Allerlei herzliche Umarmungen. Hier wird sich geknuddelt als gäbe es kein Morgen mehr. Alte Freunde, neue Freunde, das vergangene Ich – jeder bekommt Liebe. Das ist ebenso schön, wie die Idee hinter dem Film, eine produktive Begegnung mit dem früheren Ich zu initiieren, um so die inneren Monologe filmisch sichtbar zu machen. Leider klingen diese Monologe abgedroschen und verstehen sich kaum auf die philosophischen Qualitäten der Prämisse. Will Smith spielt seine Rolle derweilen genauso, wie er ernste Rollen seit zwanzig Jahren spielt. Eine wirkliche Verletzlichkeit möchte ich ihm jedenfalls nicht glauben, ebenso wenig seiner Fresh-Prince-Variante aus dem PC (sogar eine Anspielung auf eben diese Rolle wird sich nicht verkniffen). Die Action dieses Actionfilms ist leider ebenfalls unterentwickelt, vieles passiert digital, nicht selten hässlich digital. Statt den Hyper-Realismus der Bildrate auch auf der konzeptionellen Ebene fortzuführen, in der Art von Soderberghs „Haywire“ und dessen großartig choreographierten Kämpfen womöglich, scheint sich „Gemini Man“ in der Konkurrenz gegenwärtiger Blockbuster zu wähnen. Auch die Argumentation des vermeintlichen Bösewichts (Clive Owen) ist viel besser als es der Film sich offenbar selbst eingestehen möchte. Stattdessen muss sich im absurden Happy Ending wieder ausgiebig geknuddelt werden und kein Doppelgänger-Gag wird liegen gelassen. Das ist – so cheesy und altbacken es anmutet – dann fast schon wieder schön.
Dienstag, 11. Februar 2020
Umarmungen - "Gemini Man" [US '19 | Ang Lee]
Allerlei herzliche Umarmungen. Hier wird sich geknuddelt als gäbe es kein Morgen mehr. Alte Freunde, neue Freunde, das vergangene Ich – jeder bekommt Liebe. Das ist ebenso schön, wie die Idee hinter dem Film, eine produktive Begegnung mit dem früheren Ich zu initiieren, um so die inneren Monologe filmisch sichtbar zu machen. Leider klingen diese Monologe abgedroschen und verstehen sich kaum auf die philosophischen Qualitäten der Prämisse. Will Smith spielt seine Rolle derweilen genauso, wie er ernste Rollen seit zwanzig Jahren spielt. Eine wirkliche Verletzlichkeit möchte ich ihm jedenfalls nicht glauben, ebenso wenig seiner Fresh-Prince-Variante aus dem PC (sogar eine Anspielung auf eben diese Rolle wird sich nicht verkniffen). Die Action dieses Actionfilms ist leider ebenfalls unterentwickelt, vieles passiert digital, nicht selten hässlich digital. Statt den Hyper-Realismus der Bildrate auch auf der konzeptionellen Ebene fortzuführen, in der Art von Soderberghs „Haywire“ und dessen großartig choreographierten Kämpfen womöglich, scheint sich „Gemini Man“ in der Konkurrenz gegenwärtiger Blockbuster zu wähnen. Auch die Argumentation des vermeintlichen Bösewichts (Clive Owen) ist viel besser als es der Film sich offenbar selbst eingestehen möchte. Stattdessen muss sich im absurden Happy Ending wieder ausgiebig geknuddelt werden und kein Doppelgänger-Gag wird liegen gelassen. Das ist – so cheesy und altbacken es anmutet – dann fast schon wieder schön.
Samstag, 1. Februar 2020
Erinnerungen an die Flimmerkiste, oder: Warum wir uns das Intro anschauen sollten
Am Anfang einer Serie oder eines Filmes
stehen die Namen ihrer Erschaffer. Hier zollt das Kunstwerk, das
Produkt, der Content (jeder nehme sich, was er verdient hat) jenen
Tribut, denen es seine Existenz verdankt. Serien-Intros
beinhalten in aller Regel den Theme-Song, die Erkennungsmelodie
einer Sendung, dem Jingle in einer Werbesendung gleich. Das
musikalische Thema einer Serie ist wie ein Anker in der Erinnerung
des Zuschauers. So wie die Musik die Träumer aus „Inception“
wieder in die Realität zurückholt, werden sie in der Erinnerung an
die Serie wieder in den Traum zurückversetzt. - Oder so ähnlich. Folgt mir in die Erinnerungen an meine TV-Vergangenheit oder nutzt den "Nostalgie-Blödsinn-Überspringen-Button", um direkt zum letzten, garantiert Nostalgie-freien Kapitel vorzuspringen.
Nostalgie-Fetischismus
Manchmal, nach einiger Zeit etwa,
werden die Theme-Songs der eigenen medialen Sozialisation Bestandteil
eines gemeinschaftlichen Happenings, eines seltsamen nostalgischen
Rituals. Zum Beispiel am Silvesterabend, wenn die Raketen gestartet
sind und die Böller explodiert. Wenn man kraftlos in den Seilen
hängt, aber noch genügend Kraft findet, um die Songs einer
gemeinsamen Fernseh-Vergangenheit mit Inbrunst zu intonieren. Dann
ergeht man sich in einer nostalgischen Vorstellung davon, wie es
einmal war, als man noch bei den Eltern wohnte und Mittags nach Hause
kam, um ein bisschen Hausaufgaben zu machen und ein bisschen (viel)
Fernsehen zu glotzen. Bis Muttern nach Hause kam und gefragt hat, wie
lange man schon dort sitzt, auf dem Sofa, auf der Flimmerkiste wird
gerade eine Leiche gefunden und ein junger Detektiv fahndet nach
ihrem Urheber, und man schwindelt ein wenig und Muttern weiß das,
aber sagt nichts. Und manchmal gibt’s Fernsehverbot, aber das nützt
nichts, denn dann fährt man zu Oma und schaut dort Fernsehen und
kriegt Gutfried-Wurst und Süßigkeiten und Tee mit so viel Zucker,
dass der Löffel aufrecht stehen bleibt. So zumindest die Erinnerung.
Jedenfalls singt man diese Lieder am
Silvesterabend mit seinen Freunden und faselt irgendwas von Monster
fangen und catch 'em all und Digitationen und so weiter und so
fort. Und man geht auf YouTube und geht auf die Suche nach den Intros
der Serien dieser gemeinsamen TV-Vergangenheit. Man geht auf die
Suche nach Erinnerungen. Und natürlich liegt an diesem Abend auch
Schwermut in der Luft, denn diese Zeit ist vorbei und sie wird nie
wiederkommen und das Intro, das man gerade schaut, ist auf irgendeine
bittersüße Weise mit all diesen Dingen verbunden. Und da sind
Superkämpfer mit blondierten Haaren, die sich kilometerweit in Berge
kloppen; das glimmende Rot am Anfang, dann der Drachenball und das
Versprechen all die geheimsten Wünsche Wirklichkeit werden zu
lassen. Und dann dieses Lied, dieses sinnlose Chala - Head – Chala,
das man sich auf dem Pausenhof vorgesummt hat, weil es nichts
cooleres gab und niemals etwas cooleres geben könnte als diese
Serie, dieses Intro, dieses Lied.
Andere Serien waren da zeitloser und
nicht derart auf die eigene nostalgische Sentimentalität angewiesen.
Shows wie „Hey, Arnold“ schnippten lässig zum Saxophon des
Intros, schlenderten durch ein schockierend grausiges New York City
und lassen eine TV-Erinnerung heute mit anderen Augen sehen, ohne in
Fremdscham auszubrechen. Ganz ähnlich verhält es sich mit „Doug“,
die Serie um einen schüchternen Jungen, sein Tagebuch und das
Erwachsenwerden. Dessen Intro beginnt mit einem weißen Blatt Papier,
einem Stift, der Gott-gleich aus dem Nichts eine erste Linie
erschafft und plötzlich steht Doug auf dem Plan. Anschließend sieht
man dessen Freunde, mit so seltsamen Namen wie Skeeter Valentine
(wobei es sich bei Skeeter lediglich um einen Spitznamen handelt,
sein wirklicher Name lautet Mosquito), Patti Mayonnaise oder Roger
Klotz (das ist der Jock, der Bully, in Lederjacke und mit hochgegelten
Haaren).
Das lässige Lied dieses Intros schien zu sagen „nimm's
mal etwas lockerer Doug, alles wird gut“ und Doug schaute sich
nervös um und schrieb in sein Tagebuch. Er schrieb von seiner heimlichen Liebe zu Patti und was er in den Begrenzungen einer
20-Minuten-Episode alles gelernt hatte. Und vielleicht, aber wirklich
nur vielleicht, war man selber so abhängig von dieser Serie und
seinen Geschichten, dass man in der fünften Klasse in einem Aufsatz
zum kreativen Schreiben einfach eine Folge davon nacherzählte, mit
allen Dialogen und ganz bestimmt nicht in der Form eines
Theaterstücks, sondern so wie Kinder eben nacherzählen. Und
vielleicht gab es auf diesen Aufsatz, der eigentlich ein Plagiat war,
eine Fünf.
Vergangenheit und Zukunft - die
Renaissance des Fernsehens
Die sogenannten Qualitätsserien des
nun verlautbarten Golden Age of Television, das Quality-TV, dessen
Keimzelle der Kabelsender HBO war (wenngleich sich darüber
sicherlich streiten lässt), hatten Intros, die die Themen der Serie
bereits deutlich filmischer dachten. Vielleicht so filmisch wie die
Macher von „Cowboy Bebop“, die ihre Serie mit einem stilvollen,
altmodischen Intro veredelten. Hier wurde das Intro, wie es schon im
Kino lange zuvor praktiziert wurde, aber dann zusehendes vergessen,
zu einer eigenen Kunstform erhoben - man denke als Referenz nur an
Hitchcocks meisterhaftes Intro zu „Vertigo“ oder "Psycho",
dessen Titelkarte noch vor seiner Protagonistin brutal zerschnitten
wurde. Beide Intros wurden vom Pionier der Filmtitel-Gestaltung, Saul
Bass, arrangiert, der auch das stilbildende Intro zu Otto Premingers
„The Golden Arm“ zu verantworten hatte. Aber auch Hitchcock
selbst experimentierte schon zu Stummfilm-Zeiten mit Titelkarten
(siehe: „The Lodger“), was wenig überrascht angesichts der
Tatsache, dass er selber als Titelkarten-Designer im Filmgeschäft
begonnen hatte, bevor er zum vielleicht prägendsten Regisseur aller
Zeiten aufsteigen sollte.
Thomas Edison, eigentlich Pionier im
Bereich der Elektrifizierung durch Glühbirnen, aber auch Unternehmer
und Filmproduzent mit eigenem Studio (sowie Patentinhaber eine der
ersten Filmkameras überhaupt), setzte schon früh vor seinen
Produktionen Filmkarten ein, um darauf seinen Urheberrechtsanspruch
am Spielfilm geltend zu machen. Schauspieler-Namen wurden auf diesen
frühen Titelkarten jedoch nicht genannt - ganz im Gegenteil: es
wurde sogar ganz bewusst auf eine namentliche Nennung verzichtet, um
die Darsteller unbekannt zu halten und damit steigende
Lohnforderungen dieser zu umgehen, die mit deren steigender
Popularität zu erwarten gewesen wären. Die Geschichte des Intros
ist also, natürlich, eine große Erkenntnis ist das nicht, auch
immer eine Geschichte des Kapitalismus.*
*ab den 50er Jahren wurde dann
standardmäßig jeder Beteiligte am Spielfilm namentlich genannt
Man denke auch für einen Augenblick an
„Seven“, dessen Titel-Sequenz von Kyle Cooper gestaltet wurde,
und David Fincher als einer der wenigen gegenwärtigen Filmemacher,
der dieser vergessenen filmischen Form auch im Mainstream noch einen
Raum gibt. Das Qualitätsfernsehen sorgte womöglich für eine
Renaissance dieser verschollen gegangenen Kunstform, mit Tony Soprano
ließ sich über die Straßen New Jerseys cruisen und dabei die
Aussicht genießen, bei „The Wire“ wurden die Themen der Serie
über Großaufnahmen auf die in der ersten Staffel zentrale
Abhörtechnik in einer Montage verdichtet.
Die HBO-Produktion „True Detective“ machte
beispielsweise den Double-Exposure-Effekt (wieder) populär, also
die gezielte Projektion eines Bildes auf das andere. Dadurch
entstehen fast surrealistisch anmutende Bildkreationen. Mittlerweile
hat sogar die Werbeindustrie, oder vielleicht gerade diese, diesen
Effekt für sich entdeckt und ausgiebig davon Gebrauch gemacht. In
den Werbepausen von Tennis-Matches sieht man den Effekt in Spots für
exotische Urlaubsziele oder Uhrenmarken aus der Schweiz. „True
Detective“, jedenfalls, holte das Okkulte, das Mythenhafte, das
Unterbewusstsein der Südstaaten bis in sein Intro. Da werden Bilder
in die Köpfe der Protagonisten projiziert, und das sind die
Topographien ihrer Alpträume, ihrer Traumata, da werden Bilder auf
Landschaften projiziert, und das ist die Vergangenheit, oder die
Erinnerung daran, mit der diese Orte beladen sind. Der Effekt
erlaubte es der Serie, ihre Themen noch vor dem ersten gesprochenen
Worten ästhetisch, das heißt motivisch, anzudeuten und den
Zuschauer gleichermaßen auf sie vorzubereiten. Die Erzählung
beginnt dadurch schon mit dem Intro und nicht erst danach.
Teen-Kitsch und weitere Peinlichkeiten
Doch das ist schon wieder viel zu gut.
Viel interessanter wird’s in der zweiten Reihe, in den schwerelos
schwebenden Köpfen mittelklassiger Schauspieler oder der besonders
bei Telenovelas und Soap Operas beliebten, dramatischen Drehung zur
Kamera hin. Angesichts der überwältigenden Anzahl an Seifenopern
(allein in Deutschland, aber auch im Soap-Opera-süchtigen Mittel-
und Nordamerika dürfte sich einiges addieren) könnte dies sogar die
am weitesten verbreitete Machart für TV-Intros generell sein. Auf
dem mittlerweile leider eingestellten YouTube-Kanal „Gute Arbeit Originals“ wird ganz gut deutlich, nach welchem Schemata diese
Intros funktionieren.
Besonders eingebrannt hat sich bei mir
allerdings das Intro zu einer ganz anderen Serie: „Smallville“,
die Prequel-Serie zum Mann aus Stahl. „Somebody save me“ klingt
es da und „ja bitte, rette diesen Nachmittag“ klang es zurück.
Die Namen der Schauspieler haben sich bis heute eingebrannt,
wenngleich es keinem der Schauspieler gelang, über die langlebige
Serie hinaus besondere Aufmerksamkeit zu generieren. Die größte
Aufmerksamkeit generierte dabei noch ein Skandal um die Verstrickung
zweier Darstellerinnen der Serie in eine als
multi-level-marketing-company getarnte Sekte, die ihre Mitglieder mit
Brandzeichen markierte (hier sei der Podcast „Escaping NXVIM"
empfohlen). Apropos: Lex-Darsteller Michael Rosenbaum macht
mittlerweile Podcasts.
Aber zurück zum Intro: da sind
Gesichter, die erwartungsvoll zur Kamera blicken, sehnsuchtsvoll,
vielleicht ein bisschen verwirrt. In der aufleuchtenden Schrift lag
das Versprechen, für eine Stunde in Kansas zu sein, in den Cafés,
den Fluren der Highschool – im Herzen Clarks, der unbedingt das
Herz von Lana erobern wollte, und gleichsam unbemerkt von Chloe
belagert wurde. Echter Kitschnudel-Salat vom Feinsten.
Schön pixelig, da fühlt man sich doch direkt in die 90er zurückversetzt |
Eine andere Serie führte uns bis in
die Schlafzimmer der Jugendlichen. Dort wurde Fernsehen geschaut,
kommentiert von einem Filmnerd, der die Worte eines Filmnerds in den
Mund gelegt bekam. Und da ist eine Gruppe Jugendlicher, die einfach
nur am Strand herumtorkeln und verliebt sind und dann wieder nicht
und dann ganz traurig und dann wieder alles ganz von vorn. Und dann
erst dieser unglaublich süße Blick von Katie Holmes im Intro, wenn
sie lächelnd die Augen verdreht und man sitzt nur dort und möchte
ins Kissen beißen vor lauter, Entschuldigung, cuteness. Das
Intro vermittelt einem in konzentrierter Form, was die Serie jenen
bedeutet haben muss, die sie zum Zeitpunkt ihrer Ausstrahlung
regelmäßig verfolgten.
„I don't want to wait for our lives
to be over, I want to know right now, what will it be? I don't want
to wait for our lives to be over, Will it be yes or will it be...
sorry?“
Interessanterweise wurden einige Songs,
die in der TV-Veröffentlichung noch zu hören waren, in der
DVD-Auswertung aufgrund der hohen Kosten für die Lizenzen der
Original-Songs ausgetauscht – darunter auch der Intro-Song von
Paula Cole, welcher durch Jann Ardens „Run Like Mad“ ersetzt
wurde. Die Dringlichkeit jugendlicher Vorstellungswelten bringt
dieses Intro, in seiner originalen Vertonung, auf den Punkt, aber
auch die sentimentale Schwermut, die einen wohl zwangsläufig ereilt,
wenn man dort sitzt, am Pier und und das Wasser schwappt und die
Sonne langsam dahingeht.
Warum nun dieser Text? – Ein Plädoyer
Der eigentliche Grund für diesen Text liegt beim
Streaming-Dienst Netflix und seiner Umgangsform mit den Vor- und
Abspannen seiner Inhalte. Schaut man sich dort eine Serie an,
scheint nach wenigen Sekunden ein Button auf, der es einem erlaubt,
das Intro zu überspringen. Beim Abspann ist diese Handlungsoption
sogar überhaupt nicht mehr vorhanden, hier wird der Abspann
augenblicklich zu einem kleinen Fenster minimiert, die Namen sind
nicht mehr lesbar (je nach Größe des Fernsehgeräts natürlich) und
der Rest des Bildschirms wird mit einer Werbung für einen weiteren
Netflix-Inhalt bespielt.
Diese Praxis scheint man sich von den
privaten Fernsehsendern abgeschaut zu haben, die auch keine Sekunde
Sendezeit darauf verwenden, den Abspann zu zeigen. Ehe man auch nur
realisiert hat, dass man am Ende der Sendung angelangt ist, findet
man sich dort schon wieder in einer Werbepause wieder. Angetrieben
werden diese Funktionen natürlich von der gleichen wirtschaftlichen
Prämisse, die auch die algorithmischen Strukturen von
Video-Plattformen wie YouTube fundamental bestimmen: jede Sekunde,
die der User auf der Plattform verbringt, ist Geld. Jede Sekunde, die
nicht darauf verwendet wird, Inhalte zu konsumieren (statt zu
reflektieren) ist eine Sekunde, die keine wertvollen digitalen Daten
produziert.
Der Intro-überspringen-Button steht
nicht zufällig auf einer Plattform zur Verfügung, auf der mit der
ersten Staffel „House of Cards“ das sogenannte „binge watching“
möglicherweise erfunden, jedenfalls aber populär gemacht wurde.
Denn das binge watching ist genau das: der kontinuierliche, nicht
abreisende Konsum von Fiktion, die völlige Versenkung in einer
Geschichte über einen längeren Zeitraum hinweg. Paradoxerweise ist
dies das genaue Gegenteil von dem, was das Format einst versprach:
ein Wiedersehen mit alten Bekannten, ein ständiger Begleiter, ein
Ritual, das die Woche strukturiert. Eine Serie zu bingen ist also
vielleicht eher mit dem „binge reading“ eines Romans zu
vergleichen. Und als solche rezeptive Erfahrung ist sie sicherlich
auch nichts neuartiges.
Für Netflix ist das Intro lediglich
eine Störung, der Abspann nur der Augenblick, zur nächsten Episode,
zum nächsten „content“ zu schalten. Und natürlich machen diese
Funktionen gerade hier Sinn. Dahinter liegt eine Ideologie des
dauerhaften Konsums. Die überall grassierende Spoiler-Phobie
verhindert die gemeinsame Reflexion sowieso die meiste Zeit, also
schaut jeder seine Serien und Filme in seinem eigenen Tempo. Das
Intro entstammt also einer Zeit, in der die Übermoderne und seine
Beschleunigungseffekte noch nicht derart umfassend unser
Rezeptionsverhalten verändert haben. Mit der zunehmenden
Beschleunigung des eigenen Sehverhaltens wird Zeit scheinbar - im
ökonomischen Sinne natürlich überhaupt nicht scheinbar –
kostbarer.
Aber das ist es nicht. Nicht wirklich.
Denn mehr noch als reine Respektsbekundung gegenüber den Machern
eines Filmes oder einer Serie oder als verzweifelte Form antikapitalistischen Widerstands sollten wir uns den Vor- und Nachspann
aus eigenem Interesse ansehen. Denn das Schwarz, das auf das letzte
Bild folgt, wie auch das Intro, das wir bereits etliche Male gesehen
haben, schult das eigene Sehen. Und es positioniert sich gleichsam
gegen eine Ideologie des dauerhaften, unreflektierten Konsums und
erobert sich kleine Inseln der Selbstbefragung zurück. Im
wiederholten Sehen des Intros schärfen wir unseren Blick für
Details, geben uns Raum, die eigenen Erwartungen zu sortieren. Im
zumeist schlichten Abspann kann das Gesehene dann verarbeitet und
kritisch hinterfragt werden, vielleicht auch einfach nur die
Empfindungen empfunden werden, die der Film oder die Serie in uns
ausgelöst hat. Und vielleicht ereilt uns im Schwarz des Abspanns
sogar ein fruchtbarer Gedanke, scheinbare Kleinigkeiten erlangen
Bedeutung, scheinbare Großartigkeiten werden unter dem kritischen
Blick wieder rissig. So wird aus dem passiven Konsum vielleicht
wieder ein bewusster, reflektierter Umgang mit den Fiktionen unseres
Alltags – und durch unseren Umgang das Fernsehen und das Kino
wieder ein kleines bisschen... geiler.
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