Freitag, 26. Oktober 2012

"Ben X" [NL, BE '07 | Nic Balthazar]

Ich will mir ja nicht anmaßen ein allgemeingültiges Urteil darüber zu fällen, wann Autismus und die Symptomatik des Asperger-Syndroms glaubhaft oder eben nicht glaubhaft verkörpert wurden, doch so sehr ich auch versuchte Greg Timmermans' eigenwilliger Interpretation dieses Krankheitsbildes irgendetwas abzugewinnen, so wenig berührte, beeindruckte oder überzeugte mich seine Darstellung des an Asperger erkrankten Ben in irgendeinem Aspekt. Scheinbar geplagt von chronischen Overacting-Attacken kämpft sich dieser an der Seite eines ebenso wenig überzeugenden Darsteller-Ensembles durch ein ambitioniertes Debüt, dessen formaler Einfallsreichtum aber zu keiner Sekunde die penetrante Affektion zu kaschieren vermag, die von den eklatanten Drehbuch-Schwächen herrühren. „Ben X“ fehlt es an Authentizität und immer wieder an darstellerischen Fertigkeiten. Wenn der jugendliche Ben (übrigens selten blöd: vom fast zehn Jahre älteren Timmermans verkörpert) unsicher über den von Klischee-Statisten bevölkerten Schulhof wandelt und die Kamera sich mittels ständiger Close Ups immer wieder auf dessen verkrampftes Gesicht konzentriert, fast so als wolle sie sich über das limitierte schauspielerische Talent Timmermans lustig machen, dann wird klar, weshalb „Ben X“ nie zu wirklicher Größe berufen war: Es fehlt – so blöd es auch klingt - ein guter Hauptdarsteller.

Doch bei allem Makel in Timmermans' verkrampftem Spiel – es ist nicht einzig allein seine Schuld. Denn so sehr man sich auch an seinem Spiel stoßen mag, wirklich scheitern tut „Ben X“ an seinem Drehbuch. Nic Balthazar beweist keinerlei Gefühl für das ihm zugrundeliegende Sujet, bebildert kalt und jede Realitätsnähe vermissend, die Schikane der Mitschüler und die täglichen Barrieren zwischen seinem Protagonisten und dieser Welt, die ihm doch so fremd ist. Balthazar pflügt durch die sozialkritischen Themen ohne jede Feinfühligkeit und lässt seine beiden schmerzhaft eindimensionalen Peiniger immer wieder mit lautem Getöse auf den armen Ben los. Der langsam fortschreitenden Devastation einer einsamen und verwirrten Seele und der damit einhergehenden Schädigung durch sein Umfeld begegnet Balthazar mit visuellen Spielereien und nicht etwa einem Drehbuch, das als künstliche Reproduktion wirklicher Umfelder fungiert. Statt den Klassenraum mit Charakteren zu füllen, mit Gesichtern, die als Teil einer mitreißenden Geschichte funktionieren, liefert uns der niederländische Regie-Debütant die ewig-selben Gussformen; Abziehbilder, denen man eigentlich längst überdrüssig sein sollte. Da gibt es natürlich ein bis zwei emphatische Mitschüler, die – gut erzogen wie sie nun einmal sind – nicht mitfilmen, wenn die restliche, gesichtslose Klassenschaft Ben die Höschen herunterzieht, die bereits erwähnten, lächerlich aufgesetzt spielenden Peiniger und eine Hand voll Lehrer und Familienmitglieder, die irgendwie auch ein bisschen Charakter haben wollen, letztlich aber nur der wackelige Rahmen für eine löchrige Geschichte sind.

„Ben X“ ist zu viel Klischee und zu wenig Wahrhaftigkeit. Wo bei „Mary and Max“ der Thematik des Asperger-Syndroms mit gefühlvoller und von vielen leisen Zwischentönen durchzogener Melancholie ein emotionales Fundament bereitet wurde, bleibt Balthazar an der Oberfläche und vermag es selten dem Off-Kommentar seines Protagonisten jene emotionale Intensität zu verleihen, wie es Elliot bei eigentlich leblosen Knetfiguren gelang. Wirklich mitreißend wird „Ben X“ erst zu seinem ebenso ergreifenden, wie affektierten Schlussakt, der fast - aber eben nur fast - zu einer Verklärung des Vorangegangenen verführt. Verdient hätte er es auch nicht.  

3/10

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