Der Titel ist kompletter Unsinn - das
sind natürlich nicht die zehn besten Horrorfilme, schon gar nicht
aller Zeiten. Dafür eröffnet solch eine Liste, gerade im für
Horrorfilme prädestinierten Monat Oktober, einmal die Chance für
eine persönliche Bestandsaufnahme: Wo liegen eigene Präferenzen im
Horrorgenre, welche Jahrzehnte haben den größten Eindruck
hinterlassen, sind unter den Einträgen sogar thematische oder
stilistische Verbindungslinien zu finden? Da ich mit gegenwärtigen
Horrorfilmen eher selten etwas anfangen kann und Jump Scares in
erster Regel anstrengend, nicht aber gruselig finde, werden die
meisten Produktionsjahre wohl vor den Nullerjahren liegen. Umso
interessanter sind demnach Nennungen die dann tatsächlich einmal aus
jüngerer Vergangenheit stammen.
Was nun aber einen Horrorfilm
konstituiert und was nicht ist letztendlich eine müßige Diskussion,
denn eine scharfe Trennung zum artverwandten Thriller ist oft
schwierig. Um die Liste trotzdem nachvollziehbar zu machen, nur
soviel: Horrorfilme sind für mich solche Filme, die den Zuschauer in
einen Zustand der Angst versetzen. Ich folge also einem weiten,
wirkästhetischen Verständnis, wie es beispielsweise auch Ursula
Vossen in ihrem Überblickswerk beschreibt („Filmgenres:
Horrorfilm“). Abgrenzend zum Thriller treten in Horrorfilmen auch
häufig Elemente des Phantastischen in den Vordergrund.
Horrorkomödien habe ich aufgrund des ersten Kriteriums
ausgeklammert. Sorry, „Gremlins“!
Ein weiteres, mir sehr wichtiges
Element des Horrorgenres ist die Begegnung und Konfrontation mit dem
Anderen. Diese muss nicht immer in Mord und Totschlag gipfeln,
sondern kann auch eine empathische, gar zärtliche
Auseinandersetzung mit dem Fremden ermöglichen. Meiner Meinung nach
liegt hier eine der großen Chancen des Horrorkinos, das Selbst im
Fremden zu erkennen und die Konfrontation mit kollektiven und
individuellen Angstwelten. Der Horrorfilm ist demzufolge auch nicht
primär destruktiv, sondern kann konstruktiv einen Dialog eröffnen.
Konstruktiv kann er auch deshalb wirken, weil er dorthin geht, wo es
relevant wird: dort, wo die Wunden sichtbar werden.
„Alien“ [US '79 | Ridley Scott]
Organisch-orgiastische Weltraum-Hatz.
Ripley rennt, das Alien jagt. Aber nur so lange bis Ripley den
Flammenwerfer in die Finger bekommt und den Schalter für den
Notausgang findet. Scott versucht bis heute an dieses tiefschwarze
Überlebensdrama anzuknüpfen und verlängert doch nur die Qualen
eines sterbenden Patienten. Den Überlebenskampf seiner Protagonistin
in einer lebensfeindlichen, feuchten Umgebung sollte dieser nie
wieder derart atmosphärisch zu greifen bekommen wie 1979.
„Blair Witch Project“ [US '99 |
Daniel Myrick & Eduardo Sánchez]
Als Mockumentary noch keine Warnung
war, sondern methodisches und erzählerisches Neuland. Die Blair Hexe
sollte hier nie zu sehen sein, stattdessen wird sie hörbar gemacht –
in den Gruselgeschichten, die die Bewohner des Städtchens
Burkittsville sich seit Generationen hinter vorgehaltener Hand
erzählen, in den Ausführungen von Protagonistin Heather, die dem
Hexenmythos über eine empirische Feldforschung auf die Schliche
kommen möchte und natürlich in den leisen Schritten, den fernen
Stimmen und dem nächtlichen Wind, der flüsternd über die Zeltplane
streicht.
„Scream“ [US '96 | Wes Craven]
Anders als im
ultra-selbstreferentiellen Sequel glänzt dieses Meisterwerk auch
durch Momente wahren Horrors. Das zeigt insbesondere die meisterhafte
Eröffnungsszene, die sich zwar selbstbewusst Pop-kulturell verortet,
aber eben nicht dauernd auf sich selber hinweisen muss. Ob das nun
aber Dekonstruktion, Satire oder schwarze Komödie ist, ist am Ende
auch egal - „Scream“ ist
schlicht und ergreifend ein guter (Horror-)Film.
„Don't Look Now“ [IT, UK '73 |
Nicolas Roeg]
Nichts hat sich mir je so eingebrannt
wie das Gesicht der kleinen Gestalt im roten Regenmantel. Und die
unglaublichen, innovativen Kamerabilder Nicolas Roegs, die die
Gespenster in den Kanälen Venedigs überhaupt erst sichtbar machen. Verlust und Trauer statt blanker Existenzangst.
„Frankenstein“ [US '31 | James
Whale]
Eine Szene gibt hier den Ausschlag, ob
man Dr. Frankensteins Leichenflickwerk nun als missverstandenes Wesen
begreift, das Opfer eines unregulierten Wissenschaftsapparates
geworden ist oder als bösartige Bestie. In der Begegnung mit dem
Mädchen am Seeufer sahen damalige Zuschauer lediglich das Resultat
ihres Zusammentreffens (den Tod des Mädchens), nicht aber die
empathische Annäherung zuvor. Diese war zugunsten einer klaren
moralischen Verortung in der ursprünglichen Fassung nicht enthalten.
Heute wird dank solcher Szenen vor allem der zutiefst humanistische
Grundappell dieses wunderschönen, schwarz-weiß gerahmten
Wunderwerks sichtbar.
„The Fly“ [CA, US '86 | David
Cronenberg]
Skepsis gegenüber einer
Grenzen-auslotenden Wissenschaft ist dem Horrorfilm seit jeher fest
eingeschrieben. So auch hier: Seth Brundle, von Jeff Goldblum
irgendwo zwischen nervösem Charmbolzen und prototypischem Mad
Scientist angelegt, will der Welt und sich selbst die
Teleport-Technologie erschließen. Dass ausgerechnet eine kleine
Fliege dessen Selbstversuch durchkreuzt ist eine ebenso einfache, wie
geniale Prämisse. In den Bilderwelten Cronenberg'schen Body Horrors
findet sie ihre Erfüllung.
„Eraserhead“ [US '77 | David Lynch]
Es
ist wahnsinnig eitel sich selber zu zitieren, aber zu Lynchs Debüt
fiel mir nicht mehr ein als ich ohnehin schon gesagt habe: „Die
Bildideen direkt von „Grandmother“ entliehen, diesem
biobasierten, langen Kurzfilm-Projekt kurz davor, das ihm Zugang in
die sich windenden Gedankenwelten eines verängstigten Kindes
gewährte – seine Gedankenwelt. Kondensiert wurde ein
autobiographischer Fiebertraum, nach außen gestülpt, um uns
sichtbar zu werden, aber dialektisch nach innen gerichtet,
geschwängert von der Angst um die Rolle in der Welt und die
Verantwortung, die einen dort erwartet. Der Mark-erschütterndste
Horror-Film von allen also.“
„The Thing“ [US '82 | John
Carpenter]
Kurt Russell verliert gegen einen
Computer im Schach und eine Gruppe Forscher muss sich in der Eiswüste
der Antarktis gegen einen außerirdischen Gestaltenwandler zur Wehr
setzen. Die Ausgangslage lässt deutliche Parallelen zu Scotts
„Alien“ zu und doch gestaltet sich der Überlebenskampf hier
deutlich anders aus. Wo „Alien“ nach und nach einer
feministischen Hauptfigur die Bühne bereitet, kämpft hier bis zum
Ende ein Kollektiv ums nackte Überleben. Morricones Score treibt
diese Tour de Force an, Rob Bottins Fleischhaufen lassen ihn lebendig
werden.
„The
Texas Chain Saw Massacre“ [US '74 | Tobe Hooper]
Niemand tanzt so schön im Licht der
untergehenden Sonne.
„Antichrist“ [DK, DE, FR, SE '09 |
Lars von Trier]
Mann gegen Frau. Gott gegen Teufel.
Religion gegen Wissenschaft. Van Triers auf die Leinwand gebannter
Seelenstriptease, entstanden nach einer langen Phase der Depression,
zeigt außerzeitliche, apokalyptische Bilderwelten, in denen das
Chaos regiert. Selten lagen Geburt und Tod so nahe beieinander. Und
selten gab es solch eine entwaffnend ehrliche, brutale
Bestandsaufnahme des Seelenhaushalts eines geplagten Künstlers auf
der Leinwand zu sehen.
Honorable Mentions
„Rosemary's Baby“ [US '68 | Roman
Polanski]
„Rec“ [ES '07 | Jaume Balagueró &
Paco Plaza]
„A Tale of Two Sisters“ [KR, HK '03
| Jee-woon Kim]
„Psycho“ [US '60 | Alfred
Hitchcock]
„Nosferatu“ [DE '22 | F.W. Murnau]
„Misery“ [US '90 | Rob Reiner]
„So finster die Nacht“ [SE '08 |
Tomas Alfredson]
„Sleepy Hollow" [US '99 | Tim Burton]
Für mich selbst ist Alien nicht wirklich Horror, auch wenn der Film natürlich Elemente aus dem Genre enthält. Ich assoziiere den Film jedenfalls zuerst mit Sci-Fi. Bei The Thing tue ich mich ebenfalls etwas schwer. Don't Look Now mag ich selbst gar nicht. Mein Lieblings-Horrorfilm A Nightmare on Elm Street hat es leider nicht einmal in die Honorable Mentions geschafft *schnief*
AntwortenLöschenGenre-Diskussionen sind - wie gesagt - müßig. Vom ersten Nightmare bin ich überhaupt kein Fan. Über Geführ trashig, bissl sehr billig. Müsste dem aber sowieso noch eine Zweit-Sichtung gönnen.
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