Freitag, 9. November 2012

"The Descent" [UK '05 | Neil Marshall]

Emanzipation im Horrorgenre: Nun darf auch endlich ausschließlich Frau den kollektiven Qualentod sterben - und das direkt durchaus eindrucksvoll. Klaustrophobische Zustände, ständige Dunkelheit und triste Gesteinsformationen begleiten die Frauengruppe um Protagonistin Sarah (Shauna Macdonald) auf ihrem Trip in ein neues, bislang unerforschtes Höhlensystem - zumindest glaubt man bzw. Frau das. Doch spätestens mit dem Auffinden erster Spuren, die auf die Existenz einer weiteren Lebensform auf dem Grund des verschachtelten Systems hindeuten, entwickelt sich der eigentliche Extremsport-Ausflug zum existenziellen Überlebenskampf.

Zuvor wird mit einem traumatischen Autounfall aber erst einmal etwas Empathie für Protagonistin Sarah geschürt, immerhin verlor sie dort Mann und Kind. Hier und da hätte Marshall die Exposition vielleicht sogar etwas ausführlicher gestalten können, denn im Grunde kommen nur zwei Figuren über die Eindimensionalität der restlichen Gruppe hinaus, die ihre Daseinsberechtigung teilweise nur aus ihrer Existenz als spätere Gore-Opfer ziehen können. Dass es im grundsätzlichen Verständnis dieses Genres auch keine hässlichen Frauen gibt, sollte man an dieser Stelle einfach hinnehmen und sich über all jene Ansätze freuen, die über ausgetrampelte Mainstream-Pfade hinausgehen.

Hälfte Eins konzentriert sich dabei ganz auf die flotte aber nie gehetzt wirkende Exposition von Hauptfigur und Hintergrundgeschichte, sowie den Abstieg in den Untergrund. Mit dem anschließenden Einsturz des einzigen bekannten Auswegs, beginnt dann auch der eigentliche Überlebenskampf auf unbekanntem Terrain. Und hier verschenkt Marshall einiges an Potenzial: Denn bis auf einige Hinweise auf die Präsenz einer weiteren Lebensform, sowie deutlich zu oft eingestreute Jump Scares (von denen manche sogar ganz platt auf identische Weise wiederholt werden), bleibt „The Descent“ zumeist spannungsarm. Den psychologischen Input seines Settings auf das meistens angenehm clever reagierende Figurengefüge vernachlässigt Marshall leider völlig und beschränkt sich auf das Gezeigte. An einem Spiel mit den Erwartungen und der Fantasie des Zuschauers scheint der Brite nicht weiter interessiert zu sein.

Technische Defizite reißen dich ebenfalls immer wieder aus dem langsam an Fahrt aufnehmenden Horrortrip heraus. In den Totalen glänzt „The Descent“ ein ums andere Mal mit sensationell schlecht gemachtem CGI und Steinformationen, die gar nicht erst versuchen sich dem offensichtlichen Anschein angemalter Pappmaschee zu erwehren. Die selten doofe Ausleuchtung verstärkt den mangelhaften Eindruck von Kulisse und Computer-Animation zusätzlich.

Explizit wird es dann mit der zweiten Hälfte, wenn der Horror mittels einer grandiosen Found-Footage-Sequenz eingeleitet wird. Bemerkenswert in dieser Phase von „The Descent“ ist vor allem, dass Marshall auch nachdem er dem Grauen sein (hässliches) Gesicht gegeben hat, weiter die Spannung hält. Spannung, die er auch aus dem einfallslosen, aber nichtsdestotrotz funktionierenden Creature Design schöpft und mit deren Eigenschaft der Blindheit er einige memorable Momente zu kreieren weiß. Live-Videomaterial aus einem Camcorder, welcher im Nachtmodus aktiv ist, verbaut Marshall ebenfalls äußerst effektiv in das Geschehen, welches inzwischen alle Thriller-Komponenten über Bord geworfen und endgültig den Kampf zwischen Mensch und Bestie in den Mittelpunkt gestellt hat.

„The Descent“ geht zurück zu den Ursprüngen: Die letzten Überlebenden kämpfen gegen die Kreaturen aus der Hö(h/l)le. Die finalen Minuten sind blutiger und animalischer Existenzkampf, aus dem Sarah nicht nur neu gewonnene Kräfte schöpft, sondern das sie auch auf eine gewisse Weise zu befriedigen scheint. Der auf das abschließende Gekröse folgende Twist sitzt, doch wirkliche Begeisterung will sich dennoch nicht einstellen. Zu viele Chancen lässt Marshall ungenutzt, zu viele Ansätze lässt er Ansätze bleiben. Ein ziemlich gemischtes Vergnügen, die Ausgangsidee hätte dabei doch so viel zu bieten...  

6/10

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen