Mittwoch, 27. Mai 2020

Ein Schrei in der Nacht - "Twin Peaks: The Return" [US '17 | Mark Frost & David Lynch]


Die Enttäuschung ist in dieser Rückkehr bereits angelegt. Wie sollte sie auch je glücken, nicht? Mit Graus stellte ich mir vor, was geworden wäre, wenn man „Twin Peaks“ einem dieser unzähligen Nachlassverwalter überlassen hätte, die Hollywood in letzter Zeit vornehmlich hervorbringt. Was wäre im Kopf eines jungen, aufstrebenden Regisseurs vorgegangen, der seinem Vorbild Lynch unbedingt gerecht werden wollte – der Stadt Twin Peaks unbedingt gerecht werden wollte? Ein neuer Mordfall? Alte Liebeleien mit alten Gesichtern wieder aufgekocht? Nein. Nein! Bitte nicht. Das hielte ich nicht aus. Ich denke Frost/Lynch wussten um die Gefahren einer Wiederkehr, vielleicht sogar um ihre Unmöglichkeit. Auf die Anflüge heimeliger Nostalgie folgt stets die brutale Gegenbewegung, auf die Misty Mountains, die Twin Peaks sagenumwoben umschweben, folgen Bilder karger Wüsten und einer lichtverpesteten Casinostadt. Alles ist anders. „Twin Peaks“ ist keine warme Umarmung mehr. Special Agent Dale Cooper ist nur noch eine Erinnerung, die nicht mehr erinnert werden kann, erinnert werden will. Und selbst als er plötzlich, nach einer quälend langen Wartezeit, schließlich auf der Matte steht, ist etwas anders, seine Figur auf seltsame Weise entrückt. Es ist etwas verloren gegangen 1991 und es wird nie wider zurückkehren. So wie sich „Twin Peaks“ globalisiert hat, fragmentiert sich auch Cooper. Als Dougie schlurft er langsamen Schrittes durch die Welt, verspeist weltvergessen ein Stück warmen Kuchen und trinkt eine Tasse Kaffee, erinnert sich nicht, aber richtet sich allmählich in seinem neuen bürgerlichen Dasein ein. Er macht einen zufriedenen Eindruck auf mich und man beginnt allmählich sein Herz an diese Person zu verlieren, die Copper gleicht, aber nicht Cooper sein kann, nie wieder sein wird. Dougie, indes, ist kein Vergleich zu jenem Cooper, der in den letzten drei Episoden den tieftraurigen Schlusspunkt setzt. Kein Vergleich, wirklich. Dieser Cooper ist getrieben von der Erinnerung, getrieben von der Vorstellung, etwas zu beenden, das er vor langer Zeit einmal begonnen hat. Er muss zurück zu Laura Palmer, jenem Fall, der ihn nie losgelassen, ihn alles gekostet hat. Cooper wird zum Zeitreisenden, durch seine Anwesenheit wird „Fire walk with me“ metafiktiv umgedeutet. Er gräbt in den Erinnerungen einer Serie, gräbt in den Erinnerungen ihrer Zuschauerschaft, in ihren Sehnsüchten und Träumen und wird doch nicht fündig. Er kann nicht fündig werden. 18 Folgen dauert diese Suche, an deren Ende ein markerschütternder Schrei die Stille der Nacht durchschneidet. 18 Folgen dauert diese Suche, von der wir wissen, dass an ihrem Ende keine Antworten stehen können. 18 Folgen haben wir Zeit zu lernen, dass es darauf auch nicht ankommt. 18 Folgen Fernsehgeschichte.

Mittwoch, 6. Mai 2020

William Wallace Superstar - "Braveheart" [US '95 | Mel Gibson]


Mel Gibson spielt William Wallace und imaginiert sich einen Heiland. Taktisches Genie, furchtloser Kämpfer, treuer Freund, Superlover, Sprachentalent – sogar im Rock sieht dieser historische Superstar knackig aus. Wallace will Freiheit. Und da Freiheit ein ziemlich bedeutungsarmes Kofferwort ist, lässt sich damit politisch äußerst bequem hantierten. Selbst als sich der schottische Befreiungskampf zu einer Invasion auf England verkehrt, erklärt Wallace, dass sie es für die Freiheit tun. Der Unabhängigkeitskrieg ist nur Kulisse für einen ideologischen Krieg. Der Elite, dem Establishment steht Wallace als politischer Avantgardist entgegen, der sich nicht nur gegen die unterdrückerischen Besatzer wendet, sondern gegen die Korruption der gesamten, globalen Machteliten. Und doch sind seine Ideale nur eine Behauptung. Erst als Wallaces Frau den Engländern zum Opfer fällt, regt sich sein Protest und seine persönliche Vendetta verselbstständigt sich zu einem nationalen Protest gegen die Fremdherrschaft. Robert the Bruce wird in diesem Kontext zum waschechten Vaterlands-Verräter, der erst durch den Märtyrer-Tod von Wallace kathartisch gereinigt wird. Dessen Tod ist ohnehin ein Kernstück des Films: Gibson inszeniert die Erfahrung des Schmerzes durch die Folter der englischen Kirche als Übergangsritus zur Transzendenz. Hier verliert der Körper von Wallace seine angestammte Bedeutung und dessen Ideen transzendieren in die Köpfe der englischen Gesellschaft – in ihnen leben die Ideale, die er zeitlebens gelebt hat, fort. Dafür verdichtet Gibson gekonnt den filmischen Raum und universalisiert zugleich die historische Grundlage. So wird aus William Wallace Jesus, der Leibhaftige. Amen.