Mit „22 July“ liefert „Based on
true Events“-Spezialist Paul Greengrass so ziemlich genau das, was
von ihm im Vorfeld zu erwarten war: gut funktionierende
Handkamera-Bilder im Nah-dran- und Mittendrin-Modus, ein
rhythmisierender Schnitt und gut geführte Schauspieler lassen den
Terroranschlag auf Utøya und Oslos Regierungsbezirk im Jahre 2011
aus der allerersten Reihe fast in Echtzeit mitverfolgen. Der Fokus
liegt dabei gleichermaßen auf Breivik, wie auf einer kleinen Gruppe
von Überlebenden, was mancherorts zu empörten Reaktionen führte.
Die Opfer der Anschläge würden vor allem als anonyme Masse
porträtiert, Breivik zu viel Plattform gegeben. Solche Stimmen
zeichneten sich vor allem durch eine inzwischen obligatorisch
gewordene moralische Überheblichkeit aus. Stattdessen sollte sich im
Umgang mit Filmen wie „22 July“ mal ehrlich gemacht und die
eigene moralische Scheinheiligkeit abgelegt werden: Ich schaue Filme
wie diese selbstverständlich aus Schaulust und Sensationsgier –
und ich bezweifle, dass ich damit alleine bin. Statt des Gaffens am
Straßenrand darf sich bei filmischen Rekonstruktionen realer
Begebenheiten allerdings noch schön in die Decke eingemummelt werden
und das ganze Grauen, das ist irgendwie so ähnlich tatsächlich
irgendwo passiert, aus nächster Nähe (und doch aus sicherer
Distanz) bestaunt werden. Und die Faszination geht natürlich vom
Täter aus und weniger von den Opfern, weswegen Greengrass Interesse
an diesem vor allem aufrichtig ist.
Das Grauen, die Zuspitzungen
menschlichen Verhaltens, üben eine ungebrochene Anziehungskraft aus.
Horrorfilme funktionieren (auch) nach genau diesem Prinzip: dem
Grauen, im Film sichtbar gemacht, in die Augen blicken. Nun bedient
sich Greengrass am Grauen der Welt und es drängt sich die Frage auf,
wo nun die Fiktion liegt – wo sie beginnt und wo sie aufhört. Wo
beschreitet ein Film, der sich konkret auf reale Begebenheiten
bezieht, die moralische Trennlinie zwischen geschmackvoller und
geschmackloser Unterhaltung? Jeder Filmemacher bezieht sich auf die
Welt, die er in einer Repräsentation wieder zusammensetzt, wie
offenkundig muss der Bezug zur Realität also sein, um den
Filmemacher in die Lage besonderer Verantwortung zu versetzen? Das
Fehlen einer klaren Antwort auf solcherlei Fragen macht nur das ganze
Ausmaß der moralischen Scheinheiligkeit sichtbar, mit der sich im
kritischen Umgang mit solchen Filmen geschmückt werden soll, ohne
sich das Nacherleben der Tragödie entgehen lassen zu müssen. Erst
sabbernd über zwei Stunden in den Zügen eines Massenmörders nach
einer Regung suchen und dann die fehlende Sensibilität Greengrass zu
kritisieren, ist maximaler Selbstbetrug. Die Schaulust ist eine
zentrale Triebkraft des Kinos generell. Und sie ist immer schuldig,
nie unschuldig. Aus einer eben solchen moralischen Ausgangslage gilt
es auch einen Film wie „22 July“ zu betrachten.
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