Samstag, 14. Mai 2016

"Room" [CA '15 | Lenny Abrahamson]

In der zweiten Hälfte geht der Film dann das erzählerische Wagnis ein und erzählt von dem, wovon so wenige Filme vor ihm erzählt haben. Wie geht es weiter, wenn man der Gefangenschaft entflohen ist? Wie geht man mit Menschen um, die kaum noch wiederzuerkennen sind und deren Leiden man nicht einmal annähernd nachzufühlen imstande ist? Wie sehr wiegt der Schmerz der Verlassenen in der Relation zu den Entführten? - Zusätzlich zur Konfrontation einer jungen Mutter mit der Welt und der Verantwortung, die sie dort erwartet, thematisiert "Room" die erstmalige Konfrontation eines Jungen mit der Außenwelt und seinen Regeln. Das beinhaltet nicht nur das schwierige Psychogramm einer in Isolation erwachsenen Kinderseele, sondern offenbart auch einen äußeren Blick auf unsere Welt; was sie lebenswert macht, dass sie Angst bereitet, wie groß sie ist und fast endlos scheinend und dass sie Bedeutung dadurch erlangt, ineinander Halt zu finden. Jack hat keine Angst vor Monstern aus dem Kleiderschrank, denn sie existieren nur jenseits der Oberfläche des Fernsehbildschirms. In den Begrenzungen des Rooms und des Kleiderschranks findet er Ordnung und Struktur; etwas, das ihm mit seiner Flucht genommen wird und das er sich zurücksehnt. Und er steht damit nicht alleine in der Welt. Nichtsdestotrotz lag da immer etwas in ihm, das zu Größerem hinauswollte, das im Kopf Wolkenschlösser errichtete und fremde Welten besuchte - oder ganz pragmatisch einen Freund namens Lucky erfand. Abrahamson gebraucht die Palette filmsprachlicher Mittel nicht gerade subtil, aber er setzt an einem komplexen Punkt an und setzt sich gemeinsam mit Drehbuchautorin Emma Donoghue schwierigen Fragen aus, während er nicht das Risiko scheut das Gewicht ihrer Geschichte auf einer jungen Schulter lasten zu lassen. "Room" findet seinen Schlusspunkt konsequenterweise dort, wo er begonnen hat: beim Kern des Traumas, dem es sich auszusetzen gilt, wenn ein neuer Lebensabschnitt begonnen werden soll.

7/10

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