Sonntag, 31. Mai 2015

"Scream 2" [US '97 | Wes Craven]

Für jede Wendung gibt es einen Kommentar, jede Fügung eine Metaebene, die mit plattem Namendropping und Offensichtlichkeiten befüllt werden kann. „Scream 2“ kokettiert mit ihnen, den Regeln, den Fortsetzung-inhärenten Mechanismen, den Mustern, die ein neunmalklug daher-palavernder Filmstudent in der neuerlichen Mord-Serie erkannt haben will. Mehr Morde braucht's, und mehr Gekröse. Alles muss größer sein, cleverer, ironischer. Viel zu selten vertraut Williamson's gerade in der Einleitung grauenvoll geschwätziges Skript auf die Bilder, die ein Craven zu kreieren vermag. Viel zu sehr begnügt er sich stattdessen mit dem bloßen Nachstellen ikonischer Szenen aus dem Vorgänger, die nur weil sie ironisch gebrochen werden, nicht weniger einfallslos sind. Teil 2 hat ein Identitätsproblem und verzweifelt an der Ambition unbedingt cleverer sein zu müssen als sein meisterhaftes Vorbild. Zudem zeigt er die großen Stärken des Erstlings auf, neben der Thematisierung seines Genres und dessen Klischees, auch entkoppelt von der Referenz unmittelbare Momente des Horrors heraufzubeschwören. Ohne ein Schielen auf den doppelten Boden, den Raum hinter der Kulisse und eine Metaebene, die Williamson ohnehin nicht auszureizen gedenkt. Sogar „Nosferatu“ läuft abermals in der Flimmerkiste. Darüber hinaus verweigert „Scream 2“ seinen Figuren jedwede Weiterentwicklung. Es wird genauso doof gestorben, genauso vermeidbar mit dem Messer im Rücken dahingesiecht, wobei jedes Interesse an seinen Figuren fernab bereits etablierter Stars (Arquette, Campbell, Cox) lediglich in der spaßigen Whodunit-Prämisse begründet liegen dürfte. Das Spiel mit der Paranoia und eben die zentrale Suche nach dem Killer am Rande zur Parodie hat das „Scream“-Team aber nach wie vor ziemlich gut drauf, was vor allem an Craven's ruhiger Hand und dessen exzellenter Schauspielführung liegt. Am Ende werden die Rollen ins Gegenteil verkehrt und Sidney hat alle Hebel in der Hand. Sie kreiert den Horror, versetzt den Verfolger in die Situation vollkommener Hilflosigkeit. Kein Deut subtil, aber immer noch verdammt gute Unterhaltung. 

5.5/10 

Samstag, 23. Mai 2015

"Ame & Yuki – Die Wolfskinder" [JP '12 | Mamoru Hosoda]

Ame & Yuki – Die Wolfskinder“ ist ein schöner Film geworden. Schön ganz im Sinne des Wortes. Er erzählt von einer ungewöhnlichen Liebe zwischen Wolf und Mensch, vor allem aber von der unendlichen Liebe einer Mutter zu ihren Kindern. Davon alles für sie zu tun, auch wenn das bedeutet dafür die eigenen Grenzen neu erfahrbar zu machen. Ja, „Ame & Yuki“ ist ein Film über die Liebe, und er ist kitschig, überhöht und sentimental. Und das macht ihn schön. Weil man darüber lachen könnte, wenn man nicht wüsste, dass es der Wahrheit entspricht. Oder zumindest der Wahrheit am nächsten kommt. Sentimentalitäten entfernen sich keinen Schritt von der Wirklichkeit – sie gehen auf sie zu. So wie Mamoru Hosoda auf sie zugeht. Möchte man Ideologiekritik üben, darf man sich gelegentlich an einer traditionellen Idee von Rollenbildern stoßen und sie kritisieren. Man kann die gebotene Lebenswelt aber auch so akzeptieren und ungeheuer freies, feministisches Anime-Kino erfahren. Eines, das Gleichheit lebt, statt sie bloß zu proklamieren. Denn tatsächlich spielt Feminismus hier überhaupt keine Rolle, weil Geschlechter keine Rolle spielen. „Ame & Yuki“ widmet sich stattdessen einem vielfältigen Themenspektrum. Von Mutterliebe zu Identitätsfindung, von Existenzangst zu Coming of Age. All das lässt sich hier entdecken, erarbeiten, erfahren, man kann aber auch einfach nur die Decke ein wenig höher ziehen, die Augen schließen und dem wunderschönen Score von Takagi Masakatsu lauschen - und wenn ich wunderschön schreibe, ist das maßlos untertrieben. 

7/10 

Samstag, 16. Mai 2015

"Tropfen auf heiße Steine" [FR '00 | François Ozon]

Bizarres Kammerspiel vor deutschen Pop-Schlagern. Die Figuren hängen an Stricken und ihr Glück ist fragil, weil es der Laune eines allmächtigen Puppenspielers unterworfen ist. Ozon greift sich Fassbinder's Bühnenstück und verhilft ihm zu später Ehre. Aller Ehre wert ist dieses launige, zwischen überreizt-nervig und meditativ-tragisch oszillierende Vier-Personen-Stück nämlich trotz der mich weniger interessierenden Schwanzparade der ersten Hälfte trotzdem. Weil Ozon es schafft seine Figuren trotz aller kuriosen Plot-Verrenkungen immer wieder zum Reflektieren anzuhalten. Obwohl er sie mit Füßen tritt, aus dem Gefängnis keinen Ausweg offenbart, sie leiden, sich fetzen und sterben lässt, gesteht er ihnen Momente stillen Schmerzes zu. Zum letzten Drittel entlarvt sich „Tropfen auf heiße Steine“ dann endgültig als Farce - Titten auf den Tisch, Hüftschwung, tanze Samba mit mir! Die junge Ludivine Sagnier führt das Auflösen aller Beziehungskonstellationen nicht herbei, sie beschleunigt es lediglich bis zur Konsequenz. Es ist die Lust, die treibt, abstößt und vernichtet und nichts über den kurzen Fick hinaus währen lässt. Das Fleisch ist schwach und folgt seinen eigenen Regeln. 

6/10 

Sonntag, 3. Mai 2015

Zuletzt gesehen: April 2015

"Birth" [US '04 | Jonathan Glazer] - 8/10

"The Road" [US '09 | John Hillcoat] - 5/10

"Only Lovers Left Alive" [CY, DE, UK, US '13 | Jim Jarmusch] - 6/10

"Company Men" [US '10 | John Wells] - 6/10

"Laurel Canyon" [US '02 | Lisa Cholodenko] - 6/10

"Mona Lisa" [UK '86 | Neil Jordan] - 5/10

"Wish I Was Here" [US '14 | Zach Braff] - 4/10

"Who Am I - Kein System ist sicher" [DE '14 | Baran bo Odar] - 4/10

"Fast Five" [US '11 | Justin Lin] - 4/10

"Amadeus" [US '84 | Milos Forman] - 6.5/10

"5 Centimeters per Second" [JP '07 | Makoto Shinkai] - 5/10

"Dazed and Confused" [US '93 | Richard Linklater] - 6/10

"Zoolander" [US '01 | Ben Stiller] - 6/10

"50/50" [US '11 | Jonathan Levine] - 4.5/10

"John Wick" [CA, CN, US '14 | Chad Stahelski & David Leitch] - 4.5/10

"Losing Chase" [US '96 | Kevin Bacon] - 5/10

"Inherent Vice" [US '14 | Paul Thomas Anderson] - 7/10

"Happy Together" [HK '97 | Wong Kar Wai] - 6/10

Freitag, 1. Mai 2015

Neukonstruktion, Reboot, Wiedergeburt - Der Rebuild der Evangelion-Reihe

 "Evangelion: 1.11 - You Are (Not) Alone." (2007)

Mehr schickes Texturen-Upgrade, denn vollwertige Neuinterpretation der Ereignisse aus der Originalserie. Zumeist verwendet „Evangelion 1.11“ gar die selben Einstellungen in der selben Länge und Reihenfolge. Die Figuren sind aber nach wie vor erstaunlich einprägsam und von beeindruckender Ausdrucksstärke. Die wunderbar albernen WG-Anekdoten (samt badendem Pinguin), die in der Serie den sicheren Hafen entspannter Feierabend-Unterhaltung markierten, sind in kompensierter Form auch hier vorhanden. Die inneren Monologe Shinji's, die die depressive Phase seines Schöpfers widerspiegeln, durchbrechen auch hier immer wieder gewohnte Strukturen und lassen die nach wie vor nie so richtig schmerzhaften Kämpfe wie Füllmaterial erscheinen, die vom wahren Anliegen der Macher, den Fokus auf die hochsensible, traurige Hauptfigur zu zentrieren, lediglich ablenken sollen. Die Art und Weise wie sich die Rebuild-Filme, wie schon die Serie, gegenüber ihren Figuren positionieren und deren Gedankenwelt thematisieren, sowie die Gewichtung von Mecha-Genre-typischen Stilelementen und traumwandlerischer Seelenbebilderung sind jedoch immer noch höchst ungewöhnlich, spannend und berührend anzusehen.

"Evangelion 2.22: - You Can (Not) Advance." (2009)

Dieser zweite Film entwirft abstrakte Bilder einer sich langsam vollziehenden Apokalypse, deren Beteiligte - sobald die Fesseln der Menschlichkeit erst einmal abgelegt sind - sogar die weltliche Endlichkeit aus ihren Angeln heben, um in neue, ungeahnte Spähren vorzustoßen. Der Kampf ist auch immer verbunden mit der Selbstaufgabe, Entmenschlichung, Zersetzung, Aufopferung und der Wille erhebt sie alsbald in einen gottgleichen Kosmos, wo Tod nicht mehr Tod bedeutet und Freundschaft weltliche Barrieren durchbricht. Der Krieg ist martialisch und grausam und führt sogar so weit, animalische Kräfte zu entfesseln, deren Ursprung niemand zu begreifen und erst recht nicht zu kontrollieren imstande ist. Getaucht in hoffnungslos pathetische Bilder der Zerstörung und durchbrochen von einem schrillen Schrei der Hoffnung. Diese Dinge – wohlgemerkt – koexistieren neben japanischem Blödel-Humor, andauernden Anzüglichkeiten, nervenstrapazierenden Nebenfiguren, sowie inflationär verbautem 3-D-Animations-Schnickschnack. 

"Evangelion 3.33: You Can (Not) Redo." (2012)
 
Nachdem schon der zweite Film immer mehr von der Vorlage abwich, dichtet Teil Drei nun ganze Handlungsverläufe zugunsten der vielfältig vorhandenen Schauwerte hinzu, die es aber auch gleichzeitig erlauben, das Universum aus einer neuen Perspektive zu erleben. Der kluge Kniff, den Protagonisten nach dem furiosen Finale aus dem Vorgänger zunächst in die Beobachter-Rolle zu zwingen (und damit zur Handlungsunfähigkeit), eröffnet zudem die Möglichkeit, abseits von NERV involvierte Parteien, neue Figuren und Schauplätze im Zuge einer flotten Exposition kennenzulernen. Zugleich feiert „Evangelion 3.33“ in diesen Momenten seine wertig bis geleckt animierten Mecha-Spielereien zu sehr ab, statt diese Zeit in die facettenreichen Figuren zu investieren.

Die Entscheidung derart konsequent eine neue Geschichte in der Geschichte zu erzählen, macht diesen dritten Teil auch für Serien-Kenner spannend. Vor allem weil die Welt aus den Vorgängern plötzlich einer entrückten, rot gefärbten Ödnis gewichen ist, in der die verbliebenen Figuren nur noch in Schweigen gehüllte Marionetten sind, die angesichts eines übergeordneten Kosmos lediglich ihre angestammte Rolle spielen. Anno schert sich nicht weiter darum, dem Zuschauer in irgendeiner Form entgegenzukommen; alles bleibt vage und skizzenhaft, nichts wird ausformuliert oder erklärt. Stattdessen erreicht die Rebuild-Reihe ein neues Level der Abstraktion und erteilt humorigen Zwischentönen, sensibler Selbstkonfrontation oder Ansatzpunkten dazu, das Gesehene zu entschlüsseln, eine eindeutige Absage. Anno beraubt die Figuren ihrer Seele und ignoriert vieles, was die Fans in ihr Herz geschlossen haben – aber er geht auch neue, spannende Wege und vor Szenen von Untergang und Wiedergeburt zeichnet Anno wahrhaftige Momente tiefer gegenseitiger Verbundenheit.