Mittwoch, 11. Januar 2012

"Homevideo" [DE '11 | Kilian Riedhof]

Jakob – ein introvertierter Gymnasiast – befindet sich mitten in der Pubertät. Seine Eltern stehen kurz vor der Scheidung und er hat Probleme in der Schule. Als er sich eines Tages beim Masturbieren filmt und seine Mutter unbedacht die Kamera an seine Freunde verleiht, gelangt das intime Video in die Hände von Henry – einem Klassenkamerad. Dieser versucht ihn zunächst mit dem expliziten Material zu erpressen. Jakob's Vater gelingt es jedoch schnell die Aufnahmen wieder zu beschaffen, doch Herny hat längst eine Kopie angefertigt und das peinliche Heimvideo ins Netz gestellt...

Deutschen Produktionen eilt seit jeher ein äußerst zweifelhafter Ruf voraus. Seltsamerweise konnten daran selbst diverse Projekte privater Fernsehsender oder post-apokalyptische Horrorszenarien im deutschen Setting etwas ändern. Ungeschickt versuchen sich die Deutschen regelmäßig daran, der großen Konkurrenz aus Übersee nachzueifern. Oftmals enden diese Versuche in einem schlecht kopierten B-Movie-Debakel der Marke „Direct-to-Video“ oder erblicken erst gar nicht das Licht der Welt. In diesem Fall können wir nicht einmal Uwe die Schuld an unsere Misere geben, denn dieser darf sich seit seinen frühen Schaffens-Tagen unter dem Deckmantel seiner Unzurechnungsfähigkeit verkriechen. Warum viele Produktionsstudios seit geraumer Zeit dem Irrglauben verfallen sind, dass man ohne viel Krach kein Geld verdienen kann, bleibt zumindest mir schleierhaft. 

Und an dieser Stelle kommt „Homevideo“ ins Spiel. Das Werk eines Regisseurs, der bislang nicht mehr als ein paar Serien-Episoden und kleinere Filmproduktionen in seinem Portfolio vorzuweisen hatte, zeigt der deutschen Fernsehwelt die offenbar längst in Vergessenheit geratenen Stärken deutscher Produktionen auf. Unsere Stärken sind die stillen Momente, die hochbegabten Nachwuchsschauspieler, die zumeist höchst authentischen Dialoge und der Mut sich Themen anzunehmen, die deswegen wichtig sind, weil sie uns Tag für Tag begegnen. 

Riedhof legt schonungslos jene Problematik offen, die jeden etwas angeht, weil jeder irgendwann mit ihr Berührung kommt. Es geht weit über Mobbing in der Schule hinaus, es geht um soziale und gesellschaftliche Strukturen, die hinterfragt, analysiert und diskutiert werden müssen. „Homevideo“ ist in erster Linie ein Appell an uns. Was würden wir machen? Würden wir dazu beitragen, dass Jakob (außergewöhnlich: Jonas Nay) jenen schockierenden Pfad einschlägt, den er letztendlich wählt – ob bewusst oder unbewusst? Sollten wir uns nicht zuerst selber hinterfragen ehe wir mit dem Finger auf die vermeintlichen Schuldigen zeigen? 

Die Schuldfrage ist schwierig, weil sie nicht eindeutig ist. Ist die Lehrerin schuld, die die Demontage eines Schülers zulässt? Sind es die Eltern, die immer mehr mit sich selber beschäftigt sind, als mit ihrem Sohn? Sind es die Mitschüler, die die soziale Isolation zugelassen und als Mitläufer agiert haben? Oder ist es der im Sozialverhalten gestörte Täter? Riedhof's Film ist geprägt von erschreckender Hoffnungslosigkeit, resultierend aus einem Teufelskreis, welcher von Zufällen und fehlender Empathie seitens der Umgebung herrührt.

„Homevideo“ ist filmisch jedoch weit davon entfernt perfekt zu sein. Er überspitzt, konstruiert das schlimmstmögliche Szenario und neigt zu platter Symbolsprache. Er ist zweifelsohne unrealistisch, funktioniert nur aufgrund einiger konstruierter Zufälle und Missverständnisse und lebt am Ende gerade von seiner Vorhersehbarkeit. „Homevideo“ muss nicht perfekt sein um seine Intention mit der nötigen Wucht zu transportieren, er benötigt keine abgefahrenen Effekte um auch audiovisuell zu beeindrucken und er benötigt erst recht keine unnötige Provokation um wahrgenommen zu werden. 

Das Erlebnis dieses Filmes spottet im Grunde jedweder Bewertung, er liegt zentnerschwer im Magen, ist unbequem und wenn das Transportschiff schließlich an uns vorbeigefahren ist, verspüren wir womöglich die selbe Erlösung wie der junge Jakob.

7/10

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen