Donnerstag, 20. September 2018

RFF-Spezial #2 - Himmlische Unfreiheit in "Verführung: Die grausame Frau" [DE '85 | Elfi Mikesch & Monika Treut]

Wanda dominiert, die anderen lassen sich dominieren. Sie ist die Herrin, der die anderen zu gehorchen haben. Das Schicksal ihrer Sklaven ist dabei selbst gewählt: sie wollen geschlagen, bespuckt und erniedrigt werden, sie wollen kein Mensch mehr, sondern Kreatur, niederes Getier, bisweilen sogar Objekt sein. Manche wollen verschwinden, unsichtbar werden, bis zur Selbstaufgabe und im radikalsten Falle bis zur Selbstvernichtung. Sadomasochismus operiert mit invertierten Luststrukturen und sucht gerade die Asymmetrie in der zwischenmenschlichen Beziehung. Mehr noch als eine Krise der Männlichkeit lässt sich im lustvollen Spiel mit dem Schmerz, der Verachtung und Unterwerfung eine Krise des modernen Menschen per se diagnostizieren. Dieser leidet unter dem Erbe einer Freiheit, die er nie selber erringen musste. Jede offene Option birgt die Aussicht einer falschen Entscheidung, jedes Unglück die Aussicht, selber dafür verantwortlich zu sein. Die Albträume des modernen Menschen führen auf kürzestem Wege in die Selbstverantwortlichkeit und damit geradewegs in die Selbstverschuldung. Wanda fungiert als stabilisierende Kraft in einer Welt, die sich stetig verändert. Ihre Erniedrigungen sind ein Ausweg aus der überwältigenden Verantwortung, die der Freiheit stets anhaftet. Sie wird zu einer göttlichen Instanz in einer religiös erkalteten Gesellschaft. Sich Wanda zu überantworten bedeutet auch gleichzeitig den Rückzug in eine voraufklärerische Zeit und die Wiederherstellung einer selbst verschuldeten Unmündigkeit. Und hinter der Sehnsucht nach Strafe scheint vor allem die Gewissheit zu stehen, sich schuldig gemacht zu haben. Der (post-)moderne Mensch steckt tatsächlich in der Krise. Und er vereinzelt sich zusehends. Er hat Zugang zum gesammelten Wissen der Welt und agiert doch nur gelähmt angesichts ihrer überwältigenden Komplexität; und der Schuld, die am Grund der überwältigenden Leiden liegt, die er mitzuverantworten hat. Wie schön wär's also, Sadomasochist zu sein. Wie himmlisch die Aussicht, wie himmlisch die Unfreiheit. 

*gesichtet auf dem Randfilmfest in Kassel

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