Samstag, 9. August 2014

"Antichrist" [DK, DE, FR, IT '09 | Lars von Trier]

Auf unzähligen Ebenen wurde „Antichrist“ inzwischen gedeutet und erforscht. Und sicherlich eröffnet von Trier durch zahlreiche Hinweise, Symbole aus Theologie und Mythologie, sowie die vielfältig interpretierbare Psychologie seiner Figuren einen großen Raum für eigene Deutungsansätze, die dank der codierten Filmsprache auch entsprechend variieren können. Dennoch tendiere ich am Ende des Tages eher dazu, seinem Film ein aufgehendes, nahtlos in sich greifendes Gesamtkonzept zu versagen und „Antichrist“ vielmehr als assoziativen Seelenstriptease zu begreifen, als Versuch eines Regisseurs den eigenen Schmerz filmästhetisch zu übersetzen, vielleicht auch nur zu umschreiben und codiert (nonverbal) auszusprechen. Macht man sich nun also auf die Suche nach Antworten wird „Antichrist“ scheitern, weil er selber nur von der Suche erzählt. Es folgen somit einige ungeordnete Beobachtungen, die ich auf die für mich wichtigsten Aspekte knapp heruntergebrochen habe. Für viele dürfte ich keine neuen Erkenntnisse formulieren und selbstverständlich erhebe ich keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

Trier zwingt seine Figuren im Prolog durch die Libido zur Handlungsunfähigkeit und setzt der Lust, den Hochgefühlen seiner beiden Protagonisten gleichzeitig das Grauen und die Unmittelbarkeit des Todes entgegen. Die Schaffung neuen Lebens ist hier nur ein Zimmer weit vom Ende eines anderen entfernt - ja, von Trier treibt diesen Kontrast sogar so weit, dass der Höhepunkt des Sexualaktes auf den Moment fällt, in dem der Akt des Todes seine Endgültigkeit erreicht. Das Erliegen der niederen Triebe, die Hingabe zur Lust, ist nun nichts weiter, als der scheinbare Grund für den Tod des Kindes. Infolgedessen ist Sexualität in „Antichrist“ immer auch mit Sünde, mit Schmerz und untrennbar mit dem Tod verbunden. Jedoch ist diese gestörte Wahrnehmung von Sexualität nur einseitig und auf die Frauenfigur beschränkt. Der Mann begreift Sexualität nach wie vor ohne die negativen Konnotationen, die aus dem Prolog für die Frau folgen.Womöglich ist das auch ein Grund für die Gewalt, die sich später gegen ihn richtet. 

Nun haben wir also zwei Figuren, von denen die eine (Dafoe) nur einen kurzen Moment der äußerlich verlautbarten Trauer zeigt und eine andere (Gainsbourg), die in schwere Depressionen verfällt. Dafoe scheint unmittelbar nach Ende der Trauerzeremonie einen souveränen Zugang zum plötzlichen Verlust gefunden zu haben, Gainsbourg dagegen nicht. Sie ist gar auf die Hilfe ihres Mannes angewiesen und beansprucht diese auch für sich. Der Umgang zwischen diesen beiden Figuren im ersten Kapitel trägt auch gleichzeitig den Dualismus zwischen Moderne und Tradition in sich. Dafoe versucht sich den Ursachen der Symptome über moderne, therapeutische Methoden zu nähern und zieht psychologische Lehren seiner Profession zu Rate (Konfrontationstherapie). Mit dem Fortlauf der Geschichte stößt dieser Ansatz jedoch auf entfesselte Irrationalität.

Gainsbourg hat die Inhalte ihrer Dissertation, die vermeintlichen Wahrheiten des Christentums (Tradition) zu ihren Wahrheiten gemacht. Ihre Vernunft ist okkupiert. Interessant ist hier, dass der Unvernunft der Frau, die des Mannes vorausgegangen war, als er beschloss sie trotz fehlender emotionaler Distanz selber zu therapieren. Die zunächst klaren Positionen der Figuren zueinander, beginnen sich mit dem Betreten von Eden zu verschieben. Die dominante Figur des Mannes versucht zwar fortwährend die Kontrolle zu wahren, doch schon mit dem Aufstieg zur Waldhütte gerinnt in ihm ein erster, unausgesprochener Zweifel als er den verstorbenen Fötus eines Rehs erblickt. 

Dann führt „Antichrist“ die eingeführten Motive um Sexualität und Christentum weiter (und fügt mit Kindesmissbrauch und Hexenverfolgung weitere hinzu), macht es mir jedoch schwer, über die Offensichtlichkeiten hinaus zu Erkenntnissen zu gelangen. Offensichtlich ist, dass mit der bessernden Verfassung der Frau, der Mann in eine Art Lethargie verfällt. Die Mittel der modernen Psychologie haben scheinbar gefruchtet - „Freud is dead, isn't he?“. Zusätzlich dazu verschiebt sich die Wahrnehmung beider zur Natur. Die Frau besucht nun befreit die Orte, die ihr auf dem Hinweg noch Angst und Schmerzen bereitet haben (Brücke), der Mann trifft jedoch auf einen Fuchs, der sich mit den Worten „Chaos reigns!“ an ihn wendet. Währenddessen verspeist der Fuchs seine Innereien; das Äquivalent zu der Beobachtung, die die Frau gemacht hat, als ein aus dem Netz gefallenes Küken von einem größeren Vogel verspeist wird (natürliche Auslese → Darwinismus).

Der Mann findet anschließend eine Zusammenstellung der Materialien, die seine Frau für ihre Dissertation über Hexenverfolgung angesammelt hat. Schon zuvor macht er die Entdeckung, dass seine Frau für die Deformation der Füße ihres Kindes verantwortlich war, indem sie ihm die Schuhe einen gesamten Sommer über verkehrt herum anzog. Die Moderne versagt in dem Bestreben sich der Natur aufzudrängen, zumindest ihrem entrückten Verständnis von Moderne nach. Ihr Selbsthass scheint nun weit weniger irrational und die Zweifel des Mannes ganz konkret. Daraufhin kommt es erst zu Sex und dann mit dem Zerquetschen der Hoden des Mannes zu einer Gewalteskalation, die sich ganz konkret gegen dessen Sexualität richtet und mit der späteren Verstümmelung der Klitoris, die sich die Frau selber zufügt, auch gegen ihre eigene. Sie bestraft numher also nicht mehr nur sich selbst, sondern übernimmt angesichts ihrer verzerrten Wahrnehmung, Verantwortung für ihre Sünden (der Sex, der mit dem Tod ihres gemeinsamen Sohnes zusammenfiel). 

Die Geschehnisse in der Waldhütte gipfeln im Tod der Frau und ihrer anschließenden (Hexen-)Verbrennung. Dieser Klimax markiert jedoch nicht nur die Katharsis seiner Figuren, sondern verhindert auch eine Ankunft des Antichristen, den Frau und Mann zuvor vor einem in Leichen labenden Baum gezeugt hatten. Diese Szene erhebt die Männerfigur sogleich in den Status des Protagonisten und erklärt die Frau zum Antagonisten. Diese Verteilung der Geschlechter mag auch die Grundlage für die albernen Vorwürfe der Misogynie gebildet haben und zeugt lediglich von einer starren, verbohrten Filmrezeption, die jeden Krümel auf ihre Geschlechterrollen hin untersuchen muss, ohne die Narrative zu erfassen, um dann womöglich zu der Erkenntnis zu gelangen, dass ein solcher Film so, und nur so, funktionieren kann.

Was bleibt also festzuhalten? Wir haben eine Frau, die vom Gedanken besetzt ist, nur durch Selbstkasteiung und schließlich den Tod Erlösung zu finden und wir haben einen Mann, der zunächst den sicheren Hafen der Vernunft markiert, dann aber mit dem Erreichen seiner Ziele über die Werkzeuge der Moderne von Zweifeln belegt ist. Die Wahrnehmung der Natur wandelt sich immer nur mit der Verfassung der beiden Figuren, ist im einen Moment ein Hort, in dem das Chaos und der Stärkere regiert und im anderen eine spirituelle Ruhestätte. Das Hexenmotiv lässt uns in dem Glauben, dass am Ende Gerechtigkeit widerfahren ist. 

Vielleicht ist „Antichrist“ also nicht mehr als das: „Antichrist“ spielt klug mit Motiven und entwirft tatsächlich originäre Kinobilder von malerischer Schönheit. Er versagt sich aber auch einer dogmatischen Lesart und ist vielfältig auslegbar, und vielleicht ist das auch vollkommen okay, weil es der Diskussion über dieses wunderbare Medium nur zuträglich ist. Zudem beherbergt er das Kostbarste, zu dem Kino überhaupt fähig ist: er ist Ausdruck eines Künstlers, der sich uns offenbart; in allen, den dunkelsten, den ehrlichsten Facetten.

2 Kommentare:

  1. Hab' den Text mal auf Facebook geteilt. ;)

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    1. Witzigerweise hat mich Punsha vor wenigen Stunden darauf hingewiesen. Danke, freut mich wirklich!

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