Ich kann mich an den Vater meiner
Mutter, meinen Opa, kaum erinnern. Er ist wohl ein lieber Mann
gewesen und hat mit mir als Kleinkind sehr viel gespielt. Mit Blick
auf dessen VHS-Sammlung hätte man diese Sensibilität vielleicht
nicht sofort erahnt. Neben einigen Disney-Filmen für die Enkel,
bestand diese nämlich fast ausschließlich aus Kriegs- und
Actionfilmen der 80er und 90er Jahre. Die Cover dieser Filme haben
sich mir, anders als die Titel, fest eingebrannt. Eines dieser Cover
zeigte Sylvester Stallone in Handschellen, die dieser fest gespannt
vor sich hielt. Die gestählten Muskeln von Stallone machten einen
Glauben, er könnte die Ketten jeden Moment zum Bersten bringen.
Das Cover gehörte zum Film „Lock Up“
- und kannte man wie ich bisher nur dieses grandiose Cover, rechnete
man möglicherweise mit einem raubeinigen Gefängnis-Film und
erwartete Stallone als unverwüstliche Kampfmaschine, die
möglicherweise eine Häftlings-Revolte anzettelt, eine Gang gründet
oder was man als harter Kerl in einem Gefängnis halt sonst so macht.
Doch wie so viele von Stallones Rollen, die im Nachhinein zur tumben
Haudrauf-Figur umgedeutet oder schlichtweg falsch erinnert wurden,
ist dessen Figur auch in diesem Film um ein vielfaches sensibler als
es der Blick auf das Cover erahnen lässt. Ähnlich wie John Rambo
widerfährt Stallone als Musterhäftling Frank Leone vor allem jede
Menge Unrecht und jeder Gewaltakt, der von ihm ausgeht, ist eine
Gegenreaktion auf die Intrigen von Gefängnisdirektor Drumgoole, der
von Donald Sutherland in etwa dem selben Modus gespielt wird, in dem
Lena Headey die finale Staffel „Game of Thrones“ Wein-schlürfend
absolvierte. Der fiese Direktor hat jedenfalls noch eine
persönliche Rechnung mit Frank offen, steht andauernd am Fenster und
grinst ein wenig schräg. Die Figur lässt sich dabei als
Verkörperung der Vergeltungsjustiz lesen, die in seinen ständigen
Versuchen, Stallones Figur zu provozieren, die Vergeltungsfantasien
in diesem zu wecken versucht, um schlussendlich das eigene,
System-inhärente Handeln zu legitimieren.
In einer wunderbaren Montage
restaurieren Stallone und seine Kumpels einen schicken Oldtimer, alle
haben mächtig Spaß, Stallone gefällt sich in der Rolle des
ruhigen, strategisch denkenden Mechanikers, den er in seiner Karriere
immer wieder gegeben hat und in der „Expandables“-Reihe bewusst
forcierte, aus Jux und Tollerei bespritzen sich die Jungs noch mit
ein bisschen Kühlflüssigkeit und Lackierfarbe und sie gehen voll
auf in dieser gemeinsamen Tätigkeit, etwas vermeintlich Ausrangiertes
und Kaputtes wieder aufzubauen – das Auto also als Symbol für den
Resozialisierungsgedanken.
Im Anschluss an diese Montage darf
einer von Stallones Gefängnis-Kollegen (Larry Romano, der den Macho
Ricky in „The King of Queens“ spielte und hier einen Macho spielt)
ein paar Runden mit dem restaurierten Auto in der Werkstatt drehen,
nachdem er Stallone erzählt, dass er lebenslänglich bekommen hat
und nie die Chance hatte, richtig Auto fahren zu lernen. Bei
ausgeschaltetem Motor schiebt Stallone also das Auto, sein Kumpel
Romano darf etwas lenken üben und Stallone beginnt den Raum der
Werkstatt in seiner Imagination umzugestalten. In ihren Fantasien
drehen sie dann ein paar Runden über den Broadway, halten Ausschau
nach heißen Bräuten und haben einfach eine gute Zeit. In diesen
kurzen, prägnanten Szenen wird das Auto als Symbol extremst
aufgeladen, weswegen die darauf folgenden Szenen umso beeindruckender
sind. Nach einer kurzen Spritztour bis in den Innenhof des
Gefängnisses wird das Auto vor den Augen der Insassen, auf direktem
Befehl vom fiesen Direktor, nämlich komplett zu Klump gehauen. Und
das ist ganz großartig, weil dort zum einen Männer stehen, die ein
schönes Auto zerstört sehen müssen, zum anderen, weil dort auch
ein Symbol aus einer Welt getilgt werden soll, in der jede Form der
Resozialisierung verunmöglicht wird.
Der Film bringt Stallone immer wieder
in die Position Vergeltung üben zu können, um sie dann abzulehnen.
Das gipfelt in einer finalen Konfrontation, Sutherland auf dem
elektrischen Stuhl, Stallone am Schalter, und kulminiert in einem
Plädoyer gegen die Vergeltungslogik des US-amerikanischen
Justiz-Apparats. Auffällig ist auch, wie von allen Gefängnis-Wärtern
vor allem die Schwarzen zunehmend mit den Methoden des Direktors zu
hadern beginnen und sich schlussendlich gegen ihn stellen.
Überraschend ist das allerdings nicht, wenn man bedenkt, dass vor
allem Afro-Amerikaner unter dem zunehmend privatisierten
Gefängnis-System zu leiden haben.
Das alles klingt vielleicht nach einem
ziemlich grandiosen Film, doch trotz dieses hochspannenden Subtextes,
geht „Lock Up“ ziemlich raubeinig mit seinem Thema um. Die
Fronten sind sehr schnell klar, die Figuren zügig auserzählt und
die wirklich hervorstechenden Szenen nehmen nur einen Bruchteil des
Filmes ein. Generell haut recht wenig wirklich rein, weder das
Football-Spiel im Innenhof, noch die Schlägereien machen in Sachen
Action richtig Lust, was vielleicht sogar mehr mit dem amerikanischen
Actionkino in seiner Gesamtheit als mit diesem speziellen Fall zu tun
hat. Stallone macht aber Spaß und atmosphärische Bilder tragen ganz
gut durch den Film, dem thematisch verwandten, unsagbar hässlichen
und vor allem unsagbar öden „Escape Plan“ ist „Lock Up“
sowieso jederzeit vorzuziehen.
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