Die Menschen sind dank neuster medizinischer Errungenschaften nicht weiter sterblich. Der 118jährige Nemo ist der letzte Mensch, der eines natürlichen Todes sterben wird und erzählt in seinen letzten Stunden einem jungen Reporter seine faszinierende Lebensgeschichte...
Es fällt schwer bei einem Film wie "Mr. Nobody" auch objektive Aspekte in die Bewertung mit einzubeziehen. Zuviel hängt von der Interpretation des soeben Gesehenen ab, davon ob man einen roten Faden erkannt oder besondere Erkenntnisse gewonnen hat. Seit jeher haben es Filme schwer, die nicht über eine stringente Narrative verfügen, den Zuschauer nicht an die Hand nehmen und ihm möglichst viele Fixpunkte bieten, an denen er sich zu orientieren weiß. Auch Dormael verzichtet auf eine konventionelle Einleitung und überlässt den Zuschauer früh sich selbst und dem, was er soeben zu sehen glaubt. Problematisch ist dies in diesem Fall nicht, denn hat man erst einmal die ersten Minuten überstanden, erübrigt sich schnell jedwede Fragerei nach dem Inhalt, zu sehr ist man mit der bildgewaltigen Optik und der damit einhergehenden Reizüberflutung beschäftigt.
Der Entwurf der Zukunft ist geprägt von kalter Unnahbarkeit und klinischer Sterilität. Zumeist sind die Räume weites gehend leer und in hellen Farben gehalten, während der Hintergrund eine ebenso distanzierte wie fortschrittliche Zivilisation präsentiert, deren akzentlose Fassaden den blauen Himmel widerspiegeln. Wissenschaftliche Erörterungen werden in Form kleiner Aufklärungs-Sequenzen durchgeführt und entsprechen auch in ihrer nicht vorhandenen Emphase in etwa der des ganzen Filmes. Denn wo "Mr. Nobody" bei der wissenschaftlich-philosophischen Auf- und Bearbeitung alles richtig macht, scheitert er einmal mehr auf der emotionalen Ebene und schafft es selten tatsächlich zu berühren.
Leto's Figur bleibt trotz der ausführlichen Erzählung der Lebensgeschichte eine Kunstfigur, eine Skizze, die selten bewegt oder Emotionen weckt. Denn wenn Dormael seine philosophischen Exkurse und Gedankenspiele mit Beispielen aus dem Alltag oder wissenschaftlichen Fakten belegt, wie beim Versuch das Gefühl des Verliebt-Seins mit chemischen Reaktionen zu erklären, dann beeindruckt das womöglich aufgrund der gründlichen Recherche, berührt aber nicht und lässt eine tiefer-gehende Bindung zu den Charakteren und somit zum Geschehen nicht zu.
"Mr. Nobody" ist ein Film im Dienste seiner ohne Frage berauschenden Ästhetik und immer passenden Bildsprache, der am Ende jedoch sehr unter jener Distanz zu leiden hat, die das gesamte Geschehen fortwährend begleitet, Emotionen bereits im Keim erstickt und akribischer Obduktion den Vorrang lässt vor Charakteren, die interessieren, berühren und einem über den Abspann hinaus begleiten. Schade ist das gerade im Anbetracht des eigentlich sehr begabten Jared Leto und dem durchaus interessanten Konzept, eine Thematik wie diese in solch wissenschaftlichem Maße zu sezieren und beispielhaft herzuleiten. Was bleibt ist ein optisch überzeugender, solide gespielter philosophischer Exkurs über das Leben einer uninteressanten Hauptfigur, der selten sein durchaus vorhandenes Potenzial auszuschöpfen weiß.
6/10
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