Dienstag, 26. März 2019

Die Abgehängten - "Dragged Across Concrete" [US '18 | S. Craig Zahler]


Der Preis für den schönsten Filmtitel des Jahres steht schon mal fest. Zugleich ist es der irreführendste: Zahlers dritter Langfilm ist nämlich kein Exploitation-Film geworden. Im Gegensatz zu „Brawl in Cell Block 99“, der seine Gewalteskapaden immer weiter komisch überhöhte, erzählt Zahler hier eher ein Gewaltdrama, das viel Zeit für seine Figuren und ihre Lebensumstände findet. Gewalt ist stattdessen, bis auf eine kurze Eskalation in einer Bank, sehr realistisch gehalten. Statt zertretender Köpfe gibt es Lungenschüsse und harte Kerle, die langsam an ihrem eigenen Blut ersticken. Und da sind zwei suspendierte Cops, gespielt von Vince Vaughn und Mel Gibson, die sitzen in ihrer Karre und sinnieren über das Abgehängt- und nicht Gewürdigt-Sein, private Krisen und Geldnöte in Zeiten von Mikroaggression und Gender-Pronomen. Zahler geht über gegenwärtige Befindlichkeiten gnadenlos hinweg und entlarvt über die abgebildeten Ambivalenzen und Widersprüche zugleich die Einfachheit identitätspolitischen Denkens. Zahler erarbeitet sich filmische Erzählungen auch nicht über funktionale Figurenschablonen. Das Zwiegespräch im Auto, die Essenz des Buddy-Cop-Films, dessen Degeneration mit Bays Bösen Jungs schon um die Jahrtausendwende zureichend vorangetrieben wurde, verleiht Zahler neue Relevanz und macht den Innenraum des Fahrzeugs zum Verhandlungsraum für Politik und Identität. Aber Achtung: der Film burnt slow und fackelt nichts richtig ab. Die Konfrontationen bleiben sehr zurückgenommen und zielgerichtet. Keine übermenschlichen Fähigkeiten oder heldenhafte Manöver sichern das Überleben, sondern Geduld, Taktik und Glück. Das Gesprochene ist substanziell, die Menschen stehen im Mittelpunkt. Wer daran interessiert ist, wird beglückt.

Donnerstag, 14. März 2019

Zurück zu Mutti - "The Sisters Brothers" [US '18 | Jacques Audiard]


Zwei Gejagte kehren heim und Mutti wartet mit der Schrotflinte im Anschlag. Sie gibt ein paar Warnschüsse ab. Es wir kurz diskutiert. Sie sollen den Rattenschwanz an Ärger, der an ihren Fersen klebt, nicht zu ihr bringen. Dann stiehlt sich doch noch ein Lächeln auf ihre Lippen und zwei Söhne, die eigentlich tot sein sollten, stehen erschöpft an ihrer Türschwelle, ein Arm verloren, ein paar seelische Narben hinzugewonnen. Und Mutti macht lecker Essen, gießt heißes Badewasser nach und macht die Betten, ganz kuschelig, ganz warm. Desplat beklimpert das alles sentimental, dann hört der Film, der eigentlich ein Western ist, aber in diesen Augenblicken keine Genre-Erwartungen zu erfüllen sucht, auf. 

In einer Welt des Fressens und Gefressen Werdens kommt Audiard plötzlich mit Menschlichkeit um die Ecke. Gerade dort, wo die Frontier an ihre Grenzen stößt und Bastarde mit schlechten Zähnen für Kohle töten und im Dreck nach Reichtum buddeln. Audiard lässt seine Figuren tatsächlich miteinander sprechen so wie Menschen bisweilen miteinander sprechen; und da sitzen keine versteinerten Mienen, keine Idealbilder, keine Ikonen mehr, sondern Männer mit Komplexen. Und er heftet sich an die dünne Firnis, die gerne Zivilisiertheit genannt wird, ohne das gnadenlose, in brutaler Nüchternheit verrichtete Tagesgeschäft zu ignorieren. Die Sisters Brothers sind keine Revolverhelden, sondern Überlebenskünstler: niedergeschossenen Kontrahenten wird zur Sicherheit noch einmal in den Kopf geschossen, und zwar ohne einen dummen Spruch, ohne übertriebene Rachegelüste. 

Wo auch immer der Western bisher schwebte, Audiard bringt ihn herunter, auf Augenhöhe; nicht im Stile der Coens, einer ironischen Roadshow gleich, und auch nicht in der Art eines artifiziellen Dialoggewitters wie es Tarantino schon seine ganze Karriere heraufbeschwört. „The Sisters Brothers“ bringt Poesie in den Western, ohne einem das Gefühl zu geben, Unangenehmes auszublenden. Und er ist detailverliebt ohne Wes Andersons Hang zu ästhetischen Neurosen. Da wird sich über eine Klospülung gefreut und unbeholfen die erste Zahnbürste angesetzt. Die Zeichen einer Moderne die schon bald im Galopp davoneilen wird, werden nicht fatalistisch gedeutet, sondern mit Neugierde inspiziert. 

Audiard ist primär an solchen Zeichen interessiert und versteht seine Figuren nicht als Motoren für Plot und anderes überbewertetes Storytelling-Gelump der Content-Generation, sondern einfach nur als Menschen. Und er lässt sie einfach sein, ein bisschen herumballern, ein bisschen nach dem großen Geld jagen, um dann pünktlich auf Muttis Türschwelle zu stehen. Eine kurze Pause vom ewigen Gereite und Geschieße, ein erleichtertes Ausatmen, eine heiße Badewanne. Eine Pause vom dem, was erwartet wird, aber nur kaputt macht. Eine Pause vom Western.

Dienstag, 12. März 2019

Starke Frauen braucht das Land - "G.I. Jane" [US '97 | Ridley Scott]


Um sich in der Männerwelt des US-Militärs durchzusetzen wird Jane einfach selber zum Mann. Ridley Scott vermählt dazu die Gleichheits-Mythen eines grandios instrumentalisierten, populistischen Feminismus mit dem spartanischen Krieger-Ideal unter amerikanischer Flagge. Feminismus bedeutet hier nicht gleiche Rechte oder gleiche Chancen, sondern absolute Gleichheit, die gerade über die menschenverachtenden Trainingsmethoden der Navy Seals - die Elite der Elite - erreicht wird. Im Kampf für das Vaterland und den Selektionsprozess des Trainings werden die Unterschiede der Geschlechter überwunden, weil die missverstandene survival-of-the-fittest-Ideologie absolute Chancengleichheit verspricht. Dass sich die Gleichheits-Behauptungen des Filmes nicht auf formaler Ebene fortsetzen, Demi Moore und ihren Körper findet Scott nämlich schon ganz geil und inszeniert ihn auch so, überrascht da wenig und übersteigt höchstwahrscheinlich auch Scotts intellektuelles Fassungsvermögen. Abseits solcher Hollywood-typischen Widersprüche wird's sogar richtig fragwürdig, wenn der Film die Folter-Methoden der Ausbilder, körperliche und sexuelle Misshandlungen härten ja vor allem ab, im ersten Kampf-Einsatz zu relativieren beginnt. Hier läuft die grausame Ausbildungserfahrung auf einen höheren Zweck hinaus und wird schlussendlich sinnhaft. Folgerichtig gilt die finale Einstellung einem wehmütigen Blick zum Ausbilder, die Augen ganz glasig, die Uniform gebügelt und die Pop-Musik im Hintergrund. - Moderne Propaganda.