Ken
Feinberg ist ein beschäftigter Mann. Umso größer war die
Überraschung für Regisseurin Karin Jurschick als dieser ohne
größere Einschränkungen zustimmte, Teil ihres Filmes zu werden.
Schließlich sollte sich „Playing God“ um ihn drehen: Kenneth
Feinberg, 72 Jahre alt, Anwalt und Mediator. Feinberg ist der Mann,
der das Geld verteilt, wenn Bürger der Vereinigten Staaten Opfer von
Terrorattacken oder Naturkatastrophen werden. Das US-Justizsystem
nennt Leute wie ihn Special Master. Er wird eingeschaltet, wenn die
Regierung seine Wirtschaft vor existenzbedrohenden Klagewellen
schützen möchte, die beispielsweise auf die Anschläge des 11.
Septembers folgten. In solchen Situationen ist es an ihm, im
Einzelfall zu entscheiden, wie die Höhe der Kompensationszahlungen
an die Familien der Opfer ausfallen soll. Oder um es pathetisch
auszudrücken: es ist an ihm, über den Wert des Lebens zu richten.
Aus
struktureller Sicht macht es zunächst durchaus Sinn, den Film
entlang der beruflichen Biografie von Feinberg zu erzählen. So
gewährt dessen Biografie einen interessanten Überblick über
mehrere Jahrzehnte amerikanischer (Krisen-)Geschichte. Das fängt
bereits im Jahre 1984 mit Klagen von Vietnam-Veteranen gegen die
Herstellerfirmen des hochgiftigen Entlaubungsmittels Agent Orange an,
das während des Vietnam-Krieges versprüht worden war und unter
dessen Folgeschäden neben hunderttausenden Vietnamesen auch viele
US-Soldaten litten. Auch beim Anschlag auf den Boston-Marathon, dem
Öl-Unglück der BP-Bohrinsel Deepwater Horizon oder dem
VW-Abgas-Skandal war es an Feinberg, zwischen klagenden
Privatpersonen und der Industrie zu vermitteln. Sein Angebot ist
simpel: für eine Kompensationszahlung erklärt sich der Kläger
bereit, nicht weiter zu klagen.
Es
scheint kaum eine Katastrophe zu geben, bei der Feinberg nicht als
Figur im Hintergrund sichtbar wird, manchmal nur durchschimmert, aber
immer eine zentrale Rolle einnimmt. Die vor allem juristischen
Nachwirkungen der großen gesellschaftlichen Krisen seines Landes
bekommt Feinberg stets als einer der ersten zu spüren. Zwischen
jenen, die sich als Opfer begreifen und denen, die der Schuldfrage
besser ausweichen, fungiert Feinberg als probates Mittel zum Schutz
der amerikanischen Wirtschaft. Die unfassbaren finanziellen Mittel,
über die er dafür zu bestimmen hat, gehen dabei auch mit einer
unfassbaren Konzentration von Macht einher.
Der Titel
zielt darauf ab, ob es nicht Gott vorenthalten sein sollte über den
Wert eines Menschen zu richten und stellt ganz grundlegend die Frage,
ob es nicht unethisch ist so viel Macht in einer Einzelperson zu
bündeln – gerade angesichts der einflussreichen religiösen Lobby
in den USA eine Frage von ungeheurer Sprengkraft. Es macht aber auch
deutlich, wie ohnmächtig private Einzelkläger gegenüber den großen
US-Konzernen sind, die sich nach groben Fehltritten der schützenden
Hand des Staates sicher sein können. Besonders eindringlich wird
dies durch die Gegenüberstellung von Pensionären und Rentnern
veranschaulicht, die im ganzen Land um ihre Renten fürchten müssen
und den Gehaltskürzungen von Investment-Bankern, die Feinberg im
Zuge des großen Finanzcrashs vornehmen musste. Während mit der
vollständigen Rückzahlung staatlicher Kredite in den großen Banken
wieder die Millionen-Boni flossen, gehen Rentner wieder arbeiten,
weil das Geld nicht zum überleben reicht.
Die
Person Feinbergs gestattet also den Zugriff auf wichtige
gesellschaftliche Diskurse, die sich bequem als roter Faden für das
Narrativ des Films gebrauchen lassen. Jurschick unternimmt jedoch
auch den Versuch, es in der filmischen Auseinandersetzung mit
Feinberg menscheln zu lassen. Szenen, in denen er sich von TV-Bildern
und klassischer Musik beschallen lässt oder ein paar warme Worte
seiner Frau, die in der Küche über das stressige Leben ihres Gatten
erzählt, sollen Feinberg zu einem echten Protagonisten machen, der
auch ganz privat sein kann. Und über die Konfrontation Feinbergs mit
den Vorwürfen, er könne nicht unbefangen und neutral über
Kompensationszahlungen bestimmen, wenn er auf der Gehaltsliste von BP
stünde, soll die Ambivalenz seiner Figur beleuchtet werden. Solche
Konfrontationen klären sich jedoch sehr schnell wieder auf.
Alle
Versuche Feinberg zu einer emotional vielschichtigen Figur zu
entwickeln, bleiben am Ende fruchtlos. Hinter Feinberg wird nichts
sichtbar, was vorne nicht ohnehin schon zu erkennen war. Er ist
Anwalt und macht seinen Job. Er drückt die moralischen Fragen dieses
Berufsstandes nicht mehr aus als jeder andere Strafverteidiger,
sondern agiert lediglich in anderen Größenordnungen. So schön es
für Feinbergs Ego also gewesen sein dürfte, einen eigenen Film
spendiert zu bekommen, so furchtbar interessant ist diese Figur, die
vollständig in ihrem Beruf aufgeht und die Verantwortung still (oder
dann auch wieder ganz laut) erträgt, dann auch wieder nicht. Dafür
sind es die vielen kleinen Geschichten und Schicksale, die sich an
die Krisen heften, die er juristisch begleitet hat. Sie geben vor
allem den Verlierern eines unbarmherzigen, wirtschaftlichen Systems
Gesicht und Stimme. So erzählt „Playing God“ schlussendlich mehr
über sie als über Ken Feinberg - auch keine schlechte Sache.
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