Am Anfang ist da eine Straße, dahinter
ein weiter, ebener Landschaftstrich. Einige Autos rasen aus dem toten
Winkel der Kamera ins Bild gen Horizont. Wie aus dem Nichts schlägt
plötzlich ein Blitz ein, der Donner knallt fast synchron. Die Person
hinter der Kamera erschreckt, niest zweimal und erschüttert die
Kamera. - So klein und trivial diese Szene zunächst auch wirken mag, in ihr drückt sich doch eine ganz profunde Erkenntnis über das Filmemachen aus: Filmemacher und gefilmte Welt stehen immer in einem
Verhältnis der Wechselwirkung zueinander. So wie die Kamera aus der
Welt hervorgebracht wurde, die sie repräsentiert, und deshalb
maßgeblich ihren Einflüssen unterliegt, so wirkt diese auch immer
zurück; verändert und verformt das Bild, das wir von der Welt und
seinen Bewohnern haben. Die Bilder aus „Cameraperson“ weisen auch
immer wieder auf ihre Erschafferin zurück, die seit
fünfundzwanzig Jahren als Kamerafrau für Dokumentarfilme den Planeten bereist. Dieser Film
seien ihre Memoiren, lässt diese in den Anfangstiteln verlauten. Und
doch geht diese wunderschöne Collage persönlicher Erinnerungen weit
darüber hinaus. Wenn es im Schnitt heißt „kill your darlings“,
dann hat sie diese in ihre Schatzkiste gesperrt und nun vor unser
aller Augen geöffnet. Ihre Bilder werfen schlaglichtartig einen
Blick in die vielfältigsten Lebensentwürfe und sind doch
Bestandteil eines universellen Sinnzusammenhangs. Denn über allem
steht die Reflexion der eigenen Rolle: Worin liegt die Verantwortung
des Dokumentarfilmers? Wann ist der Eingriff in die Welt geboten, die
man doch eigentlich so unberührt wie möglich zu fassen versucht?
Wie lässt sich in den Realitäten der Postmoderne
noch Bedeutung generieren, wenn jede Wahrheit eine Frage der
Perspektive ist? Was ist Wirklichkeit und existiert sie auch absolut? Was
verändert die Kamera in der Begegnung mit dem Anderen, was eröffnet
sie, was verhindert sie? Johnson macht dem Zuschauer das wertvollste
Geschenk von allen, indem sie sich sichtbar macht, hinter der Kamera
hervortritt und selbst Teil des Bildes wird.
8/10
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