Freitag, 26. Juli 2019

Zeugen der eigenen Erinnerung - "True Detective" [US '19 | Season 3]


Zeitlinien, die verschmelzen, Figuren, die trauern, Figuren, die suchen, aber nicht finden können. Da sind Menschen, die alt werden und nie erlöst sind von den Schulden der Vergangenheit. Da sind Menschen, die sich schuldig gemacht haben. Die Suche einzustellen, heißt das Erinnern einzustellen, heißt zu vergessen. Erinnerung und Konzepte von Männlichkeit haben Pizzolatto seit jeher beschäftigt, sie sind wiederkehrende Themen in einer ständigen künstlerischen Selbstbefragung. Nun erweitert er diese Themen um Beobachtungen zum Alltagsrassismus in den USA. Sie treten jedoch lediglich als Begleiterscheinungen eines Kriminalfalles auf, der seine Spuren unabhängig von Hauptfarbe (und Geschlecht) in jedem Beteiligten hinterlässt.

Da gibt es dann ganz rührende Momente zweier alter, vereinsamter Männer, die sich von ihren Gefühlen erzählen, und da ist Enttäuschung, Trauer und Wut sich selbst und dem anderen gegenüber. Da gibt es das patentierte Dialogisieren im Auto vor künstlichen Rückprojektionen, die die Karre fast schweben lassen, beide sinnieren tief grummelnd über den Fall - hier schwebte „True Detective“ schon immer an der Grenze zur Albernheit. Und da gibt es Szenen einer Ehe, die überhaupt nicht albern sind, sondern die ein sukzessives Entzweien und wieder zueinander finden schildern, ohne überdramatisierte Eskalationen zu bemühen.

Ästhetisch will diese Staffel derweil nie so wirklich ein Eigenleben entwickeln, bleibt stets redselig, manchmal öde redselig, und lässt seine Bilder selten auf eigenen Füßen stehen, weil man ihrer Kraft (vielleicht zu Recht) nicht ganz vertraut. Filmisches und literarisches Denken griff in der ersten Staffel noch auf produktive Weise ineinander, setzte Synergien frei und wertete das jeweils andere auf, hier ist ein gewisser Stil erkennbar, der aber keine individuelle Handschrift sichtbar macht und die Schatten vermissen lässt, die die Geschichte beständig auf seine Figuren wirft. Aber das ist ohnehin ein Problem in diesem goldenen Serienzeitalter, das beileibe nicht nur „True Detective“ betrifft: nach der ersten Folge ästhetisch auserzählt zu sein.

Wo die zweite Staffel komplexe Verbindungen zwischen Charakteren und Milieus herstellte, ist die dritte Staffel wieder ganz auf wenige Charaktere und ihre Psychologie fokussiert. Und Pizzolatto hat sich spürbar weiterentwickelt: hinfort sind die lebensphilosophischen Einschübe seines Alter Egos Rust; stattdessen wird ein Interesse an Lebenswirklichkeiten sichtbar, die nicht der eigenen entsprechen. Das unter der Oberfläche Brodelnde der ersten Staffel ist noch da, aber ohne den okkulten Überbau. Da ist noch ein Schrecken, der nicht weichen will, eine Erinnerung, die nicht vergessen werden kann, da ist aber auch eine Liebe zwischen zwei Menschen, dem schwierigen, manischen Cop und der klugen Schriftstellerin, die nicht zerbrechen muss, um tragisch zu sein. Und da ist eine mindestens ebenso rührende Liebe zwischen zwei Männern, die der Stolz viel zu lange voneinander getrennt hielt. Vor allem sind da Gesichter, in denen man lesen möchte – und denen man bereit ist, zu verzeihen.

2 Kommentare:

  1. Muss gestehen, dass die Auflösung, die ohnehin relativ vorhersehbar war, etwas enttäuschend geriet, dafür, dass dies eine Ermittlung ist, die Ali über Jahrzehnte hinweg nicht loslassen wollte. Da erwarte ich eher ein Verbrechen wie in Season 1 (auch wenn es nicht Okkult sein muss). Das Einzige, was man dafürhalten könnte, wäre, die Unklarheit über das, was passiert ist. Wobei der Fall jetzt nicht so spektakulär war, als dass er besonders herausragt (zwei Kinder werden entführt, eines tot gefunden, das andere nicht).

    Als Antrieb für die Charakterisierung der Hauptfigur fand ich es also etwas "unzureichend". Man merkt der Staffel an, dass Pizzolatto nach der Kritik an Season 2 wieder zurück zur 1. Staffel wollte. Ich mag Season 2 eigentlich, dahingehend, dass sie eben nicht das Vorjahr versucht zu kopieren.

    Um mir ein endgültiges Urteil zu bilden, muss ich die Staffel noch mal sehen (bzw. bingen), tendenziell wäre sie für mich die Schwächste, ich hoffe dennoch, HBO bringt noch eine 4. Staffel heraus (gerne als Großstadt-Ermittlung).

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  2. Da liege ich sehr nah bei dir. Dennoch hat die dritte Staffel wieder eine Form des Erzählens ins Fernsehen gebracht, die ich sehr vermisse und doch nicht klar definieren kann. In diesem Sinne war meine Rezension als Gegenreaktion zu den vielen kritischen Stimmen gedacht, wenngleich ich die Staffel in vielen Punkten ebenso kritisieren würde (der Fall hat mich nie gebannt, die Auflösung fand ich schrecklich betulich und die beiden Partner als Retner-Duo war ganz hart an der Grenze zur Fremdscham). Dennoch: ich mag die Sentimentalität, den Ernst (der manchmal zur Albernheit kippt), das "romanhafte", psychologische Erzählen.

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