Sonntag, 29. April 2018

"You Were Never Really Here" [US '17 | Lynne Ramsay]

Gore-Bauern werden enttäuscht sein: Sicherheitskameras, Kamerawinkel und Jump Cuts verstellen jeden Blick auf die exzessiven Gewalteskalationen. Alle äußere Gewalt schirmt Ramsay von unserem Blick ab. Die gewaltsamste Szene geschieht folglich nur in der Vorstellung ihres Protagonisten. Was wir zu sehen bekommen, sind vielmehr die Effekte von Gewalt - auf diejenigen, die Gewalt erfahren, aber auch auf diejenigen, die Gewalt ausüben – nicht selten eint sich Opfer- und Täterschaft in ein und der selben Person. Das wird sowohl in Phoenix Charakter Joe als auch im zu rettenden Mädchen deutlich. Diese verkopfte Annäherung dekonstruiert das Genre im gleichen Maße, wie es dieses ultimativ ernst nimmt, indem es seine Mechanismen erprobt, Strukturen emuliert, um dann die dahinterliegenden Voyeurismen sichtbar zu machen. Der Rache-Thriller erreicht in der Konsequenz seinen Endpunkt, denn der Rächer mag nicht mehr, poliert jedem die Fresse, scheint unbesiegbar, weil schon längst besiegt. 

Joe ist befremdet von der Moderne und seinen Widersprüchen, zerrissen von der Banalität der Gewalt (ein Kind erschießt ein anderes für einen Schockriegel) und ihren Hinterlassenschaften in ihm (er imitiert seinen Vater in der Wahl seiner Waffe). Die Erfahrung von Gewalt ruft in Joe jedoch nicht eine ebenso willkürliche, gewaltsame Reaktion hervor, wie sie Kriegsheimkehrer Travis Bickle einst charakterisierte, sondern ist ungleich kanalisierter (professionalisierter). Die gewaltsamen Erfahrungen aus Kindheit und Kriegszeit richten sich stattdessen gegen ihn selbst. Joe möchte nicht mehr da sein, weil er denkt nie wirklich dagewesen zu sein. Haben Depressionen ein Gesicht, sind sie bei Joaquin Phoenix zuhause, der durch diesen Film schlurft, Menschen mit einem Hammerhieb aus dem Leben tilgt und am liebsten gleich mitgehen würde - also legt sich Joe neben eines seiner Opfer, mit dem Bauchschuss langsam dahinsiechend und gemeinsam summen sie das Lied einer längst verblassten Erinnerung. 

Es sind solche Szenen der Irritation und Elegie, die "You Were Never Really Here" besonders machen; sie markieren das Moment der Überraschung. Und man ist froh, dass Ramsay die Errettung eines armen Mädchens aus den Fängen eines Prostitutionsrings überhaupt nicht versucht als erbauliche „Kick-Ass“-Variante zu erzählen. Die Beziehung zwischen Joe und Nina ist so ambivalent und vielschichtig wie der ganze Film: so sehr der finale Akt der Gewalt für Nina Selbstermächtigung bedeutet, so sehr bringt er für Joe die grauenvollste aller Realisationen mit sich. Und so wie sich die Gewalt durch die Erlebnisse seiner Kindheit in ihm fortgepflanzt hat, so hat sie sich nun in Nina neu gebärt. Joe reißt sich also das Hemd vom Leib, wünscht sich eine Kugel in den Kopf und sackt weinend in sich zusammen. Er muss erkennen, dass Gewalt niemals endet. 

Samstag, 21. April 2018

"Smallville" [US '01 - '02 | Season 1 & 2]

„Smallville“ mit einem Wort: bittersüß. Clark und Lex, hier Freunde, die sich nie so ganz die Wahrheit sagen können und die die Kräfte der Bestimmung immer weiter auseinander zu treiben droht, sind dazu verdammt, zur Nemesis des jeweils anderen heranzureifen. Währenddessen dürfen Clark und Lana sich zwar tonnenschwere Blicke zuwerfen, schmachtend die Lippen befeuchten, aber eben nie wirklich zueinander finden. - So will es der Kanon der Popkultur, der jedes Schicksal im Kansas-Kaff Smallville zu einem Puzzle-Teil einer kosmischen Prophezeiung degradiert. Mit anderen Worten: alles ist determiniert und niemand entrinnt seiner vorherbestimmten Rolle. Die Geister der Vergangenheit ruhen nicht so lange, bis sie in der Gegenwart die Zukunft gestalten. Vielleicht mit Ausnahme dieser süßen Blonden mit den abstehenden Haaren an den Seiten - die mit dem unwiderstehlichen Lächeln. Jene rasende Reporterin, die außerhalb der Comic-, Fernsehen- und Kinogeschichte erdacht, aber umso schneller akzeptiert worden ist - als der fehlende Link zwischen Smallville-Clark und Metropolis-Clark. Aber auch ohne diese funktionale Rolle ist Chloe Sullivan eine Bereicherung für das Kleinstadtleben, das manchmal öde sein kann und vorhersehbar. Irgendwer fällt auf Meteoriten-Gestein, entwickelt irgendwelche Kräfte und kidnapped vornehmlich das Love Interest des Man of Steel, der dann in letzter Sekunde Kugeln stoppen oder Mutanten ausknocken darf – gerne auch beides. An solchen Tagen ist Chloe pure Energie und pure Lebensfreude. Ihre „Wall of the Weird“ begleitet die Serie dabei, wie das „I want to believe“ Mulder und Scully bei ihren Konfrontationen mit dem Undenkbaren. Ihre unerwiderten Gefühle sind eine der Spannungskonstanten der Serie. Und sie eines jener Identifikationsangebote, die man in einer Teenager-Serie so dringend braucht.

Eine Serie, die auch vornehmlich die Leitmotive der teenage angst behandelte, und es lediglich mit überbauhafter Phantastik zu garnieren wusste, war Whedons „Buffy“, in der auch ein mit übermenschlichen Kräften ausgestatteter Teenager mit seinen Freunden den Kräften des Bösen trotzte. „Smallville“ ist, bei allen strukturellen Gemeinsamkeiten, allerdings kein „Buffy“; nicht so Neunmalklug, nicht so witzig, nicht so konsequent und nicht so kreativ. Im Verbund stellen sie dennoch eine aussterbende Sorte Serien-Unterhaltung dar, in der hingebungsvoller Gefühlskitsch und Genre-Sensibilitäten noch eine hochentzündliche Verbindung eingingen. „Smallville“ geht dabei seinen eigenen Weg, bei dem nicht immer sicher ist, was ernst gemeint und was augenzwinkernd. Werden Teenager in Smallville zu Bad Boys tragen sie plötzlich Ledermantel und Sonnenbrille und tragen die Haare hochgegelt – an einer Stelle tragen sie sogar einen Ghettoblaster durch die Gegend, weil das in der Schule ja besonders gut kommt. Die Stärken der Serie, bei aller Häme, sind indes nicht zu übersehen. Statt des Monsters of the Week gibt es den Freak of the Week, der immer auch Produkt seiner Umwelt ist und nicht bloß manifestiertes Böses in Mythengestalt. „Smallville“ behandelt die Leitmotive der Adoleszenz auch immer über seine Gegenspieler, deren Handeln fast immer Ausdruck verborgener Sehnsüchte oder angestauter Frustrationen ist. Bei so viel Menschenliebe verzeihe ich gerne jede Repetition, jeden hässlichen Weichzeichner und jede versteinerte Miene Tom Wellings, unfähig auch nur eine einzige ambivalente Emotion glaubhaft zu machen.

Donnerstag, 12. April 2018

"The Terror" [US '18 | Season 1]

Die Terror und die Erebus stechen in See, aber alsbald stecken sie in ihr fest. Beginnt die Polarnacht, kommt mit ihr die Finsternis und der Schrecken, der sich in ihr gebärt. Lovecrafts Berge des Wahnsinns bestehen aus Eis und sie entschleunigen die Symbole imperialistischen Pionier-Geistes solange, bis sie endgültig zum Stehen kommen. Mit den Schiffen kommt auch ihre Mission zum Stehen, die vorsah, durch die Entdeckung einer Nordwestpassage dem britischen Imperium einen global-strategischen Vorteil zu verschaffen; und mit den Manieren der feinen Englishmen bröckelt auch das ideologische Fundament der Zivilisation, die sie hervorgebracht hat. Erebus und Deimos (Terror), Götter und Dämonen eines untergegangenen, antiken Imperiums, werden von nun an zu einem ständigen Begleiter – und einem prophetischen Omen. Je existenzieller die Bedrohungen werden, desto leichter lässt sich jede mühsam erkämpfte zivilisatorische Errungenschaft wieder ablegen und mit der Ausnahmesituation treten aus dem unüberschaubar breiten Figuren-Pool echte Charaktere hervor. Es werden die ganz persönlichen Lieblinge sichtbar, die Starken und die Schwachen, die Fürsorgenden und Mutigen, die Mitläufer, die Anführer, die Feiglinge, die Opportunisten - die Verrückten. Und es treten die Differenzen der Überlebensstrategien zutage, je deutlicher die Verzweiflung der Situation für alle spürbar wird. Die Themenkomplexe der Serie liegen dabei offen zur Schau: das Andere, die Grenzen des solidarischen Gedankens, die Grenzen humanitärer Ethik, aber auch die Grenze, die geschichtsträchtige Frontier selbst und seine Verlockungen. In der Beschäftigung mit den großen Mysterien der Franklin-Expedition greift die Serie bekannte Theorien auf (das Blei in den Konservendosen) und erweitert sie um wenig ergiebige, phantastische Elemente (sie wurden von einem Eisbären aus dem Computer gefressen). Mit zunehmender Dauer opfert man nicht nur prinzipiell spannende Dichotomien und Ambivalenzen einer unausgegorenen Figuren-Idee (Mr. Hickey), es werden auch die Hallen sichtbar, in denen die Serie gedreht worden ist. Verzieht sich dann der Nebel des Mythos (der gerade durch die Leerstellen des historischen Falles an deren Stelle getreten ist), wird es hässlich und konkret. Und der Schrecken wird gebannt.

Sonntag, 8. April 2018

"Lady Bird" [US '17 | Greta Gerwig]

Schon klar, das Leben ist kein Wunschkonzert. Ich wünsche Greta Gerwig trotzdem mehr Ruhe, in den Leben ihrer Figuren auch die hässlichen Momente auszuhalten. Denn das hohe Tempo fordert seinen Tribut: der tänzelnde Schritt des Filmes, einer Frances Ha gleich, verdichtet die vielen Themenkomplexe einer Emanzipationsgeschichte zu einem außerordentlich kurzweiligen, federleichten Vergnügen, droht aber auch über jede Tiefe ignorant hinweg zu tänzeln. Die extrovertierte Lady Bird knüpft direkt an jene lebensbejahenden, quirligen Figurentypen an, der sonst Gerwig selbst Gesicht und Körper leiht. Sie sind das Übertragungsmedium dieser sommerlichen, elektrisierenden Lebensfreude und der schier unstillbaren Lust auf die Welt, die einen, wenn unkontrolliert übertragen, fast zum bersten bringt. Aber sie schieben auch andere Dinge beiseite, die ebenfalls beachtenswert wären. Die liebevolle Vaterfigur hätte beispielsweise ebenso gut gleichberechtigt neben der Mutter existieren können, um den Film als ausgleichendes Temperament auch tonal zu erden.

Dieser schreitet – vielleicht ganz bewusst – tatsächlich wie ein bockiger, engstirniger Jugendlicher ohne einen Blick zur Seite zu wagen voran; mäht alles über, was sich ihm in den Weg schmeißt; kreischt los, wenn es sich richtig anfühlt, weint, wenn es sich richtig anfühlt, lacht, wenn es sich richtig anfühlt. Die Direktheit seiner Hauptfigur legitimiert dem Film jeden Ausrutscher: die Freundin wird für ein vermeintlich reiferes Mädchen fallen gelassen, die Mutter immer wieder vor den Kopf gestoßen. Fehltritte realisiert Lady Bird erst nachdem sie ihr unmittelbar vorgeführt worden sind und der Film kommentiert sie nicht, wenn sie geschehen. Hier spricht der Film ganz und gar die Sprache seiner Hauptfigur, die sich konsequenterweise in erster Linie um sich selber kümmert. Insofern lässt sich sicherlich für diese perspektivische Entscheidung argumentieren, auch wenn sich mir persönlich nur ganz sporadisch ein Zugang zu den Figuren und ihrer Welt eröffnete. Dafür blieben sie in der Geschwindigkeit, in der sie durch die Schauplätze der Adoleszenz rasten, immer seltsam distanziert. Wo ich lieber länger in den Gesichtern nach einer Regung geforscht hätte, kam mir ein Song dazwischen; wo die Worte eigentlich noch Raum benötigten, um ein Echo zu erzeugen, kam der Schnitt.

Dienstag, 3. April 2018

Zuletzt gesehen: März 2018

"Harry Potter and the Prisoner of Azkaban" [UK '04 | Alfonso Cuarón] - 6.5/10

"Harry Potter and the Goblet of Fire" [UK '05 | Mike Newell] - 6/10

"Harry Potter and the Order of the Phoenix" [UK '07 | David Yates] - 5/10

"Harry Potter and the Half-Blood Prince" [UK '09 | David Yates] - 7/10

"Harry Potter and the Deathly Hallows: Part I" [UK '10 | David Yates] - 7/10

"Harry Potter and the Deathly Hallows: Part II" [UK '11 | David Yates] - 4/10

"Detour" [US '45 | Edgar G. Ulmer] - 6/10

"Raw" [FR, BE, IT '16 | Julia Ducournau] - 4/10

"Die Taschendiebin" [KR '16 | Park Chan-wook] - 5/10

"The Lost City of Z" [US '16 | James Gray] - 7/10

"Dial M for Murder" [US '54 | Alfred Hitchcock] - 6/10

"Vertigo" [US '58 | Alfred Hitchcock] - 8/10

"Notorious" [US '46 | Alfred Hitchcock] - 7/10

"Rebecca" [US '40 | Alfred Hitchcock] - 6/10

"North by Northwest" [US '59 | Alfred Hitchcock] - 7/10

"Better Things" [US '16 | Season 1] - 6/10

"Fantasia" [US '40 | James Algar & Samuel Armstrong] - 5/10

"Come Swim" [US '17 | Kristen Stewart] - 7/10

"Exodus: Gods and Kings" [US '14 | Ridley Scott] - 4/10

"Annihilation" [US, UK '18 | Alex Garland] - 5/10

"Der Tiger von Eschnapur" [DE '59 | Fritz Lang] - 5/10

"Das indische Grabmal" [DE '59 | Fritz Lang] - 5/10

"Die Zürcher Verlobung" [DE '57 | Helmut Kräutner] - 7/10