Ausschnitt aus einem Reaction video zur finalen Episode |
Seit der sechsten Staffel der Serie ist
es zu einer Art Tradition für mich geworden, nach der neuesten
Episode auf YouTube Reaction videos zu den zentralen Szenen der Folge
zu schauen. Das heißt: ich schaue, nachdem ich die aktuelle Folge
geschaut habe, noch einmal anderen, mir nicht näher bekannten Leute
dabei zu, wie sie die selbe Episode schauen und darauf reagieren. So
weit, so absurd. Ich kann nicht genau sagen, warum sich dieses
Prozedere zu einer Tradition verfestigt hat, denn die meiste Zeit
schäme ich mich für die Reaktionen der gezeigten Leute fremd. Am
liebsten schaue ich die Reaction videos aus der Chicagoer Burlington
Bar, in der die Gäste die Geschehnisse der Serie als public viewing
gemeinsam verfolgen. Nach ein paar Videos begegnen einem dabei die
immer gleichen Gesichter aus den ersten Reihen und damit sich
wiederholende Muster und Modi der Rezeption.
Die Reaktionen der Zuschauer reichen
dabei von großen Augen, über Tränen, aufgeplusterte Backen,
facepalms bis zu euphorisierten „Whoo“ oder „Yeah“-Rufen als
Kommentar auf besonders gelungene Szenen. Interessant wird es dann,
wenn die Stimmung der Serie direkt auf die Bar-Gesellschaft
übergreift und performativ angeeignet wird. Dann wird der Raum der
Bar zu einer Art Erweiterung des fiktiven Raumes und dem neu
gekrönten Monarchen wird gemeinsam mit den fiktiven Figuren der
Serienwelt die Treue geschworen („To the Queen of the North!“)
oder in ausufernden Party-Folgen (E04) symbolisch mit den Charakteren angestoßen. Hier reicht die Fiktion also bis in die
Wirklichkeit hinein. Die Geschehnisse der Episode werden auf diese
Weise nicht nur permanent beurteilt, bewertet und eingeordnet, in der
Performanz der Zuschauer scheint sich in diesen Momenten auch die
Sehnsucht auszudrücken, ganz in der Fiktion der Welt, seinen Figuren
und Handlungen aufzugehen.
Bisweilen gleicht die Stimmung während
der Sichtung einer Folge der eines Fußballspiels. Darüber hinaus
werden auch strukturelle Parallelen zu einem solchen sichtbar: Wie
bei einem Fußballspiel gibt es Teams (die konkurrierenden
Adelshäuser von Westeros), ein Spielfeld und ein (un-)geschriebenes
Regelwerk (die Welt von Westeros, die Regeln der Erbmonarchie) und
wenn eine Figur eine andere ausgeschaltet hat, dann kommt dies einem
Tor oder einem Punkt gleich, der einen näher an den finalen Sieg
(den Eisernen Thron) bringt. Die große Kunst von „Game of Thrones“
lag nun aus meiner Sicht lange darin, dass die Serie es vermochte,
den Zuschauer in die Lage zu versetzen, auch für das Tor einer
eigentlich gegnerischen Mannschaft zu jubeln und über den Treffer
des eigenen Teams lieber verstummen zu wollen. Die Ambivalenz, die zu
diesen ebenso ambivalenten, unklaren Gefühlslagen führte, blieb bis
zum Ende der Serie ein Element, erlitt aber einen deutlichen
Bedeutungsverlust seit die Serienmacher mit Staffel 5 allmählich von
den Vorlagen abweichen mussten.
Nun führen Ambivalenzen selten zu
guten Reaction videos. Die Drehbücher der neuesten Staffeln erwecken
den Eindruck, Benioff und Weiss schrieben mittlerweile eine Serie für
die Leute aus der Burlington Bar. Die Ambivalenz wird dabei immer
wieder dem Effekt geopfert. Zugleich sind die Szenen immer öfter auf
eine möglichst gleichförmige emotionale Reaktion ausgelegt. Ein
befriedigendes gemeinschaftliches Seherlebnis entsteht dann dadurch,
dass alle das selbe fühlen. Wie schwer nun diese Entwicklung zum
Kitsch für den Einzelnen wiegt, hängt maßgeblich von der eigenen
Beziehung zur Serie ab. Buchleser, Gelegenheitsgucker und
Feuilletonisten standen sich in der Rezeption der Serie immer wieder
feindlich gegenüber, ohne die Form der Kritik des jeweils anderen
wirklich verstehen zu wollen. Stattdessen wähnte sich jeder in
seiner Zugangsweise zum Stoff auf der richtigen Seite. Wo das
Feuilleton populäre Serien wie „Game of Thrones“ bisweilen nur
noch zum Stichwortgeber für realpolitische oder akademische Diskurse
degradiert, vergisst der Buchleser gelegentlich, welche Konsequenzen
sich aus der Adaption in ein anderes Medium ergeben (müssen).
Ich persönlich versuchte mich in
mehrfacher Hinsicht von zwei Seiten zu nähern, also die Serie
zunächst in seinen ästhetischen und filmtechnischen Dimensionen
ernst zu nehmen, ohne Fragen nach der Plausibilität und (vor allem
charakterlichen) Konsistenz gänzlich ignorieren zu wollen und mich
dafür nicht nur von den literarischen Vorlagen ausgehend zu nähern,
sondern auch den gegenwärtigen Blockbustern, mit denen man die Serie
durch ihren Event-Charakter sicherlich auch vergleichen kann. Während
für die ersten vier Staffeln ein Vergleich zu den Buchvorlagen näher
lag, scheint mir inzwischen ein Vergleich zu den Superhelden-Filmen
des Kinos angebrachter.
Während der achten Staffel schlugen
die Reaktionen zu dieser mal in die eine, mal in die andere Richtung
aus. Die Vehemenz der Online geführten Debatten um den IQ der
Showrunner befremdete dabei ebenso, wie die demonstrativen
Gegenreaktionen derer, die die Macher vor jeder Kritik zu
immunisieren versuchten. In diesem überhitzten, hysterischen Diskurs
zu einer klaren Haltung zu finden, fiel mir immer schwerer. Das mag
ironischerweise sogar mit einer Form der Überinformation durch das
Internet zusammenhängen, in der alle möglichen Details der Staffel
bereits erschöpfend diskutiert und alle möglichen Kaffeebecher und
Plastikflaschen, die sich versehentlich auf das Set bzw. in die
Fiktion der Serie verirrt hatten, identifiziert worden sind. Die
Intensität und der schiere Umfang des Diskurses schien dabei schon
lange nicht mehr durch die Komplexität des Gegenstandes
gerechtfertigt. Deswegen bin ich im Moment vor allem froh darüber, dass
der ganze Wahnsinn endlich ein Ende gefunden hat - und dass es noch
keine Reaction videos zu Büchern gibt.
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