Dienstag, 1. März 2016

"Phoenix" [DE '14 | Christian Petzold]

Der crisis of representation entgeht Petzold. Der Holocaust ist nicht repräsentativ. Und er versucht es erst gar nicht. Die Seelen der Ermordeten streifen das Geäst, das rauschende Blätterdach, das in jedem seiner Filme auftaucht, weil es immer in der einen oder anderen Form um Gespenster geht, die seine Figuren plagen und die doch eigentlich nur der Vergangenheit entgehen wollen, um endlich zu vergessen. Hier hallt der Deportationszug in der lebhaften Erinnerung Nelly's nach und eine Zahlenfolge am Unterarm bezeugt ihre Nahtoderfahrung - wenn sie auf eine Art nicht im Lager trotzdem gestorben ist. Ihr Mann sieht all die Zeichen nicht, die ihn zur Person hinter Nelly führen könnten, weil er sie nicht sehen möchte. Er spürt die Schuld. Und er lässt sie ein zweites Mal sterben, indem er das Vermächtnis des Holocausts und die Erinnerung der jüdischen Gemeinschaft Mosaik für Mosaik rekonstruiert, so wie er eine idealisierte Version seiner Nelly Schicht für Schicht, Farbe für Farbe neu aufträgt und nach seinen Vorstellungen zusammensetzt. Natürlich steht er damit stellvertretend für all jene, die in den Tagen nach dem zweiten Weltkrieg erblindet sind, und taub geworden für das, was sie in den Krieg getrieben. Trotzdem ist ihnen der Tod nicht vergönnt. So wie er Nelly's Mann nicht vergönnt ist. Weil nichts schmerzhafter ist, als der Moment der Wahrheit, die für einen selber doch eine andere war. Natürlich ist das herausragend gespielt, beängstigend präzise gefilmt und geschrieben und in seiner letzten Einstellung nichts anderes als einer der herausragenden Kinomomente der vergangenen Jahre. Weil Petzold immer selbstbewusster das Kammerspiel und die Details nach vorne stellt. Und er mehr denn je in den Gesichtern nach Geschichten forscht. Und die Musik die letzte Note spielen darf - ohne Worte. 

7/10

1 Kommentar:

  1. Ein Petzold-Werk ist grundsätzlich immer ein Blick wert. Ich mag auch immer seine galante, langsame Erzählweise. Nie aufdringlich, aber dennoch immer irgendwie eindringend ins eigene Gemüt beim Zuschauen.

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