Mittwoch, 27. November 2019

Die da oben - "The Boys" [US '19 | Season 1]


Selbst der harte Brite mit dem süffisanten Grinsen im Gesicht (Karl Urban) sitzt hier irgendwann mit dem Protagonisten auf der Parkbank und erzählt von seinen persönlichen Verlusten, den Schmerzen, die sie verursachen und dass er diesen deswegen total verstünde. Vermutlich ist das diese Charakterisierung von der immer alle erzählen und die ist immer ganz leicht daran zu erkennen, dass die Stimmen der Schauspieler ganz tief werden und der Blick glasig in der Erinnerung erweicht und filmisch ist das im Grunde immer Schuss/Gegenschuss und ich könnte jedes Mal vorspulen, wenn ich mir diese so säuberlich getrennten Dramaparts in amerikanischen Serien antun muss, um die guten Sachen sehen zu dürfen, bzw. die Dinge, die es nur dort zu sehen gibt. Zum Beispiel eine Gruppe zusammengewürfelter Jungs, die einen unzerstörbaren, unsichtbaren Superheld gefangen halten und darüber rätseln, wie sie ihn töten könnten, während eine Art Superman über die Stadt hinwegfegt und nach seinem Helden-Kollegen Ausschau hält; den Jungs geht der Kackstift, das ist nur verständlich und der Perspektivwechsel macht Spaß, wo man im Kino doch bislang stets auf der Seite der Helden stand und selten gegen ihn agieren musste. Ganz plötzlich werden so die Nachteile absolut konzentrierter Macht deutlich.

Die Spaßigkeiten dieser unkonventionellen Prämisse gestaltet "The Boys" aber leider allzu konventionell aus. Das ewige Gelaber habe ich bereits erwähnt, jedes Trauma wird sich erzählt, jede Motivation, gerade dies oder jenes zu tun, ausführlich dargelegt und besprochen, damit auch ja nichts ungesagt bleibt. Das ist dann auch immer ganz klar von den schwarzhumorigen Teilen der Serie getrennt, wenngleich man sich auch hier eher auf dem pubertären Gewalt-ist-geil-Niveau anderer Superhelden-Stoffe bewegt, die R-Rating mit Erwachsenenunterhaltung verwechseln. Die Serie hat zudem ungleich höhere Ambitionen und möchte sich offenbar darüber hinaus, oder zuvorderst, als kritische Satire auf, ja, eigentlich alles verstanden wissen, das in den USA irgendwie eine geeignete Zielscheibe abgibt. Die Superhelden-Branche ist gänzlich privatisiert, die Medien und sozialen Netzwerke dienen als nützliche Mittel zu ihrer Vermarktung, die Politik wird im Verborgenen manipuliert und die Kirche stülpt den Brands der Superhelden auch noch irgendwelche Erlöser- und Erretter-Mythen über. Überhaupt sind die Mächtigen hier alle korrumpiert und alle tragen Masken und dahinter gilt es dann das wirkliche, das - natürlich - tief böse Gesicht der vermeintlich altruistisch agierenden Superhelden zu erkennen.

Dazu gibt es dann Bilder, die man eben erwarten kann, wenn im Fernsehen über Macht erzählt wird: falsche Reden, falsches Grinsen, falsches Winken vor jubelnden Massen, während man hinter vorgehaltener Hand die Wahrheit spricht. "The Boys" ist die Serie für den Verschwörungstheoretiker, der glaubt, über eine 2 stündige Internetrecherche die Verästelungen der Macht durchschaut zu haben und sich in jedem Vorurteil über Macht und Personen der Macht bestätigt sehen darf. Gerade ästhetisch bleibt bei alledem jedoch wenig hängen, vielleicht der Schuss von Homelander (Superman), wie man ihn durch das Fenster eines Flugzeugs am dunklen Nachthimmel erblickt und dieser einem kleinem Jungen im Flugzeug zuwinkt, ehe sich seine Augen rot färben und er das Flugzeug gewaltsam vom Himmel holt. Diese Szene ist auch stellvertretend für das, was die Serie einem am besten vermittelt: die Angst der Menschen vor den Helden und ihren gottgleichen Fähigkeiten, sogar die Angst und Skepsis der Superhelden untereinander. Die Herangehensweise Snyders bei seinem großen Superhelden-Clash, nämlich die Helden ganz ernsthaft in die gegenwärtigen Machtstrukturen zu situieren, nimmt „The Boys“ wirklich ernst, findet bei Zeitlupen-Gore und cooler Musik aber zu keinen erhellenden Einsichten.  

Montag, 18. November 2019

Wellen reiten - "Das Meer war ruhig" [JP '91 | Takeshi Kitano]


Fun Fact: die Müllabfuhr hinterlässt beim Abholen des Mülls immer selbst ein bisschen Müll. Bei dieser Müllabfuhr, jedenfalls, arbeitet ein junger Mann, der nicht hört und nicht spricht, aber natürlich trotzdem erzählt. Sein Körper erzählt beim Reiten der Wellen mit seinem notdürftig reparierten Surfboard, sein Gesicht erzählt, wenn es stoisch auf den Horizont, auf das Meer ausgerichtet ist. So wie dieser Film erzählt, gerade wenn nicht gesprochen wird, wenn sich die Prozesse wiederholen und wiederholen und wiederholen, bis der Stand auf dem Board ganz fest geworden ist und jede Welle eine Einladung. Der Film genießt zudem das Privileg, von der Musik Joe Hisaishis beseelt zu werden. Erst diese lässt die Bilder melancholisch flimmern. Ich musste an den viel späteren „Paterson“ von Jarmusch denken, der konzeptionell natürlich viel klarer und ausgefuchster ist. Das hemdsärmelige, rohe, filmisch nicht immer ganz glückende von „Das Meer war ruhig“ doppelt sich interessanterweise auch in der dezenten Aufstiegsgeschichte des Protagonisten. Vielleicht ist der Film das Äquivalenz-Stück zu den Slacker- und Surfer-Filmen aus den USA, wenngleich die kulturellen Unterschiede offenkundig sind. Statt eines ziellosen Umherirrens, findet der Protagonist ja gerade zum scheinbar ersten Mal in seinem Leben zu einem Ziel und ist den gesamten Film über ganz und gar fokussiert darauf, ein besserer Surfer zu werden. Das äußert sich im Film dann darin, dass er es bis in das Halbfinale eines regionalen Surf-Wettbewerbs schafft. Das war es dann aber auch schon. Es gibt keinen dramatischen Finalsieg, keine jubelnde Menge, sondern einfach nur den deutlichen Fortschritt der eigenen Fertigkeiten und den Respekt der Surfer-Kollegen. Zum Schluss lässt Kitano nochmal alle Figuren seines Filmes ganz im Doku-Stil mit ihren Surfboards in die Kamera blicken, Joe Hisaishi und seine Musik ziehen einem Schuhe mitsamt Socken aus, dann ist der Film zu Ende. Manchmal ist es einfach ganz einfach.