Was wäre „Miss Americana“ für ein
erwartbarer Biografie-Langweiler geworden, wenn Regisseurin Lana
Wilson sich damit begnügte, lediglich die Geschichte einer
erfolgreichen, schönen Person dramaturgisch nachzuerzählen. Sicher,
einer eben solchen Nacherzählung widmet „Miss Americana“ einiges
an Laufzeit, der Film tut dies aber auch, um mit genau diesem
erzählerischen Modus des unaufhörlichen Aufstiegs schlussendlich zu
brechen. Mehr noch: der Film stellt sogar heraus, zu welchem Preis
der gezeigte Erfolg erreicht wurde und stellt ihn damit gleichsam ein
Stück weit in Frage. Und es wird schnell klar, in was für ein
diffiziles, reziprokes Abhängigkeitsverhältnis Fans und Stars und
im besonderen Maße Stars und mediale Öffentlichkeiten geraten.
Dabei lässt sich vor allem viel über das Verhältnis der
Musikbranche zur US-Politik und das Selbstverständnis amerikanischer
Stars lernen, insbesondere dann, wenn sie weiblich sind. Und es lässt
sich viel darüber lernen, wie wir gesellschaftlich über andere
Menschen denken und sprechen, die in der Öffentlichkeit stehen. Was
verkörpert sich in den Stars neben persönlichen Sehnsüchten,
Fetischen und Träumen? Und welche Wirkungsmacht haben die Stars über
uns mit ihren Social Media Accounts, die ganze Nachrichten-Netzwerke
in ihrer Reichweite überbieten? Welche Macht haben wir wiederum über
unsere Stars? Taylor Swift erweist sich in diesem aufgespannten
Bezugssystem als reflektierte Protagonistin, die sich immer wieder
Fragen stellt, wo sie sich doch im Grunde auf ihren Erfolg als
Musikerin zurückziehen könnte oder sich in nichtigen Branchen-Beefs
verausgaben (Aussagen wie ein pathetisch-lappidares „run from
fascism“ seien im Moment der kreativen Euphorie verziehen). Taylor
Swift muss man vor „Miss Americana“ weder gehört, noch gesehen
haben, um zu verstehen, was Regisseurin Lana Wilson hier alles
entdeckt; unter dem Make-up, den Glitzer-Kostümen, dem ganzen Bombast
eines Menschen – und eines Landes.
Montag, 23. März 2020
Samstag, 21. März 2020
Nonkonformismus - "Psychobitch" [NOR '19 | Martin Lund]
Vom blöden Titel sollte man sich nicht
abschrecken lassen. Coming-of-Age auf norwegisch hatte ich zuletzt
mit „Thelma“ (in einem Genre-Kontext) und davor mit „Der Mann,
der Yngve liebte“ (in der eine queere Erweckung geschildert wird).
„Psychobitch“ ist zwar nicht ganz so stilsicher wie diesen beiden
Filme, verhandelt aber eine ganze Reihe von Themen, die auch weit
über die Adoleszenz hinaus relevant sind. Im Zentrum dieser
Themenparade steht für mich die Frage, inwiefern ein jugendliches
Rebellieren in den modernen liberal-progressiven Gesellschaften
(insbesondere auf Norwegen und den skandinavischen Raum zutreffend)
überhaupt noch möglich ist. „Psychobitch“ konzentriert diese
Fragestellung in ein paar wenigen Szenen sehr treffend. In einer
Szene beschwert sich der jugendliche Protagonist Marius bei seinem
für alles Verständnis findenden Vater, dass er ihn zu viel lobe.
Der Vater reagiert daraufhin mit Verständnis und lobt ihn dann
dafür, ihn darauf hingewiesen zu haben. In einer anderen Szene
zerschneidet Marius seinen Skianzug mit einer Schere und legt damit
gleichsam auch das gesellschaftliche Korsett ab. Die Skepsis der
Hauptfigur gegenüber dem eingeforderten Konformismus seiner Lehrer,
Eltern und Mitschüler und die Umgangsweisen mit einer Außenseiterin
vermittelt der Film dabei auf sehr glaubwürdige Weise und findet im
falsch getakteten Tanzschritt dafür das prägnanteste Bild. Geheimtipp!
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