Samstag, 6. April 2013

"21 Grams" [US '03 | Alejandro González Iñárritu]

Es ist bezeichnend für das ungeheure Talent Iñárritu's, dass die größte Schwäche von „21 Grams“ in dem Umstand besteht Bestandteil einer herausragenden Trilogie zu sein. So fällt es doch schwer nicht den Vergleich zu dem zwar nicht direkt zusammenhängenden, aber nichtsdestotrotz als eine Einheit funktionierenden Vorgänger- bzw. Nachfolgewerk zu ziehen. Und in diesem Vergleich geht dessen zweiten Beitrag zur Schicksals-Trilogie etwas das Genie seines Vorgängers, vor allem jedoch des Nachfolgers ab. Thematisierte das Debüt-Werk „Amores Perros“ doch neben den Einzelschicksalen auch die Situation innerhalb zutiefst gespaltener Ländergrenzen, welche das Abschlusswerk „Babel“ vor dem Hintergrund der Globalisierung schließlich wieder aufgreift, stellt „21 Grams“ den Rückzug zur absoluten Intimität dar; die Reduzierung auf drei Existenzen, drei Situationen und drei Schicksale.

„How many lives do we live? How many times do we die?"

Mehr denn je ist der mexikanische Ausnahmeregisseur an seinen Figuren interessiert. Und wie immer scheint es, als filme er lediglich das Leben ab, als begleite er einfach Menschen und schaue, was denn als nächstes passiert. Wahrhaftigkeit ist es was Iñárritu's Filme so besonders macht. Und das in einer Branche, die doch so sehr von der Illusion, dem Scheinbaren, den gespielten Gefühlen lebt. Iñárritu's Genie liegt einmal mehr darin, die Illusion des Kinos zu perfektionieren - ja, sie sogar für 120 Minuten vergessen zu machen. Selbst künstlichen Leinwand-Projektionen begegnet der Mexikaner dabei mit einer zutiefst berührenden Empathie. Nicht zuletzt auch ein Verdienst von Rodrigo Prieto und dessen unwiderstehlicher Art sich Figuren durch ein Kamera-Objektiv zu nähern.

Die in drei Episoden gegliederte Erzählstruktur wird dabei nur fragmentarisch wiedergegeben und eröffnet dem Zuschauer gerade dadurch die Möglichkeit, die Situation unbefangen zu bewerten. Ohnehin ist es weniger die Schuldfrage, die interessiert als die Auswirkungen auf alle Beteiligten, die mit dem plötzlichen und aller Leben von Grund auf verändernden Ereignis einhergehen. Aus der zerstreuten Narrative schöpft Iñárritu derweil genau jene Dynamik, die in „Amores Perros“ manchmal fehlte. „21 Grams“ stellt damit den wohl zugänglichsten aller Iñárritu-Filme dar. Er scheint mehr auf den Höhepunkt bedacht und trotz der erwähnten zeitlichen Unordnung in der Szenenabfolge, funktioniert sein Film innerhalb eines vergleichsweise konventionellen Rahmens. Stören tut dieser Ansatz nicht, es ist vielmehr – und das ist gleichzeitig auch der größte Kritikpunkt - die erschreckend distanzierte Position aus der heraus man „21 Grams“ erlebt.

„How much is lost? When do we lose 21 grams?“

Hier werden die Nebenwirkungen der retrospektiven Aufschlüsselung der Geschehnisse am deutlichsten, denn während eben diese Form der Erzählung eine unbefangene Betrachtung der hier verhandelten Schuldfrage ermöglicht, haben die Figuren gerade unter dieser Maßnahme enorm zu leiden. Der Umstand, dass sich Iñárritu im Dienste seiner erzählerischen Struktur stetig auf verschiedenen zeitlichen Ebenen bewegt hat zur Folge, dass sich damit auch die Figuren verändern. Veränderungen, die wir als Zuschauer in diesem Moment nicht nachvollziehen können, weil uns der Kontext fehlt, welcher wiederum erst am Ende vollständig gegeben ist. Iñárritu wirft uns somit immer wieder aufs Neue in eine Geschichte, in denen uns sowohl die endgültigen Zusammenhänge versagt bleiben, als auch der Zugang zu den einzelnen Figuren, deren Motivation und Schicksal. 

7/10

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen