Zeitlinien, die verschmelzen, Figuren,
die trauern, Figuren, die suchen, aber nicht finden können. Da sind
Menschen, die alt werden und nie erlöst sind von den Schulden der
Vergangenheit. Da sind Menschen, die sich schuldig gemacht haben. Die
Suche einzustellen, heißt das Erinnern einzustellen, heißt zu
vergessen. Erinnerung und Konzepte von Männlichkeit haben Pizzolatto
seit jeher beschäftigt, sie sind wiederkehrende Themen in einer
ständigen künstlerischen Selbstbefragung. Nun erweitert er diese
Themen um Beobachtungen zum Alltagsrassismus in den USA. Sie treten
jedoch lediglich als Begleiterscheinungen eines Kriminalfalles auf,
der seine Spuren unabhängig von Hauptfarbe (und Geschlecht) in jedem
Beteiligten hinterlässt.
Da gibt es dann ganz rührende Momente
zweier alter, vereinsamter Männer, die sich von ihren Gefühlen
erzählen, und da ist Enttäuschung, Trauer und Wut sich selbst und
dem anderen gegenüber. Da gibt es das patentierte Dialogisieren im
Auto vor künstlichen Rückprojektionen, die die Karre fast schweben
lassen, beide sinnieren tief grummelnd über den Fall - hier schwebte
„True Detective“ schon immer an der Grenze zur Albernheit. Und da
gibt es Szenen einer Ehe, die überhaupt nicht albern sind, sondern
die ein sukzessives Entzweien und wieder zueinander finden schildern,
ohne überdramatisierte Eskalationen zu bemühen.
Ästhetisch will diese Staffel derweil
nie so wirklich ein Eigenleben entwickeln, bleibt stets redselig,
manchmal öde redselig, und lässt seine Bilder selten auf eigenen
Füßen stehen, weil man ihrer Kraft (vielleicht zu Recht) nicht ganz
vertraut. Filmisches und literarisches Denken griff in der ersten
Staffel noch auf produktive Weise ineinander, setzte Synergien frei
und wertete das jeweils andere auf, hier ist ein gewisser Stil
erkennbar, der aber keine individuelle Handschrift sichtbar macht und
die Schatten vermissen lässt, die die Geschichte beständig auf
seine Figuren wirft. Aber das ist ohnehin ein Problem in diesem
goldenen Serienzeitalter, das beileibe nicht nur „True Detective“
betrifft: nach der ersten Folge ästhetisch auserzählt zu sein.
Wo die zweite Staffel komplexe
Verbindungen zwischen Charakteren und Milieus herstellte, ist die
dritte Staffel wieder ganz auf wenige Charaktere und ihre Psychologie
fokussiert. Und Pizzolatto hat sich spürbar weiterentwickelt:
hinfort sind die lebensphilosophischen Einschübe seines Alter Egos
Rust; stattdessen wird ein Interesse an Lebenswirklichkeiten
sichtbar, die nicht der eigenen entsprechen. Das unter der Oberfläche
Brodelnde der ersten Staffel ist noch da, aber ohne den okkulten
Überbau. Da ist noch ein Schrecken, der nicht weichen will, eine
Erinnerung, die nicht vergessen werden kann, da ist aber auch eine
Liebe zwischen zwei Menschen, dem schwierigen, manischen Cop und der
klugen Schriftstellerin, die nicht zerbrechen muss, um tragisch zu
sein. Und da ist eine mindestens ebenso rührende Liebe zwischen zwei
Männern, die der Stolz viel zu lange voneinander getrennt hielt. Vor
allem sind da Gesichter, in denen man lesen möchte – und denen man
bereit ist, zu verzeihen.