Mittwoch, 14. März 2018

"Das Mädchen mit dem Perlenohrring" [US, UK, LX '03 | Peter Webber]

[...] Im abgeschlossenen Raum des Ateliers scheint der Determinismus der Ständegesellschaft für wenige Augenblicke überwunden. Die Kunst legitimiert die Begegnung der Schichten nicht nur, sie stellt auch den Raum der Begegnung bereit. Sie erlaubt die Aufhebung der Distanz, die im Hausflur noch gewahrt werden muss. Asymmetrisch bleibt die zärtlich geschilderte Beziehung zwischen Vermeer und Griet natürlich dennoch: Stand und Geschlecht sind selbst im Prozess des Kunstschaffens nie ganz vergessen; Vermeer ist der Malende, Griet die Gemalte. Sein Blick bestimmt ihre Repräsentation. Die Kunst kann die Konventionen seiner Zeit vielleicht kurzzeitig beiseiteschieben, bleibt aber gleichzeitig immer in ihnen verhaftet. Für Griet besteht die Aussicht, Wissen über das Kunsthandwerk zu erlangen, das ihr sonst verwehrt blieb. Die Begegnung mit Vermeer erlaubt ihr einen alternativen Blick auf die Welt, den sie niemals einnehmen darf. „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ ist deshalb sicher kein Ausdruck einer Fremdermächtigung, sondern eher einer großzügigen, paternalistischen Geste. Und doch manifestiert sich gerade dort das Phantasma, dem ein ganz ungeheurer Wunsch zugrunde liegt: die Auflösung der Ständegesellschaft und damit all jener Barrieren, die die Berührung verhindern.

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