Die totale Dekonstruktion
einer tot-fetischisierten Industrie und den Befindlichkeiten seiner
allesschauenden Klientel: Die Erschafferin einer austauschbaren
Maskottchen-Kreation erfährt Mobbing am Arbeitsplatz sowie den Druck
der Vorgesetzten, die gespaltene Halbzeit-Nutte ist ein schwer
gestörtes Wrack mit tiefen psychischen Problemen und kein
willenloses Schulmädchen und dem heroischen Hohelied auf echtes
Männertum in einem Kampfsport-Manga schneidet Kon einen erbärmlichen
Fettsack entgegen, der Omas die Handtasche klaut, weil ihm die Yakuza
im Nacken sitzt. "Paranoia Agent" kennt keine Helden, weil
Kon keine Helden kennt. "Paranoia Agent" kennt nur
Menschen, arme Seelen, verschwitzte Fettbacken, Arschlöcher,
Gestörte und jene, die versuchen diese Welt zu verstehen und dabei
gnadenlos zugrunde gehen. Die Erweiterung des Handlungsspielraums um
mehrere Perspektiven und die damit verbundene erzählerische Breite
lässt Kon die Suche nach einem Serientäter aber nicht in dem Maße
atmosphärisch verdichten, wie es unter anderem noch bei seinem
Frühwerk "Perfect Blue" der Fall gewesen war. Dazu ist die
Erzählung zu breit angelegt und die Einführung der Figuren, die
jeweils eine Episode solo spendiert bekommen, nicht so fesselnd in
ihren Mustern und Marotten, ihren Macken und Makeln, wie sie
eigentlich in jedem Kon-Film in kürzester Zeit zu finden ist.
Dadurch passiert das, was bei Kon eigentlich nie passiert: die
Figuren bleiben fern, fremd, verschwommen. Spannende Wendepunkte und
abwechslungsreiche Ideen verlieren dadurch an Wirkung, wenngleich
"Paranoia Agent" durch komplexe figurale Komplikationen bei
Bereitschaft zur Auseinandersetzung ganz gut bei der Stange hält und
seine offene Konstruktion nur lose durch Shonen Bat verbundener
Episoden, die wie Kurzfilme bei Null beginnen, um dann die Verbindung
zum Ganzen als kleines Mosaik zu ziehen, unfassbar kurzweiliges
Serien-Vergnügen garantiert. Die schier endlose Ideenflut (gerade in
der zweiten Hälfte der Serie) ist dabei ohnehin ein Wahnsinn, der
lediglich erahnen lässt was für einen begnadeten Künstler nicht
nur Anime-Fans, sondern die gesamte Filmwelt in Satoshi Kon verloren
hat. Einen dieser raren Filmschaffenden, der niemandem etwas beweisen
musste und dessen Werk auch immer Ausdruck einer anderen, vielleicht
wirkungsvolleren Form von Kommunikation war; eine Verbindung nach
Draußen, ein Statement, das den Eskapismus anbietet, dem es sich im
nächsten Moment wieder entzieht. Die Wahrheit ist schmerzhaft:
Shonen Bat steckt in jedem von uns.
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