Seit einigen Jahren sind Filme wie
„Moneyball“ in Hollywood keine Seltenheit mehr. Als
quasi-dokumentarisch getarntes Autorenkino im
wahre-Geschichte-Anstrich rücken Gründungsmythen wie „The Social
Network“ oder kammerspielartige Krisen-Rekonstruktion wie „Margin
Call“ endlich auch über Festival- und Fernsehgrenzen ("The Newsroom") hinaus in den Mittelpunkt.
All diese Filme gleichen sich im Gefühl verfilmter Drehbuchseiten, und sind doch grundlegend anders; sie
alle wahren sich eine formale Identität und doch zeichnet sie die
Haltung aus, komplexe Zusammenhänge über lebendige Dialoge (Aaron
Sorkin) und echte Menschen zu erforschen. Visuelle Spärenzchen
stünden dem lediglich im Wege.
„Moneyball“ reiht sich zumindest
insofern in die neue Riege amerikanischen Autorenkinos ein, als dass
er einen ähnlichen Ansatz verfolgt. Er ist inszenatorisch kalt,
übersichtlich und zweckdienlich photographiert und kommt dem am
nächsten, was man als Bühnenillusion bezeichnen könnte. Eine
künstlich geschaffene Theaterbühne, die sich formal zwar an
filmästhetischen Mitteln bedient, diese aber nicht als Antriebsfeder
dafür versteht, den Zuschauer emotional zu involvieren.
Natürlich geht es in „Moneyball“
auch um Veränderung und Wandel, darum gegen alle Widerstände am dem
festzuhalten, an das man glaubt, natürlich geht es um starre
Strukturen, die es aufzubrechen gilt und den reaktionären
Abwehrmechanismus alt eingesessener System-Veteranen und die lästigen
Windmühlen, die alles erschweren - um all das geht es in
„Moneyball“. Vor allem aber ist „Moneyball“ ein Film über
seine Hauptfigur, Billy Beane. Jene Figur also, die die Moneyball
Years im modernen Baseball-Sport losgetreten hat und hier von
Hollywood-Juwel Brad Pitt verkörpert wird.
Beane bleibt fortwährend eine
unnahbare, undurchdringbare Figur. Sie tritt in fast jeder Szene auf,
aber sie bleibt immer ein Geheimnis. Wir nehmen die Position von Hill
ein, der nach Offenlegung aller Zahlen und statistischen Analysewerte
keine Geheimnisse mehr beherbergt. Er verleibt als auserzählter
Beobachter, der hin und wieder an Pitt zweifelt und im Sinne des
Zuschauers Verständnisfragen stellt. Und wie er vertrauen wir Pitt
blind. In diesem Zusammenhang ist auch die quälend lange
Niederlagenserie nicht bloß ein zweckdienliches, dramaturgisches
Alibi, eine notwendige Station, um schließlich alles in einem
entscheidenden Finalspiel kulminieren zu lassen, sondern zuvorderst
eine Bewährungsprobe für die Figuren, die in Uneinigkeit ein
einmaliges Experiment bestreiten.
Hier setzt Miller eigenwillige
Höhepunkte: Die darauf folgende, sensationelle Siegesserie bildet
den dramaturgischen Höhepunkt. Erst der knapp errungene, zwanzigste
Sieg in Serie, der den Spielraum durch Umschnitte auf Beane in den
Katakomben und den Geschehnissen im Stadion spielerisch verdichtet,
kreiert eine Siegermannschaft, die zur Meisterschaft fähig ist und
liefert den Beweis: das System funktioniert. Miller platziert diese
Montage jedoch interessanterweise in der Mitte des Films.
Denn „Moneyball“ ist nach wie vor
ein Film über Billy Beane, die Struktur des Filmes somit nur
Ausdruck seiner inneren Welt. Er scheint nie ganz glücklich, immer
versunken, den gesamten Film über steht er unter Strom, prescht nach
vorne, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Selbst die Siegesserie, die
Gewissheit etwas Historisches geschafft zu haben und nicht in
Vergessenheit zu geraten, verliert jeden Wert, solange der Pokal
nicht gewonnen ist. Es zählt nur der Gewinner. Der, der am Ende noch
steht. Damit steht er auch für ein System voller Verlierer. Er
bleibt immer getrieben, nie fertig, immer auf der Suche.
6.5/10
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