Zwei Jahre nach seinem überbewerteten Kannibalen-Reißer und dem damit einhergehenden Oscar-Gewinn – der den Höhepunkt seiner bisherigen Schaffensphase markieren sollte - wand sich Jonathan Demme '93 einer gänzlich anderen Thematik zu. Im Titel-gebenden Philadelphia erzählt er die Geschichte des an Aids erkrankten Homosexuellen Andrew Beckett (Tom Hanks), welcher nach seiner Entlassung aus einer Anwaltskanzlei gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber zu klagen beginnt...
„Philadelphia“ ist zweifelsohne großes Darsteller-Kino und lebt von den imponieren Darbietungen seiner Schauspieler. Die drei zentralen Figuren stellen dabei ohne Frage Banderas, Washington und Hanks dar. Banderas als treuer Lebensgefährte von Hanks, der die Wortkargheit seine Figur immer wieder durch besorgte Blicke und intime Gesten zu kompensieren versteht, jedoch ohne sich unnötig in den Vordergrund zu spielen. Er bleibt eine Nebenfigur, die im Hintergrund agiert, uns aber jederzeit zu vermitteln versteht, dass sie inhaltlich über eine außerordentliche Relevanz verfügt. Er suggeriert uns das ungreifbare Gefühle der Liebe durch Gesten, durch Artikulation, durch Taten. Es gebührt Banderas hinsichtlich der Tatsache, dass seine Figur nicht sonderlich gut ausformuliert wurde, schon einiges an Respekt, denn selten hat man ihn glaubwürdiger, intimer und einfach besser erleben dürfen, als in seiner Rolle des homosexuellen Freundes.
Konträr zu diesem – zumindest inhaltlich – steht Washington in seiner Rolle des Anwaltes. Aufgewachsen inmitten einer vermeintlich natürlichen Homophobie, trägt dieser seine Aversionen gegenüber Schwulen offen zu Tage. Ironischerweise gerade als Afro-Amerikaner, der sich zumindest vom elterlichen Hause und durch die Historie der Farbigen in Amerika geprägt, eine gesunde Toleranz oder zumindest eine gewisse Empathie angeeignet haben müsste, stellt er sich als großer Schwulen-Hasser heraus. Seine Wandlung zum enthusiastischen Menschenrechtsvertreter mag vorhersehbar anmuten (und höchstwahrscheinlich ist sie das für die meisten auch), so ist sie jedoch vor allem eines: logisch. Regelmäßig in seinen Vorurteilen bestätigt (das Gespräch mit dem Homosexuellen im Supermarkt belegt das sehr schön), lernt er Beckett (Hanks) als einen Menschen kennen, der über all jene vermeintlich verachtenswerte Attribute nicht verfügt, als ein Mensch der ihm nicht – wie es Washington im Gespräch mit seiner Frau ausführt „in die Hose greifen will“. Seine Entwicklung ist ohne Zweifel mustergültig und in all seiner Konsequenz unrealistisch, doch so suggeriert doch gerade dieser Umstand den Appell zu mehr Toleranz am deutlichsten, gerade deshalb weil er in all seinem grenzenlosen Optimismus nicht der Realität entspricht.
Hanks kommt nach Eintreten der ersten gesundheitlichen Einschränkungen in der Folge nur noch eine gesonderte Rolle zu, die zwar inhaltlich fortwährend den zentralen Bezugspunkt bildet, jedoch ohne die Figur Washingtons vollkommen an Bedeutung verlieren würde. Ohne sich in Theatralik zu verlieren stellt er die verschiedenen Etappen seiner Krankheit zur Schau, lässt in seinem Blick mehr als den bloßen physischen Schmerz erahnen. Vielmehr ist es die Dankbarkeit, die seinen Blick bestimmt, wenn er umgeben von medizinischen Gerätschaften, in die Augen seines Anwaltes oder seines Freundes schaut. Hanks spielt mehr als bloß einen kranken Mann. Mit dem immer ungesünder anmutenden Make-Up geht eine schauspielerische Entwicklung einher, die wiederum die Entwicklung des Charakters wiedergibt, ohne dabei unglaubwürdig zu erscheinen.
Dass aus „Philadelphia“ mehr geworden ist als großes Darsteller-Kino ist dem herausragenden Drehbuch zuzuschreiben. Nyswaner behandelt die überaus heikle Thematik (man muss den Film auch im Kontext seiner Zeit betrachten) mit der nötigen Konsequenz, ohne dabei plump oder anbiedernd anzumuten. So ist sein Drehbuch vor allem gestützt auf moralischen Werten, die keineswegs diskussionswürdig sind, er erweitert und hinterfragt diese jedoch im richtigen Maße. Der Stellenwert der Familie und die Wichtigkeit eines solchen Rückhaltes werden uns als notwendige Basis präsentiert. Dass diesem Rückhalt jedoch Toleranz zugrunde liegen muss, wird als wichtiger Aspekt leider außen vor gelassen. Es wird zwar viel über Ethik, Moral und (christliche) Werte geredet, jedoch wird auf einen eingehenden Diskurs über solche Themen verzichtet. Vielmehr konzentriert sich Demme auf den Gerichtsprozess als solchen und die juristischen Gegebenheiten, die damit zusammenhängen. In diesem Konstrukt aus Paragraphen und Vorschriften findet schließlich auch die perverse Notwendigkeit der Endwürdigung statt und ist einmal mehr ein Sinnbild für die Entmenschlichung durch (juristische) Institutionen. Demme macht uns klar wie schwer es ist, in einem Chaos aus medialem Wirbel und gesellschaftlichem Gegenwind für das zu kämpfen, was einem wichtig ist.
Was bleibt ist der absolut lohnenswerte Appell zu mehr Toleranz und die nicht weiter ausformulierte Kritik an gesellschaftlichen Strukturen, die jedoch etwas weniger reißerisch inszeniert auch über die selbe Brisanz verfügt hätte. Die schauspielerischen Darstellungen sind ohne Frage brillant, ebenso der großartige Soundtrack, sodass „Philadelphia“ nicht nur das bis dato beste Werke von Demme darstellt, sondern auch einen der besten Filme zur immer brisanten Aids-Thematik.
7/10