Sonntag, 28. April 2019

Warum? - "Psycho" [US '98 | Gus Van Sant]


Das postmoderne amerikanische Kino der 1990er Jahre fasst vielleicht kein Filmprojekt besser zusammen als dieses. Van Sants tollkühner Versuch, Hitchcocks Slasher-Klassiker „Psycho“ von 1960 penibel rekonstruieren zu wollen, kündigte gleichsam und fast schon prophetisch die Remakes, Reboots, Prequels und Sequels von Heute an. Jede Einstellung des Meisters drehte Van Sant noch einmal, mit neuen Gesichtern, aber mit alten Cameos und mit geschmeidigen Plansequenzen, wo die Technik Hitchcocks Vision einst limitierte. Den Zeitgeist ignorierte er und bekam dabei ironischerweise einen anderen zu fassen.

Alle Kameraoperationen sind durch die immense technische Weiterentwicklung mit solcher Leichtigkeit zu realisieren, aber der Zweck, dem sie dienen sollen, ihr eigentlicher Sinn, kann nicht gestiftet werden. Van Sant entlarvt seinen Film schon früh als ernsthafte Unternehmung, statt als prinzipiell reizvolle filmtheoretische Abhandlung über Sinn und Unsinn von Neuauflagen. Statt die Unmöglichkeit eines solchen Remakes eben gerade durch die exakte 1:1-Kopie zu demonstrieren, also auch Filmfehler und technische Beschränkungen mit zu übernehmen (ganz zu schweigen vom Schwarz-Weiß), erweitert er das Original immer wieder durch eigene Bilder: vom sich verdunkelnden Himmel und der in schierer Panik geweiteten Iris von Marion Crane in der Duschmord-Szene bis zu ihrer Schwester Lila, die bei der finalen Überwältigung von Norman Bates in den alten Lumpen seiner Mutter nochmal nachtreten darf, statt wie ihre Kollegin von 1960 zur Passivität verdammt zu sein.

Solche Details deuten eine Neuinterpretation oder zumindest eine behutsame Modernisierung des Originals an – die Frauenrollen dürfen etwas mehr agieren und der ikonische Duschmord wird durch assoziative Zwischenbilder den damaligen Sehgewohnheiten angepasst. Gleichzeitig bleibt die gesamte dramaturgische Struktur des Filmes unangetastet, selbst die Autos werden vor hässlichen Rückprojektionen wieder gesteuert wie zu Zeiten des Classical Hollywood. William H. Macy muss derweil mit albernem Hut den Detektiv vergangener Dekaden mimen und ein bemitleidenswerter Vince Vaughn arbeitet sich an der herausragenden Performance von Anthony Perkins ab, der den inneren Kampf von Norman Bates um seine Identität gegen eine drakonische Mutterfigur noch in ein hypernervöses, fiebriges Spiel zu überführen vermochte. Lediglich Julianne Moore gelingt es, in all dem Unsinn auf wundersame Weise Haltung zu wahren. Als sei sie direkt vom „Boogie Nights“-Set lässig herübergeschlendert und hätte einfach nur Bock auf den Quatsch gehabt.

Vielleicht hat sich Van Sant hiermit ja tatsächlich einen nerdigen Meta-Kommentar auf die Filmkultur seiner Zeit erlaubt, wenngleich dessen Änderungen am Ursprungsstoff gänzlich anderes vermuten lassen. „Psycho“ von 1960 funktioniert noch heute, weil wir die Filmgeschichte beim Schauen des Filmes mitdenken. Er funktioniert als Zeitkapsel, die das andere Schauspiel, die andere Dramaturgie, die anderen Dialoge, sprich den gesamten filmischen Impetus seiner Zeit, auch gleichsam zum Gegenstand einer filmhistorischen Betrachtung machen. Einen über 30 Jahre alten Film Szene für Szene, Sequenz für Sequenz auf exakt gleiche Weise nachzudrehen und sich den selben durchschlagenden Erfolg zu erhoffen, wäre anzunehmen, die Welt habe sich seitdem nicht mehr verändert. Van Sant war sich dessen sicherlich bewusst. Vielleicht wäre Van Sants Erwiderung auf das „Warum?“ also lediglich ein cooles „Warum nicht?“ und „Psycho“ ist am Ende vor allem das Produkt eines jung gebliebenen, neugierigen Filmemachers, der die Erfahrung des Drehs über sein denkbar langweiliges Resultat stellte. Nur um sich am Ende nicht vorwerfen zu müssen, man habe nicht alles einmal ausprobiert.

1 Kommentar:

  1. Empfand den Film beim letzten Sehen nicht als Katastrophe, zu der er gern gemacht wird. Die Handlung ist ja dieselbe (und die Inszenierung in gewisser Weise "auch"). Sinn und Zwick mag sich einem bis heute nicht erschließen, aber so ähnlich geht es mir auch in Bezug auf FUNNY GAMES U.S. (außer dass der eventuell die Handlung für das nordamerikanische Publikum noch einmal Untertitel-frei mit bekannten Gesichtern anbieten wollte).

    Ich mag weder Heche noch Vaughn oder Mortensen.

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