Freitag, 27. Januar 2017

Die Mär vom Film, der nur unterhalten möchte (und was Unterhaltung sein könnte)

Da ist es wieder. Du siehst es schon kommen, bevor die Worte endgültig ausgesprochen worden sind. Denn sobald man dazu ansetzt über einen sogenannten Unterhaltungsfilm, einen Blockbuster also, abseits von schnellen Geschmacksurteilen ernsthaft diskutieren zu wollen, so wie man auch über jedes andere gesellschaftspolitische Thema ernsthaft diskutieren können sollte, wird abgewunken und das tödlichste aller Totschlagargumente bemüht: Der Film wolle doch „nur unterhalten", solche Ansprüche seien also Fehl am Platz, völlig unangebracht, mindestens unfair dem Film und den Machern gegenüber, die doch nur Unterhaltung versprechen - und sonst nichts. Eskapismus eben, der keine Hirnleistung erfordert; zwei Stunden einmal den Kopf auf Durchzug schalten und alles von sich abfallen lassen. Nur elitäre Kritiker und Miesepeter, verkopfte Kunsttheoretiker und arrogante Weinglas-Schwenker stellen an den gemeinen Blockbuster heutzutage noch Ansprüche, die über gute Unterhaltung hinausgingen.

Das ist natürlich alles ganz grober Unfug, den Leute reden, die ihren Kopf sonst so selten einstellen und im Kinosaal mal damit beginnen könnten. Diskursfeindlich ist dieses Denken sowieso. Der Denkfehler beginnt schon bei der Annahme, der Unterhaltungsbegriff einer breiten Zuschauerschaft sei auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und das einfache Bedürfnis eines Filmes nur unterhalten zu wollen, bedürfe keiner weiteren Erklärung. Aber gerade dieser Unterhaltungsbegriff bedarf einiges an Klärung. Die Vorstellungen von (guter) Unterhaltung sind nämlich sehr wohl verschieden, sogar ganz fundamental und deswegen auch die Ansprüche, die daran gebunden werden. Gerne wird die Floskel vom Film, der nur unterhalten möchte, bei hoch budgetierten Blockbustern bemüht - bei Superheldenfilmen, Actionstreifen oder Komödien zum Beispiel, die man in der Annahme, diese seien abseits der Pointe und des Gags an nichts weiterem interessiert (oder müssten an nichts weiterem interessiert sein), gerne von weiteren, zu weit führenden Ansprüchen zu verteidigen sucht. Man nimmt also gerade diejenigen in Schutz, die über die größten Möglichkeiten verfügen und sich selbst die größten Limitierungen auferlegen.

„Ein Blockbuster hat natürlich nicht die Figuren eines P.T.A. oder die Dialoge eines Tarantino.“ - das seien somit unangebrachte Erwartungen. Derjenige, der an den neuen Marvel-Film also die falschen Erwartungen stelle, ist selber Schuld, wenn er letztlich an sich und seinen mitgebrachten Erwartungen scheitert. Das ist ein weiterer Punkt: irgendeine graue Masse scheint festlegen zu wollen (und zu können) welche Erwartungshaltung man an eine bestimmte Sorte von Film stellen könne und welche nicht. Der Actionfilm könne nur gute Action bieten und alle Makel abseits dieser Kernkompetenz seien vernachlässigungswert, verzeihbar mindestens. Das Kino wird durch solch ein Denken in Genre-Kategorien in seinen Möglichkeiten und Chancen massiv unterschätzt. Und von was sich wer wie unterhalten lässt, ist – wie bereits erwähnt - tatsächlich hochgradig verschieden und ganz und gar persönlich. Die Einordnung in eine Genre-Tradition und seine Regeln sollte den Zuschauer nicht dazu veranlassen, vermeintlich falsche Ansprüche fallenzulassen. „Lazy writing“ sollte nicht über eine Genre-Zugehörigkeit entschuldbar sein und durch bloße Repetition plötzlich legitimiert (schaut man z.B. auf eine der unzähligen Slasher-Reihen und die Verhaltensweisen der Teenager dort, scheint aber gerade das zu passieren).

Aber auf die Kritik an Genre-Zuordnungen möchte ich in diesem Beitrag nicht weiter eingehen, mein Punkt ist ein anderer. Mein Punkt ist nämlich, dass die Mär vom Film, der nur unterhalten möchte, zumeist von solchen Leuten bemüht wird, die sich und den jeweiligen Film mit einfachsten Mitteln zu verteidigen suchen. Denn Unterhaltung muss begrifflich nicht etwas vom Intellektuellen, Langwierigen und Komplexen entkoppeltes sein; es ist nicht davon isoliert, schließt es nicht aus, ebenso wenig wie es etwas davon einschließen muss. Unterhaltung kann synonym sein mit guten Actionszenen oder teuren, großen CGI-Bildern - muss es aber nicht. Ich schätze das ist mein Anliegen mit diesem Text: Unser Verständnis vom Film, der nur unterhalten möchte, unser Verständnis vom „Unterhaltungsfilm“ per se, sollte so unbegrenzt sein wie die Welt des Kinos selbst.

Ich mag nur Filme, die mich unterhalten. Ich mag keine Filme, die mich nicht unterhalten. Mich unterhalten Jackie Chan-Flicks und Explosionen ebenso, wie mich Krankheitschroniken und Trennungsfilme unterhalten können. Mich unterhält alles, was mich als Menschen ernst nimmt und sich nicht scheut von der gesamten Palette menschlicher Emotionen Gebrauch zu machen. Jeder Film, der mich beschäftigt - intellektuell oder emotional, oder beides - der mir Eindrücke vermittelt, mich verstört, grundsätzliche Fragen stellt oder einfach nur in einer Fluchtbewegung zerstreut, unterhält mich auf eine Weise. Unterhaltung sollte nicht synonym sein mit unangebrachten Erwartungen und erwartbaren Makeln, er sollte nicht reserviert bleiben für Blockbuster, Actionfilme und seichte Komödien über Männer und Frauen - so einfach sollte man es weder der Filmindustrie, noch sich selber machen. Dem Kino zuliebe.

Samstag, 21. Januar 2017

"Don't Think Twice" [US '16 | Mike Birbiglia]

Ein absolut lohnenswerter Blick hinter die Kulissen einer New Yorker Impro-Gruppe. Humor ist hier nicht nur Bestandteil alltäglicher Umgangsformen oder Bewältigungsstrategie angesichts jener Arschtritte, die das Leben beizeiten aus der Bahn werfen, sondern auch eine Kompetenz, die die Freunde auf der Bühne abseits davon in einen Wettstreit eintreten lassen. Dann erzählt „Don't Think Twice“ auch vom Neid, dem lästigen, wenn sich die Karrierewege trennen und die Angst umgeht, auf ewig in den Kellern halb verlotterter Stand-Up-Bars den Clown zu mimen und den Wunsch es endlich auf der großen Fernsehbühne tun zu dürfen, von der Sehnsucht gesehen zu werden oder vom Widerspruch als Teamplayer seiner Intuition zu folgen, um zahlendem Publikum einen unbeschwerten Abend zu bereiten und dem Ehrgeiz aus dem Schatten seines Ensembles herauszutreten; dem Widerspruch das Leben mit Leichtigkeit zu nehmen und aus den Komplikationen des Alltags eine Pointe zu dichten und der Unbarmherzigkeit des Geschäfts. Diese sehr ambivalenten, komplexen Gefühlswelten aufstrebender Comedians, von denen man nicht weiß, ob sie zuvorderst Freunde oder doch Konkurrenten sind, fängt „Don't Think Twice“ beinahe semi-dokumentarisch und doch gleichzeitig ungeheuer einfühlsam ein. Eine klassische Milieu-Studie also, die einem sehr andere, sehr spannende Lebensentwürfe näher bringt und weder urteilt, noch beschönigt, wenngleich das Klischee vom bösen TV-Boss hier lediglich der romantischen Idee dienlich ist, die „Kommune“ gegen das verschleißende, schnelllebige Fernsehgeschäft zu verteidigen. Solche Makel sind vergessen, wenn der Film dem Theater seine Liebe gesteht und die Bühne zu jenem Ort erhebt, an der alle kommunikativen Barrieren überwunden werden - wo Wunden nicht nur aufgerissen, sondern auch wieder geheilt werden können.

6/10 

Sonntag, 15. Januar 2017

"Barbara" [DE '12 | Christian Petzold]

Welch Ironie, dass gerade Petzolds DDR-Film in solch kräftigen Farben strahlt; nicht aus Verklärung einer trüben Erinnerung heraus, sondern ganz im Gegenteil im Bewusstsein einer Lebenswirklichkeit, die für viele eben nicht nur in Grautönen gemalt wurde, weil der Mensch in jedem System für sich eine Heimat finden kann - muss. Die Kontrollsucht dieses Systems, das die Sehnsüchte seiner Bevölkerung nicht nur ungehört verklingen ließ, sondern ganz gezielt unterdrückte, bleibt nichtsdestotrotz ein stetig präsentes, allumfassendes Bedrohungsszenario, das Barbara an den Bildrand drängt und ihr die Luft zum Atmen raubt, aber ihre Idee von Freiheit nie gänzlich ersticken kann. Bemerkenswert ist, dass trotz dieses durchdachten Inszenierungskonzepts die Bilder immer noch vor Leben sprühen und die Geschichte tatsächlich lebendig werden lassen, sodass der Film nicht nur Empathie für jene zulässt, denen man den Opferstatus zuweist, sondern auch all denjenigen, die sich mit der DDR-Diktatur arrangiert haben. „Barbara“ erzählt aber auch gleichzeitig von der Idee eines Glücks, das in der Sehnsuchtsphantasie verfangen wertvoller erscheint und deswegen auf ewig unverwirklicht bleibt. Sodass Barbara schlussendlich nicht aus Opferbereitschaft an der Küste verbleibt, sondern aus Angst vor der Enttäuschung an eine sehnsüchtig erwartete West-Utopie - möglicherweise aber auch in der Realisation in einem anderen Menschen eine Heimat gefunden zu haben. Kein klassischer DDR-Film; reduziert, leise und ohnehin viel zu bunt, aber es lohnt sich - auch wenn man dafür auf die Schulklasse des Geschichtskurses 10a im Kinosaal verzichten muss und Jauch im Anschluss keine Talkrunde versammeln kann. 

8/10 

Samstag, 7. Januar 2017

"Das Leben der Anderen" [DE '06 | Florian Henckel von Donnersmarck]

Oscar-Kino aus Deutschland. Ganz am Ende schnürt Donnersmarck sogar das komplette Wohlfühlpaket. Grundlegend ist „Das Leben der Anderen“ jedoch unterhaltsam, historisch verortet, gut gespielt, nach wie vor relevant und sein durchschlagender, internationaler Erfolg, gerade in den USA, aufgrund dessen nicht einmal eine so große Überraschung. Vor allem macht der Film keine Spärenzchen, ist ganz und gar konzentriert und bietet insbesondere eine geniale Prämisse an, die als Drei-Personen-Stück auch ohne weiteres auf der Theaterbühne zuhause wäre. Auf das wirkungsvoll fatalistische Finale hin, hätte man sich die darauf folgenden, Erklärbär-lastigen Minuten aber auch sparen können. Man kann das Ende einer Diktatur auch ohne happy end für den stillen Helden auserzählen. Dafür hinterlässt Ulrich Mühe auch so einen viel zu eindringlichen Eindruck. In seinen Augen drückt sich die Sehnsucht nach Bewegung aus, dort wo der Status Quo Stillstand verlangt. In ihm manifestiert sich der Glaube und die Hoffnung an eine wesenseigene Moral, die dem Menschen auch allen Widrigkeiten zum Trotz immanent ist und die die Kunst zum Vorschein zu bringen vermag. 

6/10

Montag, 2. Januar 2017

Zuletzt gesehen: Dezember 2016

"Sag nicht, wer du bist!" [CA, FR '13 | Xavier Dolan] - 5/10

"Kubo and the Two Strings" [US '16 | Travis Knight] - 4/10

"Sully" [US '16 | Clint Eastwood] - 2/10

"Diplomatie" [DE, FR '14 | Volker Schlöndorff] - 6/10

"We Bought a Zoo" [US '11 | Cameron Crowe] - 3/10

"He’s Just Not That Into You" [US '09 | Ken Kwapis] - 4/10

"Jack" [DE '14 | Edward Berger] - 6/10

"Hedi Schneider steckt fest" [DE '15 | Sonja Heiss] - 7/10 

"Circles" [SRB, DE, FR '13 | Srdan Golubovic] - 5/10

"South Park" [US '16 | Season 20] - 5/10

"Araf" [TUR '12 | Yesim Ustaoglu] - 6.5/10

"Cure" [JP '97 | Kiyoshi Kurosawa] - 6/10

"The Hobbit: The Battle of ..." [US, NZ '14 | Peter Jackson] - 0/10

"Yella" [DE '07 | Christian Petzold] - 6/10

"Rogue One" [US '16 | Gareth Edwards] - 3/10

"Irma Vep" [FR '96 | Olivier Assayas] - 6/10

"Spuren" [AU '13 | John Curran] - 6/10

"American Honey" [US '16 | Andrea Arnold] - 7/10

"Nocturnal Animals" [US '16 | Tom Ford] - 4/10