Mittwoch, 11. Januar 2012

"Snow Cake" [CA, GB '06 | Marc Evans]

Vor vielen Jahren verlor der in Ontario lebende Engländer Alex Hughes seinen Sohn. Auf der Durchreise lernt er die lebensfrohe Vivienne kennen, welche er als Anhalterin in seinem Pkw mitfahren lässt. Nachdem sie nach einem Zwischenstopp von einem Lkw gerammt werden und Vivienne noch am Unfallort verstirbt, entschließt sich Alex, die Nachricht vom Tode Vivienne's ihrer autistischen Mutter persönlich zu überbringen...

Unaufdringlich fängt Marc Evans das Geschehen ein, gewährt dem Zuschauer intime Einblicke in die Geschichte. Eine Geschichte, die bei all ihrer Tragik stets menschlich, überzeugend und glaubwürdig bleibt. Glaubwürdig gerade deswegen, weil Weaver es versteht ihre Figur nie zum Opfer plötzlicher Over-Acting-Attacken werden zu lassen. Ihre Figur bleibt bei all ihren Eigenheiten menschlich und verkommt nie zur aufdringlichen Solo-Nummer. 

Und selbst jene, die bisher keine einschlägigen Erfahrungen mit Autismus sammeln konnten, werden zumindest verstehen welche Eigenheiten – positive wie negative – ein solches Schicksal mit sich bringt und welche Auswirkungen auf das Umfeld damit einhergehen. 

"Snow Cake" ist ein leiser Film, der getragen wird von den Performances seiner Darsteller, deren Interaktion in den auf den Punkt geschriebenen Dialogen und dem passenden, weil sparsam verwendeten Soundtrack. Dieser verdient an dieser Stelle besondere Erwähnung, so ist er von den großartigen Stereophonics bis hin zu eher unbekannten Bands wie der kanadischen Tanz- und Musikgruppe Broken Social Scene perfekt ausgewählt und ergänzt das Geschehen nicht nur absolut passend, sondern vermag vielen Szenen noch einiges an Brillianz hinzuzufügen. 

Es ist die Alltäglichkeit, die aus dem Fremden etwas nahbares macht. Es sind die kleinen Gesten, die verständnisvollen Blicke zwischen Weaver und Rickman, die aus "Snow Cake" mehr machen als ein Behinderten-Drama. Es geht um eine einzigartige Frau, es geht um die Probleme, aber auch um die Chancen, die ihre "Krankheit" mit sich bringen. 

Rickman, ein von Selbstzweifeln und Schuldfragen verfolgter Mann ist das stärkende Pol in der Geschichte. Der Kontrast zu der Fremdartigkeit hinter der Tür, fremdartig deswegen, weil wir nicht verstehen. Kein vorschnelles Urteil, er schaut hin, beginnt zu lernen und zu verstehen. Er sieht die Gabe, aber auch die Schattenseiten, er hilft, wo er hätte gehen können und ist uns allen ein Beispiel. Er erkennt die Notwendigkeit von Toleranz, von Hilfe und vor allem von Furchtlosigkeit. 

Selten durfte man derart konzentrierte und Klischee-befreite Darsteller-Leistungen begutachten. Kein falsches Mitleid, nur der Situationsbericht einer Gruppe von Menschen in verschiedenen Lagen, an verschiedenen Punkten. Und wenn uns auf der Beerdigung Vivienne's, die liebevoll ausgearbeitete Parabel erzählt wird, erreicht uns schließlich auch der unaufdringliche Appell. Derweil evoziert Evans eine authentische, aber niemals trostlos anmutende Atmosphäre, gibt dem Spiel den Vorrang vor effekthaschender Selbstverwirklichung und erzählt eine Geschichte, so ehrlich und so rund, wie man sie selten zu sehen bekommt.

7/10

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