Seltsame, entrückte Gestalten
bevölkern diesen impressionistischen zweiten Polizeiruf-Beitrag von
Christian Petzold. Mancherorts wird gar das Prädikat „lynchesk“
bemüht, um der entschleunigten, fremdartigen Stimmung dieses
Mythen-basierten, aber zuvorderst an seinen Figuren interessierten
Krimis mit einer aussagekräftigen Referenz beizukommen. Sensationell
großartig sind nach wie vor Auer und Brandt, die in schweigender
Übereinkunft die Zeit davontreiben lassen und in ihren Gesichtern
nach einer Heimat suchen. Eine so hauchzarte, leise Romanze zwischen
zwei erwachsenen, mit Lastern belegten Menschen gab es im Fernsehen
nur selten zu sehen. Der Fall erscheint nur wie ein Gerüst, die
Leichen nur wie ein Alibi, um im Krimi-verrückten Deutschland einen
solchen Sendeplatz zu okkupieren und dann immanente Dekonstruktion zu
betreiben. Ein bisschen erschien es mir, als spreche mehr als sonst
Petzold selbst durch den gelassenen, liebevollen Meuffels. Seine
Filme ziehen sich numher immer weiter zusammen, in sich zurück, bis
zum Raum, zum Tisch, zwei Personen und eine Musik-Box. Und mehr als
sonst sucht er die Schönheit im Kleinen, in der Zweisamkeit, in der
Liebe – im gemeinsamen Filmeschauen. Petzold dreht Liebesfilme und
alle reden von den Leichen.
7/10
Würde ich zum Großteil zustimmen. :) Gerade diese intime Schilderung der Beziehung seiner beiden Hauptfiguren tritt noch mehr in den Vordergrund als in seinem ersten Beitrag wie ich finde.
AntwortenLöschenWas sich mir aber nicht ganz erschließt, ist, wo du diesen so von - noch untypischer für öffentlich-rechtliches Fernsehen - Dunkelheit durchtränkten Film als »impressionistisch« siehst? Gerade, weil ich dagegen finde, dass Petzolds Bezug zum deutschen Expressionismus (siehe: Murnaus Nosferatu) noch nie so stark in die Bilder übersetzt wurde wie hier.
Danke! Ich hoffe ja, dass Petzold eine Trilogie geplant hat und die Beziehungsgeschichte zwischen Brandt und Auer mit einem dritten Beitrag abschließt (bittersüß, könnte ich mir vorstellen). Hinsichtlich der filmischen Tradition (oder der Stilrichtung) sehe ich das nicht allzu dogmatisch. Expressionismus bedeutet im Film ja meines Wissens, dass abseits des gesprochenen Wortes über eine besonders "kommunikative" bzw. ausdrucksstarke Mise-en-scène (Bildgestaltung, Dekor und Sets im Zusammenspiel mit einer Partitur), die Themenkomplexe des Films nonverbal vermittelt werden. Das sehe ich auch hier, z.B. im obigen Bild (wo genau hast du „Nosferatu“ gesehen?), gleichzeitig fanden sich auch viele Bilder, die nicht mit Subtext beladen waren, wenn Petzold beginnt Räume zu reduzieren, auf den Dialog zurückgeht und zwischenmenschliche Momente in Alltagssituationen sucht. Ich finde der Film ist da weder ausschließlich das eine, noch das andere. Ich habe mich mit den Begrifflichkeiten aber auch noch nie tiefgehend auseinandergesetzt, also wenn du mehr weißt, dann kläre mich auf. Als ich den Text geschrieben habe, wollte ich eben dieser Reduktion und der Bezugnahme zum Alltag Ausdruck verleihen, deswegen habe ich „impressionistisch“ verwendet. Zudem ist das Spiel von Auer und Brandt alles andere als expressionistisch, aber heutzutage wird sich mit dem Begriff glaube ich in erster Linie auf ästhetische Aspekte bezogen – warum auch immer.) Hoffe die Antwort bringt Klärung. ;)
AntwortenLöschenSo, endlich Zeit gefunden dir zu antworten. :) Deinen Erläuterungen kann ich folgen und kann es nun besser nachvollziehen.
AntwortenLöschenZu meiner Sicht: "Nosferatu" sehe ich insbesondere deswegen so stark in dem Film, weil der Film sichtlich mit dem traditionellen und oft märchennahen Horrorfilm liebäugelt (ich würde ebenso gut eine Nähe zum Universal-Horror [Wolfman] dem Film attestieren wollen), wegen der ausgeklügelten und zeitweise expressiven Farbdramaturgie (die blaue Nacht, typisch für den Stummfilm oder eben das giftige Grün in der Hölle des Löwen) und dem Spiel mit den Schatten beziehungsweise der Dunkelheit (etwas, das sich auch im Murnau Film sehr ausgeklügelt wiederfinden lässt). An das Spiel der Darsteller hatte ich eher weniger gedacht, stimmt.
Weshalb ich den Film erstmal nicht als impressionistisch lesen würde: Vorab möchte ich sagen, dass das ein interessanter Gedanke ist! Und ich habe mir das mal durch den Kopf gehen lassen, ein Werk, das ich von Petzold eher als "impressionistisch" einstufen würde, wäre wohl "Gespenster", wo alles ein bisschen verschwimmt, das mehr von Gefühlen getrieben wird. Und wo ich mir das näher überlege, ist das Kino von Petzold bisweilen durchaus "impressionistisch" in seiner Wiedergabe von Natureindrücken.
Ich sehe diese Begriffe "Expressionismus" oder "Impressionismus" halt - wie wohl viele andere :P - mit der Malerei verbunden. Und der Impressionismus war bekannt, so wie ich das noch in Erinnerung habe (bin auch kein Experte), eben auf Schwarz und dunklere Farben zu verzichten in den malerischen Bildern, die oft verschwimmen in den Farben, sich auflösen oder eben eine gewisse Unschärfe haben. Die Bilder des Impressionismus sind Bilder, die vom Licht gemacht wurden und daher für mich auch immer etwas harmonisches ausstrahlten. Und da ist dieser finstere Polizeiruf dann ein bisschen das Gegenteil von dieser Vorstellung des Impressionismus, weshalb mich die Wahl des Begriffes - wie gesagt - etwas verwunderte. ;-)
Stimmt, andere (alle?) Petzold-Werke eignen sich womöglich besser, um daran Diskussionen über Impressionismus zu starten. ^^ Aber wie gesagt: ich sehe keinen Widerspruch in unseren Positionen. Da ich eher an der Beziehung interessiert war und die Genre-Tradition zuvorderst als formellen Bezugsrahmen verstand, war mein Blick nicht so sehr darauf gerichtet. Für die Verweise auf die Stummfilm-Ära war ich wahrscheinlich nicht besonders sensibilisiert, aber mit Farb-Dramaturgie bringt du ein gutes Stichwort – das ist mir nämlich völlig entgangen. Schon geil, wie viele Ebenen der Film allein durch so eine kurze Konversation gewinnt.
AntwortenLöschenDamn. Ein Petzold-Tatort und ich hab es verpasst.
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