Samstag, 29. September 2012

"Dogtooth" [GR '09 | Giorgis Lanthimos]

Es ist ein interessanter Gedanke vom autoritären System zwischen Gartenzaun und Eigenheim, den Regisseur Giorgis Lanthimos zumindest formal zufriedenstellend umzusetzen weiß: Ein zwei Meter hoher Zaun umgibt die Villa der Familie, das Haus erstrahlt in Suizid-verursachender Tristesse und die weißen Wände scheinen den Bewusstseinszustand der lethargischen Geschwister symbolisch repräsentieren zu wollen. Doch es mangelt an einem einschlägigen Konzept, an einem sprichwörtlichen roten Faden, stattdessen verliert sich das Geschehen zunehmend in der enormen Vielschichtigkeit der Ausgangsidee. Wir werden zwar zum Voyeur dieser perversen Versuchsanordnung gemacht und beobachten junge Menschen bei ihrer psychischen Verstümmelung, resultierend aus der sozialen Isolation durch den erschreckend gewöhnlich erscheinenden Vater, doch „Dogtooth“ opfert seine vielversprechende Ausgangslage zunehmend sexuellem Nonsense.

„Dogtooth“ erinnert in seinem depressiv-melancholischen Grundtenor und seiner kühl-distanzierten Inszenierung bisweilen an von Trier's „Melancholia“ und Haneke's berühmte Medien- und Gewaltkritik „Funny Games“. Neben den surrealistischen und oftmals völlig absurd anmutenden Dialogen zwischen den Familienmitgliedern, streut Lanthimos nicht selten auch schwarz-humorige Elemente in das Geschehen ein (die gesamte Familie, bellend vor dem Vater aufgereiht). Auf inhaltliche Klarheit oder gar Antworten zu der uns gebotenen Ausgangssituation, verzichtet der griechische Regisseur dabei völlig. Wir bleiben bis zum Ende ein Fremdkörper in einem Familiengefüge voller verquerer Ideale, absurder Reglements und bizarrer Wettkämpfe. Moralische Fragen stellen sich selten, weil die sich uns gebotene Welt als gegeben akzeptiert wird; als intakter Mikrokosmos, der beinahe einen perversen Sinn zu machen scheint. Seine finale Eskalation kündigt „Dogtooth“ dabei schon früh unterschwellig an, transportiert seine Intention aber mit der notwendigen Konsequenz. Und doch bleibt der dritte Spielfilm von Giorgos Lanthimos nicht selten ein filmisches Placebo, das sich leider allzu oft von jener vielschichtigen Faszination distanziert, die die unzähligen Ansätze boten und versäumt es damit, hier womöglich ein Meisterwerk des europäischen Arthaus-Kino zu schaffen.

7/10

2 Kommentare:

  1. "Moralische Fragen stellen sich selten, weil die sich uns gebotene Welt als gegeben akzeptiert wird [...]"

    Hmm. Ich habe mir Fragen nach der Moral ständig gestellt, weil ich diesen kleinen Kosmos ständig mit meinen Wertvorstellungen vergleichen musste; zusätzlich fühlte ich mich in der Position eines Nicht-Dazugehörigen, eines Menschen der, wenn der Film die Realität abbilde, außerhalb des Grundstücks stehen würde.

    Aber ansonsten gehe ich d'accord mit deiner Besprechung. ;-)

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    1. Klar, zu Beginn tat ich das selbe, doch nachdem ich erst einmal angenommen hatte, in welchem Kosmos ich mich da bewege, fiel es erstaunlich leicht, sich einfach fallen und das Geschehen auf sich wirken zu lassen. Interessant, wie unterschiedlich man Filme doch wahrnimmt und schaut. :)

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