Es ist bezeichnend für das ungeheure
Talent Iñárritu's, dass die größte Schwäche von „21 Grams“
in dem Umstand besteht Bestandteil einer herausragenden Trilogie zu
sein. So fällt es doch schwer nicht den Vergleich zu dem zwar nicht
direkt zusammenhängenden, aber nichtsdestotrotz als eine Einheit
funktionierenden Vorgänger- bzw. Nachfolgewerk zu ziehen. Und in
diesem Vergleich geht dessen zweiten Beitrag zur Schicksals-Trilogie
etwas das Genie seines Vorgängers, vor allem jedoch des Nachfolgers
ab. Thematisierte das Debüt-Werk „Amores Perros“ doch neben den
Einzelschicksalen auch die Situation innerhalb zutiefst gespaltener
Ländergrenzen, welche das Abschlusswerk „Babel“ vor dem
Hintergrund der Globalisierung schließlich wieder aufgreift, stellt
„21 Grams“ den Rückzug zur absoluten Intimität dar; die
Reduzierung auf drei Existenzen, drei Situationen und drei
Schicksale.
„How many lives do we live? How many
times do we die?"
Mehr denn je ist der mexikanische
Ausnahmeregisseur an seinen Figuren interessiert. Und wie immer
scheint es, als filme er lediglich das Leben ab, als begleite er einfach Menschen und schaue, was denn als nächstes passiert. Wahrhaftigkeit ist es was Iñárritu's
Filme so besonders macht. Und das in einer Branche, die doch so sehr
von der Illusion, dem Scheinbaren, den gespielten Gefühlen lebt.
Iñárritu's Genie liegt einmal mehr darin, die Illusion des Kinos zu
perfektionieren - ja, sie sogar für 120 Minuten vergessen zu
machen. Selbst künstlichen Leinwand-Projektionen begegnet der
Mexikaner dabei mit einer zutiefst berührenden Empathie. Nicht
zuletzt auch ein Verdienst von Rodrigo Prieto und dessen unwiderstehlicher Art sich Figuren durch ein Kamera-Objektiv zu nähern.
Die in drei Episoden gegliederte
Erzählstruktur wird dabei nur fragmentarisch wiedergegeben und
eröffnet dem Zuschauer gerade dadurch die Möglichkeit, die
Situation unbefangen zu bewerten. Ohnehin ist es weniger die
Schuldfrage, die interessiert als die Auswirkungen auf alle
Beteiligten, die mit dem plötzlichen und aller Leben von Grund auf
verändernden Ereignis einhergehen. Aus der zerstreuten Narrative
schöpft Iñárritu derweil genau jene Dynamik, die in „Amores Perros“ manchmal fehlte. „21 Grams“ stellt damit den wohl
zugänglichsten aller Iñárritu-Filme dar. Er scheint mehr auf den
Höhepunkt bedacht und trotz der erwähnten zeitlichen Unordnung in
der Szenenabfolge, funktioniert
sein Film innerhalb eines vergleichsweise konventionellen Rahmens. Stören tut dieser Ansatz nicht, es ist vielmehr – und das ist
gleichzeitig auch der größte Kritikpunkt - die erschreckend
distanzierte Position aus der heraus man „21 Grams“ erlebt.
„How
much is lost? When do we lose 21 grams?“
Hier werden die
Nebenwirkungen der retrospektiven Aufschlüsselung der Geschehnisse am deutlichsten, denn
während eben diese Form der Erzählung eine unbefangene Betrachtung
der hier verhandelten Schuldfrage ermöglicht, haben die Figuren
gerade unter dieser Maßnahme enorm zu leiden. Der Umstand, dass sich
Iñárritu im Dienste seiner erzählerischen Struktur stetig auf
verschiedenen zeitlichen Ebenen bewegt hat zur Folge, dass sich
damit auch die Figuren verändern. Veränderungen, die wir als
Zuschauer in diesem Moment nicht nachvollziehen können, weil uns der
Kontext fehlt, welcher wiederum erst am Ende vollständig gegeben
ist. Iñárritu wirft uns somit immer wieder aufs Neue in eine
Geschichte, in denen uns sowohl die endgültigen Zusammenhänge
versagt bleiben, als auch der Zugang zu den einzelnen Figuren, deren
Motivation und Schicksal.
7/10
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