondern erklären vor allem die überwältigende Wirkung, die der politisch aufgeladene, abstruse Prozessverlauf zuvorderst auf die schwarze Bevölkerung der USA ausübte.

Insbesondere die Omnipräsenz der Medien spiegelt „O.J.: Made in America“ hierbei eindrucksvoll: Zu jedem Spiel und jedem wichtigen Run des Ausnahmetalents Simpson gibt es Fernsehaufzeichnungen, zu jeder Kontroverse existiert eine Stellungnahme in einem Interview, jeder öffentliche Auftritt wurde auf Tape gebannt, jeder Film-, Werbe- und Radioauftritt ist archiviert und jederzeit wiederabrufbar. Es existieren Homevideos aus dem Privatleben Simpsons ebenso, wie Aufzeichnungen einer Verfolgungsjagd zwischen dem inzwischen dringend Tatverdächtigen Simpson und der Polizei oder den darauf folgenden über zweihundert Prozesstagen – alles live im Fernsehen übertragen. Medien spielen eine ambivalente Rolle in der Betrachtung des Falles Simpson, sie zerstreuen die Aufmerksamkeit einer ganzen Nation, priorisieren Einzelschicksale, etablieren Marken und bauen Ikonen auf und verdienen schließlich am Untergang eben jener. Und doch sind es ironischerweise sie es, die es Edelman erlauben die Chronik der Causa Simpson beinahe lückenlos mit Originalmaterial nachzuzeichnen.

Das gesamte Erwachsenenleben Simpsons scheint durch eine Kameralinse sichtbar gemacht, jedes intime Detail scheint an die Oberfläche gespült. Eine ganze Karriere als live-übertragende Reality-Show quasi, mit all den Höhenpunkten, den Partys und dem Geld und am Ende mit all der Gewalt und Grausamkeit des Absturzes eines als Nationalhelden gefeierten Mega-Stars. Die stetig auf Simpsons gerichteten Kameras entlarven dabei nicht nur dessen schizophrenen Charakter, sie verweisen auch immer wieder auf sich zurück. Denn auch die Medien haben aus dem grausamen Verbrechen des Football-Stars an seiner Ex-Frau Nicole Brown Simpson und ihrem Freund Ronald Goldman ein Politikum gemacht, das die Schuld oder Unschuld des Angeklagten nicht länger zur Streitfrage erklärte. Stattdessen nahm die afro-amerikanische Bevölkerung kollektiv Rache für Jahrhunderte der Unterdrückung und Marginalisierung - besonders fatal begünstigt durch die Lotterie der Jury-Zusammensetzung. Damit leistet sich auch das fehlgeleitete US-Justiz-System einen Offenbarungseid. Und es werden plötzlich vor allem Systemfehler sichtbar, die fundamentale Charakterfehler fast schon in den Hintergrund verbannen. 

7/10

Mittwoch, 20. September 2017

Ein paar Gedanken zu 3 von 4 Indy-Filmen

Auffällig in der Retrospektive ist zunächst, dass sich die Filme gerade aufgrund ihrer konkreten historischen Bezugnahme wunderbar als eskapistischer Spaß genießen lassen. Dieser Spaß schwankt von Teil zu Teil jedoch erheblich. Der erste Film, noch ohne das Franchise-Label „Indiana Jones“ schlicht „Raiders of the Lost Ark“ genannt, markiert hier bereits den Höhepunkt. Harrison Ford steht in einer der kommerziell wahnsinnigsten Karrieredekaden überhaupt (vom „Star Wars“-Set zu „Indiana Jones“ zu „Blade Runner“ usw.) bei seinem ersten Indy-Auftritt voll im Saft; gibt kraftvoll und lakonisch den Halbtags-Archäologen und Abenteurer.

Im Kampf gegen die Karikaturen der Hakenkreuz-Bande um den Prototypen des schmierigen Gestapo-Majors Toht gilt: nur ein toter Nazi ist ein guter Nazi. Während die Nazis an der Bundeslade nur interessiert sind, weil sie sich einen beträchtlichen Machtzuwachs davon versprechen, liegt Indy zuvorderst der historische Wert am Herzen. Und Spielberg findet für die Tour de Force nach der Bundeslade die passenden Bilder. Sofort eingebrannt haben sich die wunderschönen Matte-Paintings von den Bergen Nepals, die erste Begegnung mit dem wunderbar fiesen Krötengesicht Toht eben dort, die Basare Kairos oder der unsterbliche, ikonische Shot von Jones vor der untergehenden Sonne in der Wüste Ägyptens. Der Reiz des ersten Filmes liegt in der Ferne des Unbekannten und in der Aussicht der Möglichkeiten.

Interessanterweise beschränkt sich „Temple of Doom“ an genau dieser Stelle und unternimmt den Versuch, trotz der Installation eines kindlichen Sidekicks, den Grundton des Erstlings in neue Genre-Gefilde zu überführen. Trotz des beständigen Flirts mit Horror-Elementen über die gesamte Reihe hinweg, ist es der zweite Film, der sich ganz klar zu den Traditionen des B-Horrors bekennt. Im Tempel des Todes werden während ritueller Opferzeremonien Herzen mit bloßer Hand aus der Brust gerissen, hysterische Frauen durch dunkle Gänge mit giftigen Krabbeltieren gejagt und Indy durch schwarze Magie zum willenlosen Diener degradiert. „Temple of Doom“ vollzieht einen lobenswerten, tonalen Wechsel und scheint sich und seiner Idee doch nie ganz zu vertrauen: Der Titel-gebende Tempel des Todes spielt erst in der zweiten Hälfte des Filmes eine wirkliche Rolle, zuvor überlassen sich Spielberg und Lucas ganz und gar den Steigerungs-Mechanismen, die einige Jahre später auch den dritten und 24 Jahre später vor allem den vierten Film bestimmen sollten.

Wenn Indy und seine Begleiter ein gelbes Gummiboot erst zum Fallschirm und dann zum Schlitten umfunktionieren, um dann endlich in sicheren Gewässern zu landen, verschwendet das Duo vor allem viel Zeit auf hässliche Rückprojektionen, statt dem eigenen Konzept zu vertrauen, welches vorsieht Indy aus der Weite der Wüste in ein düsteres Kammerspiel zu zwingen. Dort gewinnt der Film durch konsequente Horror-Anleihen zwar wieder, leidet aber auch gleichzeitig unter einem krassen Orientalismus (Affenhirn auf Eis) und der sensationell nervigen Kate Capshaw, die mit einer Figur geschlagen ist, die entweder genervt, ängstlich oder rallig sein darf, wenn Indy mal wieder seinen rauen, männlichen Charme und die Lederpeitsche auspackt. Selbst die technisch aufwendig in Szene gesetzte Mienen-Rundfahrt reißt hier nicht mehr viel raus.

Teil 4 ist indes nicht so schlimm wie es die Erinnerung vorgab. Hässlich ist er zwar geblieben, aber statt an überflüssigem CGI leidet „Kingdom of the Crystal Skull“ vor allem an einem akuten Weichzeichner-Overkill, der jedem Frame die Kanten glättet und jeder Tiefe beraubt. Wenn der Film Shia LaBeouf (übrigens nicht das Problem) zum Lianen-schwingenden Tarzan macht oder ihn in einen Degenkampf gegen eine russische Superschurkin stößt (weil er das ja auf der Privatschule gelernt hat), dann sind das irritierende Momente der Hässlichkeit und sie stehen zugleich exemplarisch für den Film: denn abseits dieser Einzelmomente reißt die Dschungel-Sequenz auch immer wieder mit. Über die Bewegung der Action erzählt Spielberg auch von einer sukzessiven Familienzusammenführung und streut immer wieder vergnügliche Wortgefechte zwischen Indy und Ravenwood ein, die nach 27 Jahren immer noch so schön lächeln kann wie damals.

Das Problem liegt weniger an den Grundzutaten, nur scheint Spielberg das Feingefühl abhanden gekommen zu sein, die einzelnen Elemente auszubalancieren. Aus einer romantischen Annäherung muss hier zwingend eine übersteuerte Hochzeitszeremonie folgen, die Bedrohungsszenarien nach Giftschlangen und mörderischen Fallen in einer Atomexplosion gipfeln und die Verfolgungsjagd im Dschungel muss noch damit gekrönt werden, dass Ravenwood gezielt auf einen Baum am Abgrund zusteuert und an diesem herab in den Fluss gleitet. Das ist so drüber, wie es Plastik ist. Und statt Gefahren existieren hier nur noch Attraktionen am Wegesrand. Das ist am Ende leider so aufregend wie ein Familienausflug in den Serengeti-Park – und mindestens so falsch.

Dienstag, 5. September 2017

Zuletzt gesehen: August 2017

"The Ghost Writer" [UK, FR, DE '10 | Roman Polanski] - 8/10

"Raiders of the Lost Ark" [US '81 | Steven Spielberg] - 7/10

"Indiana Jones and the Temple of Doom" [US '84 | Steven Spielberg] - 4/10

"Indiana Jones and the Last Crusade" [US '89 | Steven Spielberg] - 6/10

"Indiana Jones and the Kingdom..." [US '08 | Steven Spielberg] - 4/10

"Baby Driver" [US '17 | Edgar Wright] - 2/10

"Her" [US '13 | Spike Jonze] - 4/10

"Ghost in the Shell" [US '17 | Rupert Sanders] - 4/10

"Wilde Erdbeeren" [SE '57 | Ingmar Bergman] - 6/10

"August: Osage County" [US '13 | John Wells] - 4/10

"Toni Erdmann" [DE, AU '16 | Maren Ade] - 8/10

"Paterson" [US '16 | Jim Jarmusch] - 7/10

"Phenomena" [IT '85 | Dario Argento] - 3/10

"Eine Taube..." [SE '14 | Roy Andersson] - 6.5/10

"Mystery Train" [US, JP '89 | Jim Jarmusch] - 6/10

"Game of Thrones" [US '17 | Season 7] - 6/10

Montag, 28. August 2017

"Game of Thrones" [US '17 | Season 7]

„Game of Thrones“ hat nach sieben Jahren endgültig seine Geduld verloren. Und was sich mit der fünften Staffel schon klar abzeichnete, wird nun mehr denn je deutlich: Die Serie vollzog nach vier Staffeln, in denen es sich mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt den Buchvorlagen Martins verpflichtet sah, einen Paradigmenwechsel. Das Schicksal der Spieler im „Game of Thrones“ liegt nicht länger in den Händen eines kreativen Urvaters in einem Arbeitszimmer irgendwo in Santa Fe, sondern wird von einer Handvoll fleißiger Schreiber beim US-Bezahlsender HBO besiegelt – auch immer unter dem Eindruck von Marktanalysen, Feedback-Evaluation und Quotenmessungen. Mit der Vision eines Schriftstellers mag das intrigante Spiel auf Westeros also begonnen haben, aber es wird im kommenden Jahr mit Sicherheit ohne einen solchen beendet.

Am Ende des kreativen Vakuums, das die fehlenden Vorlagen Martins hinterlassen haben, steht damit auch die Ablöse des einen kreativen Modells durch das andere. An die Stelle einer individuellen Schaffensvision rückt, auch schon bedingt ausgelöst durch den Transfer vom einem Medium ins andere, die kreative Kollaboration und das künstlerische Werk als Gemeinschaftsarbeit. Und auch ohne diese grundverschiedenen, kreativen Modelle gegeneinander ausspielen zu wollen, wird deutlich, dass „Game of Thrones“ schon längst zwei Identitäten lebt. Aus einer Serie, die sich immer wieder wütend von ihrem Zuschauer abwandte und ihn alleine im Regen stehen ließ, ist eine Serie geworden, die diesen nun regelmäßig in einer umsorgenden, mütterlichen Geste fest in die Arme schließt. Und so spannend es für viele sicherlich gewesen wäre, zu sehen, wie sich die Geschehnisse auf Westeros in der Vision Martins ausgestaltet hätten, zumindest auf dem Fernsehbildschirm wird diese Vision niemals sichtbar sein. Stattdessen gibt es Staffel 7: ein teures Lizenzprodukt und eine höchst schizophrene Serien-Erfahrung.

Ein Lied von Logik und Konsistenz

Kriegshandwerk und militärische Strategien waren in „Game of Thrones“ schon immer mindestens fragwürdig, in seinen Details gerne in den Hintergrund verbannt und letztendlich vor allem dem Schauwert verpflichtet gewesen. Zeit hatte in diesem Rahmen immer relativen Charakter, ebenso klare Werte zu Truppenstärken und militärischer Infrastruktur der verschiedenen Parteien. Hier blieb die Serie immer konsequent Soap-Opera und überhaupt nicht interessiert an „Hard Fantasy“. Manche Figuren verbrachten auf ihrer Reise jenseits der Mauer eben ganze Staffeln im Dunkeln des Offs, andere, zentralere Figuren rasten dagegen mit der ICE-Direktverbindung durch Westeros.

Gerade in der neuen Staffel macht es jedoch den Eindruck, als hätte plötzlich eine ganz Reihe von Charakteren einen Teleport für sich entdeckt, um in jeder noch so ausweglosen Lage, den Drehbuchautoren und ihren Handlungskonstruktionen beistehen zu können. Skeptiker jeder Logik-Kritik werden an dieser Stelle sicherlich gerne auf die wenig erläuterten Zeitebenen der Serie hinweisen oder fragwürdige Truppenbewegungen über die Zugehörigkeit zum Fantasy-Genre entschuldigen. Oder sie werden behaupten, solcherlei Inkonsistenzen seien nicht weiter wichtig, weil sie einem ernstzunehmenden Kunstverständnis ohnehin grundlegend widerstreben (- nicht selten gründet sich diese Argumentation auf einer Aversion gegenüber jenen (vor allem amerikanischen) Plattformen, die sich eine solche Form der Kritik auf die Fahnen geschrieben haben).

Natürlich muss sich eine Drama-Serie und große Oper wie „Game of Thrones“ nicht für jeden Zufall und jede Figurenbewegung erklären – ganz und gar nicht. Genauso wenig sollte aber auch jeder Anspruch nach innerweltlicher Konsistenz fallengelassen werden. Es fällt nämlich zunehmend schwerer, sich in den Meta-Themen, Figuren-Motiven und politischen Spielzügen zu verlieren, wenn man erkennt, mit welch einfachen Mitteln die Autoren versuchen, Bewegungen und Entwicklungen in der Serie auszulösen. Ein abermaliges Wiedersehen zwischen Tyrion und Jaime, eine potenziell hochspannende, emotional glaubwürdig hergeleitete Figuren-Konfrontation und ein wahres Dilemma, fädeln die Autoren beispielsweise auf die denkbar komplizierteste Weise ein, wo sich eine Begegnung beider Figuren nach der Schlacht in Episode 4 sowieso schlüssig ergeben hätte. 

Dieses Beispiel steht exemplarisch für ein Problem dieser Staffel: der Blödsinn ergibt sich in den seltensten Fällen aus einer verzwickten, narrativen Lage heraus, sondern ist ganz offenkundig vermeidbar. Und sie reißen nicht nur aufgrund einiger fragwürdiger Truppenbewegungen aus der Wirklichkeit der Serie, sie entwerten auch Figuren und ihre Biographien, wenn sie Komplikationen erzeugen wollen, wo sich eigentlich keine logisch ergeben und Fähigkeiten behaupten, die die individuellen Handlungsweisen konterkarieren. Wie kann man darauf vertrauen, dass die Autoren die Meta-Themen der Serie klug weiterführen, wenn sie schon an oberflächlichen Figurenbewegungen zu scheitern drohen?

In einer Figur wie Euron Greyjoy fügen sich die Probleme dieser Staffel zusammen: Dem weit gefächerten Figuren-Pool von Westeros fügt sie nichts spannendes hinzu, stattdessen ist ihre Daseinsberechtigung ausschließlich strukturell begründet (und nicht ohne Grund fast ausschließlich auf die erste Hälfte der Staffel beschränkt). Ebenso naheliegend gespielt wie konzipiert, scheint sie schlussendlich das selbe Schicksal wie einem Ramsay Bolton vergönnt. An die Seite einer arroganten, endgültig bösartigen, weil fast ohne unmittelbaren Kontext agierenden Figur wie Cersei, nach Jahren kontinuierlicher Charakterentwicklung von Lena Headey nur noch mit zwei Blicken gespielt, und ihrem hoffnungslos vernarrten, etwas weniger arroganten Liebhaber/Bruder mit Euron einen ähnlich arroganten, bösartigen Charakter zu stellen, ist in erster Linie öde und eher klaren Feindlinien zuträglich, statt den sonst so ambivalenten Beziehungsstrukturen der Serie.

Der Figur des Euron kommt dabei auch noch die Funktionsweise eines deus ex machina zu. Sie ist keine inspirierte Figuren-Idee, sondern in erster Linie ein pragmatisches, erzählerisches Element, um leicht durchschaubare, dramaturgische Strukturen zu schaffen. Diese Praktik fand auch in den vergangenen Staffeln immer wieder Anwendung (Battle of the Bastards), ließ sich dort aber zumindest halbwegs verargumentieren. Euron und sein aus dem Nichts entstandener Flottenverband kann nun wie einst die Black Pearl mit einem Mal aus dem Nebel des Krieges auftauchen und jedes dramaturgische Hemmnis ausradieren. Eigenen Spekulationen und Prognosen wird damit jede Grundlage entzogen. Nicht, weil die Figuren so komplex und die Intrigen so fein gesponnen sind, sondern weil die Autoren zu Göttern mutieren, die jede Unbequemlichkeit mit einem Federstrich eliminieren können, ohne sich jenen Parametern zu verpflichten, die sie zu Anfang noch postuliert haben. Es kann alles passieren, wenn im Spiel der Throne plötzlich keine Regeln mehr gelten.

Figuren-(Un-)Tiefen und die Gewalt des Todes

Eine der schöneren Erkenntnisse dieser Staffel: Emilia Clarke und Kit Harrington funktionieren wunderbar miteinander - nicht zuletzt deswegen, weil ihre Figuren sich in ihrem jeweiligen Gegenüber wiedererkennen können. Beide eint ein jugendlicher Eifer, der plötzlich an der harten Wirklichkeit des Regierungsalltags seine Grenzen erfährt und beide machen eine Verletzlichkeit sichtbar, die die immense Verantwortung ihrer Figuren glaubwürdig auszudrücken vermag. Während Daenerys den eiskalten Blick einer unnahbaren Monarchin mittlerweile bis zur Perfektion beherrscht und Clarke immer gekonnter zwischen königlichen Gesten und kindlicher Verunsicherung oszilliert, führt Jon Bündnisverhandlungen nach wie vor mit süßem Hundeblick.

In ihren ersten Begegnungen spielen die Macher beinahe alle Stärken der jeweiligen Parteien aus. Dem übertriebenen royalen Gestus von Daenerys begegnet Chefberater Davos Seaworth mit nordischem Unterstatement. Der Humor ergibt sich hierbei vor allem glaubwürdig aus den Figuren, ebenso wie die politischen Forderungen der potenziellen Allianzparteien. Im Thronsaal auf Dragonstone wird harte Außenpolitik betrieben, aber unter dem Eindruck innenpolitischer Erwägungen in einem klaren Sinnzusammenhang verortet. Hier zeigt sich eine der großen Stärken der Serie, nämlich Politik aufs unterhaltsamste zu komprimieren und über seine Figuren zugänglich zu machen. Daenerys und Jon dürfen klare Kante zeigen und trotzdem ihr Gesicht wahren, weil Davos und Tyrion ihrem Naturell entsprechend, diplomatische Kompromissbereitschaft signalisieren. Der G2-Gifpel auf Dragonstone beginnt mit dem tödlichen Blick einer jungen Königin und endet mit dem leichten Lächeln eines Mädchens, das ihren neuen Crush überhaupt nicht mehr gehen lassen möchte. Wer hier von fehlender Chemie spricht, hat die falsche Serie gesehen.

Auch die Rolle des Todes hat sich mit der siebten Staffel noch einmal verändert. Fast zwangsläufig ist die Serie nach Jahren der ebenso überraschenden wie gewaltsamen Figuren-Tode berechenbarer geworden. Vor allem im Überfall des Versorgungszuges der Lannisters aus Episode 4 keine der mitunter weniger relevanten Figuren sterben zu lassen, ist erstaunlich. Chancen dafür gab es genug, stattdessen aber wurde der nahende Tod angedeutet, zugespitzt, um dann doch in der letzten Sekunde vereitelt zu werden. Ein dramaturgisches Mittel ("Plot-Armor"), die die Autoren dieses Jahr fast ad absurdum führen: Jaime entrinnt in allerletzter Sekunde dem qualvollen Verbrennungstod durch Bronns rettende Tat, welchem kurz zuvor beinahe selbst die Augenbrauen abgesenkt worden wären, und Jon Snow muss in der abermaligen Konfrontation mit dem Night King fernab der Mauer gleich zweimal (!) durch fix herbeigeschriebene deus ex machina vor dem erneuten Tod bewahrt werden.

Jeder Tod, so scheint es, müsse nun unheilvoll angekündigt und episch vollzogen werden. Jeder Charakter aus dem kontinuierlich schmaler werdenden Figuren-Pool ist inzwischen Kapital geworden; Munition, die sparsam verwendet werden muss, um das Sterben oder Nicht-Sterben einer geliebten Figur als Cliffhanger maximal profitabel zu machen. Die Beiläufigkeit des Todes, die Willkür und die schmerzhafte Gewalt der Überraschung ist „Game of Thrones“ nun schon seit längerer Zeit abhanden gekommen. Einfach so stirbt hier niemand mehr.

Gut gegen Böse

Jenseits der Mauer lauert jedoch nicht nur der Tod, sondern auch das eigene Schicksal. Gerade durch die Figuren der Brotherhood without Banners bekommt „Game of Thrones“ einen ganz konkreten religiösen Überbau. Beric Dondarrion und seine Leute überantworten sich einer wie auch immer gearteten göttlichen Präsenz (God of Light) und einem Determinismus, der sie zu Erfüllungsgehilfen für einen höheren Zweck degradiert. Dem möglichen Dahinscheiden der Figuren wird in der Serie mehr denn je Sinn verliehen. Sie dürfen sich opfern, in der Hoffnung zumindest ihren auserwählten Anführer retten zu können. Jeder Tod dient inzwischen einem höheren Zweck und spiegelt damit auch die Entwicklung der Serie wieder, sukzessive von Low zu High-Fantasy zu tendieren.

Zwangsläufig erscheint es also fast, dass „Game of Thrones“ sich in seinen Strukturen nicht nur entschlacken, sondern auch vereinfachen muss. Dem Feuer - dem Leben - dem Guten steht das Eis - der Tod - das Böse entgegen. Westeros teilt sich nach Jahren interner Machtkämpfe in zwei Lager auf. Die Spieler des Game of Thrones verbrüdern sich in dem Moment, in dem eine externe Bedrohung sich nicht nur weigert, die Spielregeln zu befolgen, sondern das System des Spiels selbst umzustürzen droht. Unter dem Eindruck der weltenverändernen Konsequenzen, die von den Walkern und ihrem mysteriösen Anführer ausgehen, gerinnt der Kampf um den Eisernen Thron zu einer Nebensächlichkeit, die Bündelung aller verbliebenen Kräfte zu einer absoluten Notwendigkeit.

Jon Snow und Daenerys Targaryen werden in diesem Konflikt mehr und mehr zu mythologischen Gestalten. Die Drachenkönigin steigt im großen Finale der vorletzten Episode auf dem Rücken eines riesigen Wyvern aus dem gleißenden Himmel herab und errettet Jon und seine Jünger vor den Armeen des Todes. Der weltliche Machtkampf, angetrieben von den allzu weltlichen Gelüsten und Lastern, spielt eine immer kleinere Rolle, je außer-weltlicher die Bedrohung für diese Welt wird und damit auch die Mittel, die es braucht, um diesen etwas entgegensetzen zu können. „Game of Thrones“ fährt die ganz großen Geschütze auf und hätte die Chance zu einer neuen, nicht minder reizvollen Identität zu finden.

Die Reduktion der Konfliktstrukturen muss nicht bedeuten weniger anspruchsvolle Unterhaltung bieten zu können. Und eine in sich geschlossene, konsistente Welt ist nicht unvereinbar mit dem neuen, erzählerischen Tempo der Serie. Aber bisher finden die Macher bei allem Schauwert selten die wirklich großen Bilder. Die Serie ist ein globales Großereignis geworden, mehr denn je diktiert von seinen Zuschauern, seinen Vorlieben und Erwartungen. Und sie speist sich mehr denn je aus dem Kapital früherer Staffeln. Sie ist nicht die Serie, in die ich mich einst verliebt habe, beherbergt aber viele Figuren, in die ich nach wie vor vernarrt bin. Eine schizophrene Lage, die ich gerne gewillt bin für eine weitere Staffel auszuhalten.

Mittwoch, 23. August 2017

"Louder than Bombs" [FR, DK, NO '15 | Joachim Trier]

Durch die gewählten Betrachtungswinkel bringt Trier in seinen Figuren neue Facetten zum Vorschein, die ansonsten verborgen blieben. Ihre Probleme und Komplikationen werden in ein Verhältnis gesetzt und in einem globalen Bewandtnis-Zusammenhang verortet, der über die eigenen vier Wände hinausweist. Die Figur von Isabelle Huppert spukt wie ein Gespenst in den Köpfen ihrer Familie herum. Ihr Echo besetzt die Räume des Filmes, zuvorderst all jene kommunikativer Natur. Ihre Anwesenheit sollte eigentlich bezeugen, wie nichtig die Schmerzen sind, die ihre Hinterbliebenen fühlen. Die Bilder, die sie bis in die privateste Sphäre hineinträgt, müssten eigentlich abschwächen, was im Moment des Schmerzes so gewaltsam und vernichtend ist. Aber die Bilder von Bomben und Schutthaufen, staubigen Gesichtern und getrocknetem Blut vom Ende der Welt nehmen keiner Gefühlswelt ihre Gewalt und keinem Problem seine Daseinsberechtigung. Trier priorisiert keine Gefühlswelten über andere, erklärt nicht die einen für nichtig im Angesicht der unendlichen Ungerechtigkeit dieser Welt – selbst wenn sein Gespenst daran zerbrochen sein mag. 

 7/10