Donnerstag, 28. Februar 2019

Du wurdest nicht verlassen - "Galveston" [US '18 | Mélanie Laurent]

Nach einer dekonstruierenden zweiten „True Detective“-Staffel greift Nic Pizzolatto die Motive seines gleichnamigen Romans wieder auf. Die Regie überlässt er dabei der Französin Mélanie Laurent – eine fruchtbare Kollaboration.

 
„Galveston“ vermittelt einem dieses existenzielle Gefühl des In-die-Welt-Geworfen-Seins und der Ohnmacht, darin agieren zu müssen, aber nichts nachhaltig verändern zu können. Nach "You Were Never Really Here", zu welchem einige thematische Bezugspunkte bestehen, durchzieht auch "Galveston" eine tiefe Traurigkeit über die Welt, deren Ungerechtigkeiten einen schlussendlich nur resignierend dastehen lassen. Einer Welt, die alles Schöne restlos vernichtet, steht Hauptfigur Roy (Ben Foster) ohne große Handlungsspielräume gegenüber, reagiert nur noch instinktiv auf die äußeren Reize, entgeht wie durch ein Wunder seiner Vernichtung, die er inzwischen vor allem als Erlösung denkt.

Unentwegt hinterfragt "Galveston" die Männlichkeitsideale seines Sujets. Fassbar wird die Dekonstruktion des omnipotenten Noir-Helden an der Figur von Roy, der mit Staub in der Lunge missmutig durch diesen Film stampft, grummelnd und nuschelnd versucht auf die Einwirkungen der Welt eine Antwort zu finden. Nichts an dieser Figur ist heroisch. Nichts an ihr verklärt. Ebenso wenig flüchtet sie sich in die ausgestellte Pose des Anti-Helden, den nichts mehr bewegt, weil er schon alles gesehen hat. Die sexuelle Impotenz bildet dabei lediglich eine Randnotiz, viel mehr Aufschluss gibt ein schmerzhaftes Gespräch mit der Ex-Freundin über die Unfähigkeit zur Beziehung und die Tücken subjektiver Erinnerung. Die guten Zeiten werden erinnert, als Kopie der Kopie stetig verfeinert, aber an den Rändern unscharf, alles andere ausgeschlossen. "Galveston" erzählt vielleicht gerade davon, dieses Ausgeschlossene an die Oberfläche zu spülen.

Für den Zuschauer und für Roy gibt es keine Absolution, aber auch keine klare Schuldzuweisung. Alle Träume sind dahin, die Erinnerungen als Illusionen entlarvt. Das Gute existiert an den Rändern, hat aber keine Wirkmacht in einer Welt, die von unsichtbaren Kräften dominiert wird, die alles vernichten, was sich ihnen in den Weg wirft. Roy agiert die gesamte Laufzeit über selbstzerstörerisch, macht sich selbst zum Ziel seiner Frustrationen. Die Welt von „Galveston“ legitimiert jedoch gleichwohl seine Existenz. Nur durch seine Taten darf das Schöne weiterexistieren, das Fragile vor der Zerstörung bewahrt werden (oder seine Vernichtung aufgeschoben). Das eint ihn mit Joe aus „You Were Never Really Here“. Ihre Existenzberechtigung wird nicht angezweifelt, ihre Mittel nicht hinterfragt. In einer Welt, die durch Strukturen der Gewalt zusammengehalten wird, kann nur Gewalt etwas bewirken. Es werden jedoch die Auswirkungen gezeigt, die damit einhergehen, diese Rolle ausfüllen zu müssen.

Für Ramsay und Laurent scheinen sich gerade dort interessante erzählerische Leerstellen aufzutun, die die Möglichkeit eröffnen, sich den Dirty Harrys dieser Zeit aus einer neuen Perspektive heraus zu nähern. Denn wie gesagt: Figuren wie Joe und Roy werden nicht für obsolet erklärt, nicht als Relikte enttarnt, stattdessen wird durch die porträtierten liberalen Gesellschaftsordnungen gerade die Notwendigkeit ihrer Existenz und ihres Handelns betont. Dafür wird aber auch der Preis sichtbar, den ein solches Leben fordert. Laurent blickt nicht mit Genugtuung auf Roy, zeigt ihn nicht als jämmerlichen Macho, dessen Zeit abgelaufen ist, sondern begegnet diesem mit anthropologischer Neugierde. Und am Ende darf einer, der sich von der Welt verlassen fühlte, sogar Worte der Hoffnung finden - „you have not been abandoned“.

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