Mittwoch, 28. März 2012

"Zeiten des Aufruhrs" [GB, US '08 | Sam Mendes]

 Drei Jahre nach seinem kritischen Kommentar zum Golfkrieg, kehrt Sam Mendes mit „Zeiten des Aufruhrs“ in zweierlei Hinsicht zu seinen Ursprüngen zurück. Wie bereits Jahre zuvor, wendet er sich in seiner erst vierten Regie-Arbeit der Aufarbeitung der Vergangenheit hinzu und wie auch schon bei seinem Debüt verschreibt er sich der filmischen Desillusionierung eines gescheiterten Ehepaares. Und selten war ein Titel treffender: Denn tatsächlich herrschen Zeiten des Aufruhrs - zumindest im Leben des jungen Ehepaares - und bereits während des ersten Streites (Di Caprio und Winslet sind nach ihrem gemeinsamen „Titanic“-Auftritt sichtlich gereift) drängen sich die ersten, offensichtlichen Parallelen zu Mendes' Debüt „American Beauty“ auf. 

Die Optik in „Revolutionary Road“ ist geprägt von der oberflächlichen Kälte der 50er Jahre. Gepflegte Vorgärten säumen die Straßen, eine klinische Sterilität bestimmt den Blick in das Wohnzimmer des Vorzeige-Paares Wheeler. Wie bereits neun Jahre zuvor bedient sich Mendes der selben Metaphorik, das scheinbare Paradies ist eine Scheinwelt, eine Fassade, hinter denen Männer ihre Frauen betrügen und ohnmächtig sind, ihre wahren Gefühle zu artikulieren. Und wie vor neun Jahren, funktioniert die Metapher des Vorstadtparadieses als Sinnbild für vorherrschende Gesellschaftszustände, gerade aufgrund ihrer natürlichen Authentizität, überaus gut. Mendes variiert sein Konzept jedoch, ersetzt die Dekonstruktion des American Dream durch ein kritisches Gesellschaftsporträt und positioniert seine Protagonisten neu: Seine Protagonisten sind sich ihrer eigenen illusionären Existenz bewusst und versuchen dagegen vorzugehen.

Die Gesellschaft in „Revolutionary Road“ ist eine statische, eine in Konventionen festgefahrene Gesellschaft und die Idee der Wheelers bleibt nicht ohne Auswirkungen auf ihre Umwelt. Das Festhalten an Träumen und der Mut sich gegen Konventionen aufzulehnen, sowie ihre revisionistische Definition von Leben, von Erfüllung und von Glück, verbreitet sich ebenso schnell wie die Neuigkeit, dass die Beiden nach Paris ziehen wollen. Ideen, die das bisherige Leben, ja ganze Existenzen plötzlich zu hinterfragen beginnen und wenn sich die Freunde der Wheelers in einem kurzen Schlafzimmer-Gespräch gegenseitig in ihrer Schein-Existenz zu bestärken versuchen, ehe die letzte Affektion zu bröckeln beginnt, wird der Film seinem Titel vollends gerecht. 

Währenddessen implementiert Mendes in die Szenerie, der sich regenerierenden Fassade, einen fast schon satirischen Kommentar (Yates' genialer Vorlage geschuldet), einen Kommentar, der nur möglich ist unter dem Deckmantel der Narrenfreiheit als Irrer, als Freak, als jemand, der nicht „ganz normal“ ist. Der satirische Höhepunkt wäre vermutlich dann erreicht, wenn Mendes den Kontrast zwischen aufwühlenden Streitdiskussionen und formalem Frühstücks-Gespräch vollends auskostet, wenn er die verzweifelten Blicke, die flüchtigen Gesten seiner Darsteller die Szene bestimmen lässt.

Doch bis zu seinen ersten, wirklich überragenden Szenen, benötigt „Revolutionary Road“ schlichtweg zu viel Anlaufzeit. Der grundsätzliche Plot der ersten Hälfte bleibt zu vage formuliert, erzeugt keine Spannung, zumal er nicht imstande ist, eine schnelle Bindung zu den Protagonisten zu generieren. Der Antrieb, die Vergangenheit der Protagonisten bleibt weitgehend ungeklärt und vermag nur geringes bis kein Interesse am weiteren Verlauf der Geschichte zu wecken. Ironischerweise ist es gerade der ersten schwachen Hälfte zuzuschreiben, dass die zweite dafür umso intensiver daherkommt. 

Nach seiner langen Anlaufzeit entwickelt Mendes' Werk nämlich eine solch immense Sogwirkung, dass man gar nicht anders kann, als der vollkommenen Dekonstruktion einer einstigen Traum-Ehe einfach nur gebannt zuzuschauen. Dies ist in erster Linie dem perfekt harmonierenden Duo Winslet / Di Caprio zu danken, die über zehn Jahre nach ihrem Auftritt auf dem Passagier-Dampfer einmal mehr ihr enormes schauspielerisches Potenzial unter Beweis stellen. Auf dem Weg zu seinem finalen Klimax spitzt sich Mendes' Gesellschaftsporträt dann schließlich immer weiter zu, hält sich jedoch gleichzeitig angenehm zurück und lässt „Revolutionary Road“ schließlich in der perfekten Schlusssequenz enden. Eine Schlusssequenz, die das Vorangegangene - die essenzielle Intention - auf einen Handgriff zu reduzieren weiß. Bemerkenswert!

7.5/10

2 Kommentare:

  1. Endlich! :D
    Schön zusammengefasst. Ich hab zwar bei der ersten Hälfte nie so empfunden, was aber auch an meiner "DiCapriodie" liegen kann. ;) Trotzdem: Eine 7,5 ist bei dir schon ne Menge wert. Erst recht, wenn ich bedenke, was manch anderer dafür gegeben hat. Da kommen mir schon wieder fast die Tränen. :(

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  2. Also Di Caprio hat sich auch echt gemacht in den letzten Jahren, mir fehlt nur noch diese eine Hammer-Performance - wie z.B. Bale in "The Machinist". | Bei MP kommt "Zeiten des Aufruhrs" mit 'ner 7.9 Kritiker-Wertung ja sogar besser weg als "American Beauty" weg, also unterbewertet ist der eigentlich nicht. :)

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