Mittwoch, 24. Dezember 2014

"Der Eissturm" [US '97 | Ang Lee]

Hinter herrlichen Herbstfarben bröckelt die Fassade. Natürlich ist hinter der Eierschale nicht alles perfekt. Sexualität will entdeckt werden, oder wiederentdeckt, weil man zwischendurch die Lust am Körper des Bettnachbarn verloren hat. Oder die Lust auf sich selbst und das Leben, das um einen kreist; das man konstruiert hat, arrangiert, perfekt, aber endlich, weil man dachte, dass es so sein muss und womöglich immer so sein würde. Dass du so sein musst. Wahre Experten gibt es hier nicht; höchstens jene, die ihre Sache schon dreißig Jahre lang falsch machen. Und alle sind irritiert, verunsichert, unschlüssig darüber, ob das okay ist oder nicht; was die Grenzen sind, was geboten und was verboten. Der Kopf des betäubten Schwarms zwischen den Beinen, das Begutachten eines fremden Geschlechtsteils mit der Wissensbegierde eines Kittelträgers, weil das Blut noch lange nicht überall zirkuliert oder der ungelenke Quickie im Auto mit der Ehefrau des Mannes, der komatös in seinem Badezimmer weilt. Gleiches mit gleichem vergelten. Funktioniert nicht. Hat es nie. Auch diesmal nicht. Ang Lee dreht einen Film über die Lust in uns und das, was Liebe bedeutet, was geht und was nicht. Der Regen erstattet keine Absolution und eröffnet auch keine Aussicht auf Erlösung. Es ist nur Regen, kondensiertes H2O, das in tausenden Höhenmetern zu Eiskristallen gefroren ist und nun herabrieselt. Der Weg liegt noch vor ihnen (© Punsha), aber ein erster Schritt ist getan: Katharsis.

7/10

Sonntag, 21. Dezember 2014

"The Woodsman" [US '04 | Nicole Kassell]

Ein Film, der vieles anreißt, andeutet, aber wenig vertieft oder durchexerziert vor uns ausbreitet - und das ist okay, weil er ein Thema anstößt, zu dem bis heute weder Antworten noch Lösungen gefunden wurden. Eine Gesellschaft, die sich schwer tut, über die Opfersituation hinaus, auch die des Täters zu akzeptieren und der Möglichkeit, dass manchmal beides beisammen liegt. Pädophilie auch als Krankheit zu begreifen mag schmerzhaft sein, und weniger einfach, aber sie bereitet womöglich den Weg für Hilfe für alle Seiten. Ein filmisches Essay, das dieses Thema fernab strikter Realismus-Normen chiffriert ins Rollen bringt, aber weder wertet, noch zu einem Ende führt. Alle Figuren vereinen sich in Bacon, alles kreist um ihn: der Polizist als wachsamer, rationaler Schutzengel, die Freundin als ein Ausdruck der Vergebung – vor allem sich selber gegenüber -, das kleine Mädchen, in dem sich die eigene Versuchung, doch dem Drang nachzugeben, widerspiegelt und der blonde Unbekannte, „Candy“ genannt, als physische Manifestation der Auseinandersetzung mit den inneren Dämonen. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Effektivität therapeutischer Methoden und ob es der Integration ehemaliger Sexualstraftäter nicht zuträglich wäre, das gesellschaftliche Umfeld einfach im Unglauben zu lassen (wolltest du mit einem Pädophilen zusammenarbeiten?), weil unmittelbare, emotional verblendete Reaktionen einer Verbesserung der Situation solcher Leute (und der Aussicht sie wirklich so etwas wie „Heilung“ widerfahren zu lassen) nur leidlich zuträglich wäre. All diese Dinge spricht „The Woodsman“ an, manchmal, aber wirklich nur manchmal mit dem Holzhammer, mit Spaß an einer eigenen filmischen Sprache und durchweg überzeugend, gar wunderbar unkonventionell gespielt, nicht zuletzt von Bacon als repressiv-getriebener, pädophiler Ex-Häftling Walter. Ernst zu nehmende Beiträge zu diesem schwierigen Thema sind rar gesät, „The Woodsman“ ist einer von ihnen. 

6.5/10

Samstag, 13. Dezember 2014

"The Crow" [US '94 | Alex Projas]

Brandon Lee's Crow nimmt Ledger's Joker-Interpretation bereits um vierzehn Jahre vorweg und dessen Tod (eine weitere Parallele) trägt zur mythischen Überhöhung dieses rohen, gerade aufgrund seiner Unfertigkeit faszinierenden Comic-Wunders zusätzlich bei. In einer Szene, die Krähe platzt in ein Meeting der kriminellen Elite rein und nimmt sogleich Platz, scheint sich Nolan sogar ganz konkret von "The Crow" inspiriert haben zu lassen. Lee's letzte Karriere-Performance speist sich derweil aus einer ausgestellten, wirkungsvollen Pose, die den literarischen Ursprung sichtlich ehrt und den Schmerz eines Maske-tragenden, zutiefst traurigen Einzelgängers, unfähig sich aus dem Schatten der Vergangenheit zu lösen. Die Krähe lebt in einem kriminellen Moloch Fratzen-verzerrter Egomanen und Okkult-gläubiger Freaks und die Bausubstanz ächzt unter dem unaufhörlichen Prasseln des Regens. Die Figuren in dieser Welt sind undurchsichtig und nie ganz durchschaubar. "The Crow" ist wie der Spielfilm, den Nine Inch Nails nie gemacht haben; voller Schmerz und voller kleiner Wunder, der Poe's einzigartiges Gedicht "The Raven" thematisch aufgreift und über das Motiv der Rache als Antriebsfeder ausweitet. Es ist sowieso ein Wahnsinn, dass dieser Film, nicht zuletzt auch einer über Außenseitertum und Trauerbewältigung, schließlich in dieser Form fertiggestellt wurde. Als letzte Erinnerung an einen Toten - welch Ironie. „And my soul from out that shadow that lies floating on the floor / Shall be lifted – nevermore!“

6.5/10

Sonntag, 7. Dezember 2014

"Under the Skin" [UK '13 | Jonathan Glazer]

Aus der Perspektive eines Outsiders verschieben sich plötzlich Wahrnehmung und Rezeption. "Under the Skin" versteht die Menschen in erster Linie als Opfer ihrer Triebe, als ein seltsames, missverständliches Wesen, dessen größte Antriebsfeder zwischen den Beinen hängt, Schwanz-gesteuert, dauergeil. In der Begegnung mit einem Elefantenmenschen eröffnen sich dann die Vorzüge ihres unverstellten Blickes: Kein Vorurteil, keine vorschnelle Bewertung bestimmt ihr Handeln. Sie ist fair und behandelt jeden Menschen gleich. Die Unterschiede kümmern sie nicht. Dem Ideal eines wertvollen gesellschaftlichen Mitglieds, das Gleichberechtigung lebt, statt sie bloß zu verlautbaren, kommt kurioserweise jemand außerhalb dieser Grenzen am nächsten. Erst der Versuch Verständnis und Empathie aufzubringen, die Nuancen unseres Wesens, die Alltagsbeobachtungen und Ausdrücke zu einer Regel abzuleiten, scheitert. Der Jäger wird zum Gejagten. Sie zerbricht an uns.

8.5/10

Samstag, 6. Dezember 2014

"The Amazing Spider-Man" [US '12 | Marc Webb]

Das war nüscht. Einfach nichts. Nichts. Kein Esprit, kein Charme, keine Ecken, keine Kanten. Unsympathischer Proll mit Nerdbrille wird zum Superheld und mutiert mit den gewonnen Kräften zu einem noch größeren Arschloch. Alle anderen Figuren sind - wie gesagt - nichts. Keine Menschen, keine Charaktere, nur leere Hüllen, die irgendwelche austauschbaren Dialogzeilen in fürchterlichen Rückblenden brabbeln, ohne Zusammenhang. Sheen ist noch okay, und Stone nervt nicht. Der Raimi-Interpretation kann Webb nichts hinzufügen, wobei von dem hier sowieso nichts zu spüren ist. Auftragsarbeit eben, inzwischen gar industriell ausgeweitet, bis 2020 heißt es Fließband, um als Erfüllungsgehilfe visionsloser Studiobosse Reichtum anzuhäufen. Es gibt auch eine Dramaturgie, und Effekte, und eine Liebesgeschichte. Der Gegner ist 'ne hässliche Eidechse, die die Welt verbessern will und die Effekte richtig schön rundgelutscht. An diesen Trümmerteilen kann man sich nicht verletzen, deswegen ist die Gefahr natürlich auch nicht real. Und die Liebesgeschichte wird im Vorbeigehen erzählt, wobei mit der unkomplizierten Gwen Stacy schon alles nach fünf Minuten geklärt ist. Es bleibt nichts. Kein Gefühl, keine Regung, nur gestohlene Lebenszeit. Und Leere, wie sie einen bei Unterhaltungskino heutzutage eben immer öfter ergreift. 

3/10