Die Enttäuschung ist in dieser
Rückkehr bereits angelegt. Wie sollte sie auch je glücken, nicht?
Mit Graus stellte ich mir vor, was geworden wäre, wenn man „Twin
Peaks“ einem dieser unzähligen Nachlassverwalter überlassen
hätte, die Hollywood in letzter Zeit vornehmlich hervorbringt. Was
wäre im Kopf eines jungen, aufstrebenden Regisseurs vorgegangen, der
seinem Vorbild Lynch unbedingt gerecht werden wollte – der Stadt
Twin Peaks unbedingt gerecht werden wollte? Ein neuer Mordfall? Alte
Liebeleien mit alten Gesichtern wieder aufgekocht? Nein. Nein! Bitte
nicht. Das hielte ich nicht aus. Ich denke Frost/Lynch wussten um die
Gefahren einer Wiederkehr, vielleicht sogar um ihre Unmöglichkeit.
Auf die Anflüge heimeliger Nostalgie folgt stets die brutale
Gegenbewegung, auf die Misty Mountains, die Twin Peaks sagenumwoben
umschweben, folgen Bilder karger Wüsten und einer lichtverpesteten
Casinostadt. Alles ist anders. „Twin Peaks“ ist keine warme
Umarmung mehr. Special Agent Dale Cooper ist nur noch eine
Erinnerung, die nicht mehr erinnert werden kann, erinnert werden
will. Und selbst als er plötzlich, nach einer quälend langen
Wartezeit, schließlich auf der Matte steht, ist etwas anders, seine
Figur auf seltsame Weise entrückt. Es ist etwas verloren gegangen
1991 und es wird nie wider zurückkehren. So wie sich „Twin Peaks“
globalisiert hat, fragmentiert sich auch Cooper. Als Dougie schlurft
er langsamen Schrittes durch die Welt, verspeist weltvergessen ein
Stück warmen Kuchen und trinkt eine Tasse Kaffee, erinnert sich
nicht, aber richtet sich allmählich in seinem neuen bürgerlichen
Dasein ein. Er macht einen zufriedenen Eindruck auf mich und man
beginnt allmählich sein Herz an diese Person zu verlieren, die
Copper gleicht, aber nicht Cooper sein kann, nie wieder sein wird.
Dougie, indes, ist kein Vergleich zu jenem Cooper, der in den letzten
drei Episoden den tieftraurigen Schlusspunkt setzt. Kein Vergleich,
wirklich. Dieser Cooper ist getrieben von der Erinnerung, getrieben
von der Vorstellung, etwas zu beenden, das er vor langer Zeit einmal
begonnen hat. Er muss zurück zu Laura Palmer, jenem Fall, der ihn
nie losgelassen, ihn alles gekostet hat. Cooper wird zum
Zeitreisenden, durch seine Anwesenheit wird „Fire walk with me“
metafiktiv umgedeutet. Er gräbt in den Erinnerungen einer Serie,
gräbt in den Erinnerungen ihrer Zuschauerschaft, in ihren
Sehnsüchten und Träumen und wird doch nicht fündig. Er kann nicht
fündig werden. 18 Folgen dauert diese Suche, an deren Ende ein
markerschütternder Schrei die Stille der Nacht durchschneidet. 18
Folgen dauert diese Suche, von der wir wissen, dass an ihrem Ende
keine Antworten stehen können. 18 Folgen haben wir Zeit zu lernen,
dass es darauf auch nicht ankommt. 18 Folgen Fernsehgeschichte.
Mittwoch, 27. Mai 2020
Mittwoch, 6. Mai 2020
William Wallace Superstar - "Braveheart" [US '95 | Mel Gibson]
Mel Gibson spielt William Wallace und
imaginiert sich einen Heiland. Taktisches Genie, furchtloser Kämpfer,
treuer Freund, Superlover, Sprachentalent – sogar im Rock sieht
dieser historische Superstar knackig aus. Wallace will Freiheit. Und
da Freiheit ein ziemlich bedeutungsarmes Kofferwort ist, lässt sich
damit politisch äußerst bequem hantierten. Selbst als sich der
schottische Befreiungskampf zu einer Invasion auf England verkehrt,
erklärt Wallace, dass sie es für die Freiheit tun. Der
Unabhängigkeitskrieg ist nur Kulisse für einen ideologischen Krieg.
Der Elite, dem Establishment steht Wallace als politischer
Avantgardist entgegen, der sich nicht nur gegen die
unterdrückerischen Besatzer wendet, sondern gegen die Korruption der
gesamten, globalen Machteliten. Und doch sind seine Ideale nur eine
Behauptung. Erst als Wallaces Frau den Engländern zum Opfer fällt,
regt sich sein Protest und seine persönliche Vendetta
verselbstständigt sich zu einem nationalen Protest gegen die
Fremdherrschaft. Robert the Bruce wird in diesem Kontext zum
waschechten Vaterlands-Verräter, der erst durch den Märtyrer-Tod
von Wallace kathartisch gereinigt wird. Dessen Tod ist ohnehin ein
Kernstück des Films: Gibson inszeniert die Erfahrung des Schmerzes
durch die Folter der englischen Kirche als Übergangsritus zur
Transzendenz. Hier verliert der Körper von Wallace seine angestammte
Bedeutung und dessen Ideen transzendieren in die Köpfe der
englischen Gesellschaft – in ihnen leben die Ideale, die er
zeitlebens gelebt hat, fort. Dafür verdichtet Gibson gekonnt den
filmischen Raum und universalisiert zugleich die historische
Grundlage. So wird aus William Wallace Jesus, der Leibhaftige. Amen.
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