In „Her“ wird Utopie und Dystopie
gleichermaßen sichtbar. Utopisch sind nicht nur die Müll-befreiten
Promenaden und farbenfrohen Großraum-Büros, die Graffiti-freien
High-Tech-Züge (natürlich gefilmt in Japan) oder das gänzlich
Smog-freie Downtown L.A., sondern vor allem die Realitäten der
zukünftigen Arbeitswelt. Denn Arbeit, so scheint es zumindest, ist
hier schon lange keine ökonomische Notwendigkeit mehr, sondern
zuvorderst ein Instrument zur Selbstverwirklichung. Protagonist
Theodore (Hundeblick: Joaquin Phoenix) schreibt beruflich die
persönlichen Briefe fremder Leute, die nicht in Worte zu fassen
glauben, was sie fühlen und denken; später sollen diese sogar
professionell verlegt und physisch erhältlich sein. Freundin Amy
(Amy Adams), ein bemitleidenswerter Charakter, der dreinschaut wie
ein Schluck Wasser in der Kurve, dreht Kunstfilme über das Schlafen
und sucht in der Einfachheit der Kunst berufliche Erfüllung. Als das
nicht ganz zu klappen scheint, produziert sie Videospiele über
Kindererziehung. Das bedingungslose Grundeinkommen hat den Menschen
dieser Utopie endlose Freiheit gewährt, zeigt aber auch diejenigen,
die an den Herausforderungen schier grenzenloser Selbstbestimmung zu
scheitern drohen. Auch Oberlippenbärte und Hüfthosen ohne Gürtel
sind Bestandteil dieser Utopie. Aber ob diese nun utopisch sind oder
nicht, steht wohl offen zur Debatte.
Die Dystopie von „Her“ liegt nicht
in der technologischen Fortentwicklung und der Evolution der
Arbeitswelt – die Dystopie ist vielmehr ideologischer Natur: sie
liegt in der Idee des Glücks. Das Streben nach dem Glück, unter
anderem in der Präambel der Verfassung festgeschrieben, ist in der
nahen Zukunftsvision von Jonze mehr denn je zu einer amerikanischen
Bürgerpflicht geworden. „Her“ ist bestimmt von der Omnipräsenz
der Gefühle. Andauernd befragen sich die Figuren nach ihren
Gefühlszuständen, prüfen nach, was sich in ihnen gerade bewegt und
ob sie glücklich sind oder nicht. Gerade weil die Menschen in dieser
Dystopie unentwegt ihre Seelenwelt erforschen müssen, können sie
nicht glücklich sein. Wenn Ideal- und Ist-Zustand laufend
abgeglichen werden, muss die eigene Vorstellung des Glücks
zwangsläufig scheitern. Im Falle von Theodore scheitert jede neue
Kontaktaufnahme mit anderen Menschen an der idealisierten Erinnerung
an eine vergangene Beziehung, die Jonze über langweilige, weil viel
zu offensichtliche Rückblenden sichtbar macht. Theodore lässt sich
von der Idee eines Glückes beherrschen, das per Definition nie final
festgestellt werden kann, weil Sehnsüchte und Bedürfnisse sich
laufend neu gebären. Die Konsequenz daraus ist deprimierend: die
Menschen in „Her“ werden niemals glücklich sein. - Die Dystopie
von „Her“ liegt in der Diktatur des Glücks.
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