Das postmoderne amerikanische Kino der
1990er Jahre fasst vielleicht kein Filmprojekt besser zusammen als
dieses. Van Sants tollkühner Versuch, Hitchcocks Slasher-Klassiker
„Psycho“ von 1960 penibel rekonstruieren zu wollen, kündigte
gleichsam und fast schon prophetisch die Remakes, Reboots, Prequels
und Sequels von Heute an. Jede Einstellung des Meisters drehte Van
Sant noch einmal, mit neuen Gesichtern, aber mit alten Cameos und mit
geschmeidigen Plansequenzen, wo die Technik Hitchcocks Vision einst
limitierte. Den Zeitgeist ignorierte er und bekam dabei
ironischerweise einen anderen zu fassen.
Alle Kameraoperationen sind durch die
immense technische Weiterentwicklung mit solcher Leichtigkeit zu
realisieren, aber der Zweck, dem sie dienen sollen, ihr eigentlicher
Sinn, kann nicht gestiftet werden. Van Sant entlarvt seinen Film
schon früh als ernsthafte Unternehmung, statt als prinzipiell
reizvolle filmtheoretische Abhandlung über Sinn und Unsinn von
Neuauflagen. Statt die Unmöglichkeit eines solchen Remakes eben
gerade durch die exakte 1:1-Kopie zu demonstrieren, also auch
Filmfehler und technische Beschränkungen mit zu übernehmen (ganz zu
schweigen vom Schwarz-Weiß), erweitert er das Original immer wieder
durch eigene Bilder: vom sich verdunkelnden Himmel und der in
schierer Panik geweiteten Iris von Marion Crane in der
Duschmord-Szene bis zu ihrer Schwester Lila, die bei der finalen
Überwältigung von Norman Bates in den alten Lumpen seiner Mutter
nochmal nachtreten darf, statt wie ihre Kollegin von 1960 zur
Passivität verdammt zu sein.
Solche Details deuten eine
Neuinterpretation oder zumindest eine behutsame Modernisierung des
Originals an – die Frauenrollen dürfen etwas mehr agieren und der
ikonische Duschmord wird durch assoziative Zwischenbilder den
damaligen Sehgewohnheiten angepasst. Gleichzeitig bleibt die gesamte
dramaturgische Struktur des Filmes unangetastet, selbst die Autos
werden vor hässlichen Rückprojektionen wieder gesteuert wie zu
Zeiten des Classical Hollywood. William H. Macy muss derweil mit
albernem Hut den Detektiv vergangener Dekaden mimen und ein
bemitleidenswerter Vince Vaughn arbeitet sich an der herausragenden
Performance von Anthony Perkins ab, der den inneren Kampf von Norman
Bates um seine Identität gegen eine drakonische Mutterfigur
noch in ein hypernervöses, fiebriges Spiel zu überführen
vermochte. Lediglich Julianne Moore gelingt es, in all dem Unsinn auf
wundersame Weise Haltung zu wahren. Als sei sie direkt vom „Boogie
Nights“-Set lässig herübergeschlendert und hätte einfach nur
Bock auf den Quatsch gehabt.
Vielleicht hat sich Van Sant hiermit ja
tatsächlich einen nerdigen Meta-Kommentar auf die Filmkultur seiner
Zeit erlaubt, wenngleich dessen Änderungen am Ursprungsstoff
gänzlich anderes vermuten lassen. „Psycho“ von 1960 funktioniert
noch heute, weil wir die Filmgeschichte beim Schauen des Filmes
mitdenken. Er funktioniert als Zeitkapsel, die das andere Schauspiel,
die andere Dramaturgie, die anderen Dialoge, sprich den gesamten
filmischen Impetus seiner Zeit, auch gleichsam zum Gegenstand einer
filmhistorischen Betrachtung machen. Einen über 30 Jahre alten Film
Szene für Szene, Sequenz für Sequenz auf exakt gleiche Weise
nachzudrehen und sich den selben durchschlagenden Erfolg zu erhoffen,
wäre anzunehmen, die Welt habe sich seitdem nicht mehr verändert.
Van Sant war sich dessen sicherlich bewusst. Vielleicht wäre Van
Sants Erwiderung auf das „Warum?“ also lediglich ein cooles
„Warum nicht?“ und „Psycho“ ist am Ende vor allem das Produkt
eines jung gebliebenen, neugierigen Filmemachers, der die Erfahrung
des Drehs über sein denkbar langweiliges Resultat stellte. Nur um
sich am Ende nicht vorwerfen zu müssen, man habe nicht alles einmal
ausprobiert.
Empfand den Film beim letzten Sehen nicht als Katastrophe, zu der er gern gemacht wird. Die Handlung ist ja dieselbe (und die Inszenierung in gewisser Weise "auch"). Sinn und Zwick mag sich einem bis heute nicht erschließen, aber so ähnlich geht es mir auch in Bezug auf FUNNY GAMES U.S. (außer dass der eventuell die Handlung für das nordamerikanische Publikum noch einmal Untertitel-frei mit bekannten Gesichtern anbieten wollte).
AntwortenLöschenIch mag weder Heche noch Vaughn oder Mortensen.