Nach einer dekonstruierenden zweiten
„True Detective“-Staffel greift Nic Pizzolatto die Motive seines
gleichnamigen Romans wieder auf. Die Regie überlässt er dabei der
Französin Mélanie Laurent – eine fruchtbare Kollaboration.
„Galveston“ vermittelt einem dieses
existenzielle Gefühl des In-die-Welt-Geworfen-Seins und der
Ohnmacht, darin agieren zu müssen, aber nichts nachhaltig verändern
zu können. Nach "You Were Never Really Here", zu welchem
einige thematische Bezugspunkte bestehen, durchzieht auch "Galveston"
eine tiefe Traurigkeit über die Welt, deren Ungerechtigkeiten einen
schlussendlich nur resignierend dastehen lassen. Einer Welt, die
alles Schöne restlos vernichtet, steht Hauptfigur Roy (Ben Foster) ohne große
Handlungsspielräume gegenüber, reagiert nur noch instinktiv auf die
äußeren Reize, entgeht wie durch ein Wunder seiner Vernichtung, die
er inzwischen vor allem als Erlösung denkt.
Unentwegt hinterfragt "Galveston"
die Männlichkeitsideale seines Sujets. Fassbar wird die
Dekonstruktion des omnipotenten Noir-Helden an der Figur von Roy, der
mit Staub in der Lunge missmutig durch diesen Film stampft, grummelnd
und nuschelnd versucht auf die Einwirkungen der Welt eine Antwort zu
finden. Nichts an dieser Figur ist heroisch. Nichts an ihr verklärt.
Ebenso wenig flüchtet sie sich in die ausgestellte Pose des
Anti-Helden, den nichts mehr bewegt, weil er schon alles gesehen hat.
Die sexuelle Impotenz bildet dabei lediglich eine Randnotiz, viel
mehr Aufschluss gibt ein schmerzhaftes Gespräch mit der Ex-Freundin
über die Unfähigkeit zur Beziehung und die Tücken subjektiver
Erinnerung. Die guten Zeiten werden erinnert, als Kopie der Kopie
stetig verfeinert, aber an den Rändern unscharf, alles andere
ausgeschlossen. "Galveston" erzählt vielleicht gerade
davon, dieses Ausgeschlossene an die Oberfläche zu spülen.
Für den Zuschauer und für Roy gibt es
keine Absolution, aber auch keine klare Schuldzuweisung. Alle Träume
sind dahin, die Erinnerungen als Illusionen entlarvt. Das Gute
existiert an den Rändern, hat aber keine Wirkmacht in einer Welt,
die von unsichtbaren Kräften dominiert wird, die alles vernichten,
was sich ihnen in den Weg wirft. Roy agiert die gesamte Laufzeit über
selbstzerstörerisch, macht sich selbst zum Ziel seiner
Frustrationen. Die Welt von „Galveston“ legitimiert jedoch
gleichwohl seine Existenz. Nur durch seine Taten darf das Schöne
weiterexistieren, das Fragile vor der Zerstörung bewahrt werden
(oder seine Vernichtung aufgeschoben). Das eint ihn mit Joe aus „You
Were Never Really Here“. Ihre Existenzberechtigung wird nicht
angezweifelt, ihre Mittel nicht hinterfragt. In einer Welt, die durch
Strukturen der Gewalt zusammengehalten wird, kann nur Gewalt etwas
bewirken. Es werden jedoch die Auswirkungen gezeigt, die damit
einhergehen, diese Rolle ausfüllen zu müssen.
Für Ramsay und Laurent scheinen sich gerade dort interessante
erzählerische Leerstellen aufzutun, die die Möglichkeit eröffnen,
sich den Dirty Harrys dieser Zeit aus einer neuen Perspektive heraus
zu nähern. Denn wie gesagt: Figuren wie Joe und Roy werden nicht für
obsolet erklärt, nicht als Relikte enttarnt, stattdessen wird durch
die porträtierten liberalen Gesellschaftsordnungen gerade die
Notwendigkeit ihrer Existenz und ihres Handelns betont. Dafür wird
aber auch der Preis sichtbar, den ein solches Leben fordert. Laurent
blickt nicht mit Genugtuung auf Roy, zeigt ihn nicht als jämmerlichen
Macho, dessen Zeit abgelaufen ist, sondern begegnet diesem mit anthropologischer Neugierde. Und am Ende darf einer, der sich von der
Welt verlassen fühlte, sogar Worte der Hoffnung finden - „you have
not been abandoned“.
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