Ich benötigte eine geschlagene Stunde,
um mir einen Reim darauf zu machen, wovon dieser Film eigentlich
erzählte. Das sind immerhin Zweidrittel der gesamten Laufzeit, die
ich so im Dunkeln verbrachte - nachdenklich, hadernd, suchend. Und
bitte versprechen Sie mir, nicht zu gehen, wenn ich Ihnen verraten
habe, was ich entdeckt habe. „Ende eines Sommers“ handelt nämlich
von alledem, das zunächst kalt, dinglich und seelenlos erscheint. Er
handelt von Objekten, die zu Artefakten werden, von Orten, die mit
den Hinterlassenschaften eines Toten beladen sind und denen jedes
Leben entwichen ist. Er handelt vom Schreibtisch - dem alten, der
Kommode - der hässlichen, der Vase - der seltenen. In gewisser Weise
handelt also auch „Ende eines Sommers“ von Gespenstern, oder doch
zumindest von den Dingen, die ihre Anwesenheit indizieren. Und er
erzählt von der seltsamen Praktik der Menschen, ein Leben lang die
Dinge anzusammeln, als Ausdruck eines Selbstverständnis, aber auch
als Teil eines Selbst, diese Dingwelten mit Bedeutungen aufzuladen
und die intimsten Erinnerungen an sie zu ketten; er erzählt davon,
sich in der Materialität der Dinge etwas gewiss zu werden, das sonst
so unfassbar durch die Gedanken schwebt. Mit dem Ende eines Lebens
stehen diese Dinge nur noch da, als Ankerpunkte und
Erinnerungsfragmente an einen Menschen.
Auf die Brutalität des Todes folgt
gleichsam die Brutalität der Bürokratie, die die Dinge nach ihrem
Verkaufswert evaluiert, Bestände aufteilt und sie aus der Sphäre
des Privaten herauslöst, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu
machen – institutionalisiert, mit Sachverstand kommentiert und in
weiten, kalten Räumen ausgestellt. Der Film erzählt deswegen auch
von musealen Praktiken und dem verzweifelten Versuch der
Vergangenheit materiell fassbar zu werden. Welchen Sinn hat die Vase
in der Glasvitrine, mit Samthandschuhen präpariert, wenn sie keine
Blumen trägt? Assayas ist parteiisch, nähert sich der Institution
aus den intimen Erinnerungen einer weit verstreuten Familie heraus –
und doch gelangt er zu einer ganz profunden Erkenntnis: Die
Vergangenheit lässt sich nicht konservieren und sie haftet den
Dingen nicht für ewig an – sie verblasst. Assayas verlässt das
Museum und wischt den Staub von den Tischplatten. Das Gottverlassene
Haus lässt er von Jugendlichen bevölkern, die die Räume der
Vergangenheit mit neuen Bedeutungszuschreibungen überschreiben –
indem sie dort eigene Erinnerungen erschaffen. Hinter den letzten
Bildern des Films steht nichts als Zuversicht und Vertrauen. Auf den
Tod folgt das Leben, aber auf das Ende des Sommers folgt... der Sommer!
Interessante Lesart, ich habe den Film seiner Zeit nicht derart "verkopft" gesehen, sondern einfach recht oberflächlich. Hat aber auch funktioniert :)
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