Mittwoch, 19. Dezember 2018

Gemeinsam Gespenst sein – Das Kino von Christian Petzold

Der eisige Windhauch, der aus den angestaubten Schnitträumen der Berliner Schule zu dringen scheint, ist gar nicht so eisig. Aus den formalen Selbstbeschränkungen dieser lose miteinander assoziierten Filmemacher, die vielleicht eher eine Philosophie des Kinos eint, auch gleichermaßen emotionale Kälte abzuleiten, wäre grob fahrlässig, Und es entginge einem eine Vision vom Kino, die gerade in der deutschen Kinolandschaft ein Gegengewicht zu verfilmtem Geschichtsunterricht oder Komödien über Männer und Frauen bilden könnte, indem es Platz für die Zwischenräume und Transitzonen menschlicher Biografien lässt. Jene Orte also, an denen das Gespenst sein Dasein fristet. Durch die Kino-Landschaften Petzolds geistert es seit jeher. Seine Figuren streifen durch diese Landschaften immer schwer nahbar, verloren, nicht wirklich da, nicht wirklich weg. Es wird schnell klar: das Kino Petzolds ist nicht nüchtern, sondern schüchtern.

Intrinsische Charaktere, keine Extrovertierten oder Paradiesvögel, sondern in sich brodelnde, schüchterne Wesen, Einzelgänger, Grenzgänger bilden das Gravitationszentrum seiner Filme, laden sie auf. Seine Figuren wandeln auf Grenzen, bilden also eine Grenzerfahrung ab, schweben irgendwo im Dazwischen, harren in Zonen des Übergangs aus. Es geht immer um Gespenster, also die Vergangenheit und ihre Erfahrungen und wie sie in die Gegenwart hineinwirkt, um die Zukunft zu gestalten. Und es geht darum, wie sehr wir uns von unserer Vergangenheit gefangen nehmen, lähmen lassen; wie deterministisch unsere Leben vorgezeichnet sind, ob wir es auf Schienen durchfahren oder ob wir vor einer leeren Leinwand stehen. Mit der Vergangenheit sind die Schulden, mit denen wir beladen sind. Und da ist die Idee der Absolution und die Frage, ob wir sie erwarten sollen, sie erwarten dürfen.

Mit den Hauptfiguren seiner Filme bin ich stets auf der Suche, oder auf der Flucht, manchmal ist das eine nicht vom anderen zu unterscheiden. Seine Filme zeichnet dabei eine eigentümliche impressionistische Qualität aus, wenngleich er sich bisweilen in expressionistischen Formspielen erprobt. Seine Figuren sind impressionistisch in dem Sinne, dass sie verschlossen bleiben, nach innen gerichtet. Jedes Zeichen, das nach außen dringt und anzeigen könnte, wie es um die Innenwelt der Figuren bestellt ist, gilt es deswegen umso begieriger, umso aufmerksamer zu deuten. Die Sichtung eines solchen Kinos – eines des aufmerksamen, proaktiven Auf-die-Suche-Machens – erfordert dementsprechend höchste Aufmerksamkeit. Petzold macht Angebote, gibt versteckt Hinweise, aber er hält die Tür immer nur einen Spalt offen.

Seine Figuren sind in der Maskerade verfangen, spielen den anderen etwas vor, täuschen diese und sich selbst, manchmal verliert sich ihre Identität und sie stülpen sich eine neue über. Menschen sind dann nicht die, wofür wir sie gehalten haben. Das ist das allzumenschliche, dem Petzold stets mit schier unstillbarer anthropologischer Neugierde begegnet. Manchmal gehen die Menschen auch von uns, aber weigern sich die Szenerie zu verlassen. Sie werden zu Gespenstern. Wenn Petzold romantisch wird, dann können sich seine Figuren plötzlich ohne Spiel und ohne Falsch gegenüberstehen und miteinander sprechen, aneinander anblicken und nichts sagen; können sich aber dennoch erzählen, wie viel sie einander bedeuten ohne schüchtern zur Seite zu blicken. Hier liegt sein Versprechen an die Gespenster des Kinos: In der zwischenmenschlichen Begegnung überkommt man das Gespenster-Dasein, versichert sich seines Wertes, stiftet Sinn; oder man wird gemeinsam zum Gespenst.

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